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Bazon Brock auf Google, Bild: Banner zur Profilseite.
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Erschienen
11.08.2011

Autor
Brock, Bazon

Erscheinungsort
Wuppertal, Deutschland

Ultima ratio: Unterscheidung von illegaler und legaler Kriminalität

„Fassungslos sind wohl die meisten Briten angesichts brennender Häuserzeilen, Plünderungen am hellen Tag … Das Ausmaß an Gewalt, Aggressivität und Konfrontationsbereitschaft seitens junger Leute … ein Synonym für soziale Verwahrlosung!“

Dieser Kommentar der FAZ vom gestrigen Tage (10.08.2011) steht so gut wie für alle anderen journalistischen Darstellungen der Vorgänge in diversen britischen Städten.
Ist eine derartige Stellungnahme der „besten Federn“ schiere Dummheit, Heuchelei oder verdeckte Komplizenschaft? Dummheit scheidet sicher aus bei derart gut trainierten, gebildeten und unterrichteten Profis. Also Heuchelei?

Dafür spricht überdeutlich, daß kein Kommentator eine Erklärung der Phänomene mit Blick auf die Taten der eigenen Kreise derer bietet, die sich jetzt „fassungslos“ zeigen wollen.
Wurde von deutschen Journalisten und ihren Medien jemals „Fassungslosigkeit“ bekundet angesichts der Videobotschaften von Dick Fuld, dem hochgerühmten Boss von Lehman Brothers? Fuld verbreitete mit Nachdruck Lehrvideos für alle seine Mitarbeiter und für die Öffentlichkeit, in denen er mit extrem eindeutigen mimischen Ausdruck offenlegte, was die Strategie eines erfolgreichen Investmentbankers zu sein habe: nämlich „den Gegner ganz langsam, aber konsequent zu martern, ihm das Herz aus dem noch lebenden Körper zu reißen, um ihn dann mit höchster Befriedigung zu zerquetschen!“

Haben Zeitungen in Deutschland, die jetzt die Fassungslosigkeit vor der Gewalt von Straßenmob zu bekunden behaupten, jemals derartig auf das ganz offen demonstrierte inhumane Gebaren von Bigbossen der globalen Eliten reagiert? Haben sie über die „Ausplünderungen bei hellem Tage“ ganzer Volkswirtschaften sich ereifert, über einen Billionenraub von Pensionsversorgungen und anderen Ersparnissen der Steuerzahler?

Haben sie die Zerstörungen ganzer Siedlungen in den USA durch Kredithaie jemals derart gegeißelt wie jetzt die Zerstörung einzelner Häuserzeilen in Großbritannien? Und die Banken haben diese kriminelle Praxis der Beleihung von Krediten auf marode Immobilien wenigstens genauso intentional organisiert wie der Straßenmob das jetzt mit elektronischen Mitteln der Kommunikation tut!
Haben die klagenden Schreiber, fassungslos vor der Realität in unseren Großstädten, die jetzige Aggression der Jugendlichen jemals in Beziehung gesetzt zu den ganz offen und bedenkenlos vollzogenen Rechtsbrüchen der westlichen Politiker? Maastrichtverträge galten den Herren Schröder, Fischer und erst recht nach diesem Vorbild den Herren der romanischen Länder als beliebiger Spielball eigener Machtinteressen – denn vor 10 Jahren konnte man nicht wie heute den Staatsnotstand oder die Gefahr für die Weltwirtschaft vorgeben, um den Gesetzesbruch, die Regelmißachtung und Hehlerschaft zu rechtfertigen. Im Gegenteil – Regierungen/Parlamente belohnten Diebe und Hehler als staatstreue Agenten des Anstands und der Rechtstreue. Die Verträge zur Währungsunion wurden als Fetzen Papier abgetan; die als Bedingung für die Zustimmung zur Euroeinführung gegebenen Versprechen, niemals bailouts, also Schuldenhaftung für fremder Staaten Schulden zuzulassen, waren eben Versprechen, die man bekanntlich einhalten könne oder nicht!

Die Kanzlerin sonnte sich im kalten Zynismus als Ausdruck der ultima ratio wirtschaftlicher und politischer Vernunft, indem sie immer wieder öffentlich bekundete, es gebe keine Alternative zum Rechtsbruch! Das lassen sich die Jugendlichen jetzt gesagt sein, Not kennt kein Gebot. „Vielen Dank für die Lizenz zum Plündern und Brandschatzen an die Herren der Systemwelt“, schreiben sie als Menetekel an die Ruinenwände und bekennen ebenso zynisch, niemand habe die Absicht, eine Mauer der Schuldzuweisung zu bauen.

Achtung: nochmals mein Argument:

Die Erpressung der Steuerzahler durch die Bankenretter ist ebensowenig akzeptabel wie die Erpressung der Kommunen oder der ganzen Gesellschaft durch Aufständische, die drohen, daß alles zusammenbrechen werde, wenn man ihre Forderungen nicht erfüllt.

Wer eben – wie die Zeitungen und andere öffentliche Meinungsmacher – die Aufständischen einen kriminellen Mob nennt, bleibt nur glaubwürdig, verspielt nur dann das Vertrauen der Adressaten nicht, wenn er auch die kriminellen Machenschaften der feudalen Lobby entsprechend kennzeichnet. Mehr noch, wenn die Journalisten endlich wagen sollten, beide Formen der Asozialität und Kriminalität aufeinander zu beziehen, da sie ja gleichermaßen, also auf gleiche Weise nicht akzeptabel sind.

Zwar spricht die FAZ (pars pro toto) allein in der gestrigen und heutigen Ausgabe „die Privilegien der Großverbrecher“ wie Regierungschefs und sonstiger Oberhäupter an; sie verweist auf „die pure Idiotie der amerikanischen Notenbanker...“, sie berichtet über die Klage der „amerikanisch-internationalen Versicherungsgruppe“ gegen die Bank of America wegen Betrugs in Milliardenhöhe, sie verweist auf „Krisenfieber“ und die „fast irrationale Angst“, die das Geschehen an den Börsen kennzeichne; sie hofiert Bigbosse, die „das Kaputtsparen als das einzig Richtige“ darstellen und die Redakteure lassen offenbaren, daß alle Zahlenwerke der Wirtschafts- und Finanzstruktur bloßes Machwerk seien, Artefakte statt Fakten, auf die die Argumente der Systemretter gestützt werden; das alles teilt die FAZ dankenswerterweise eigentlich täglich mit – aber die Redakteure, Gastautoren, Herausgeber vermeiden es auffallend deutlich je eine Parallele zwischen den Politökonomen und dem Treiben der Jugendgangs auf den Straßen der Großstädte zu ziehen! Das eben sieht nach frommer Heuchelei aus oder schlimmer noch nach verdeckter Propaganda für die legale Kriminalität der EZB, der Euroregierungen und anderer Institutionen, weil man nur die Straßenkrawalle als verabscheuungswürdig beschreibt und so nahelegt, daß die kriminellen Handlanger in Chefetagen etwas anderes seien als jene auf den Straßen. Offenbar soll gelten: Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht das gleiche.

Wir müssen aber darauf bestehen, daß Raub eben Raub ist, daß Zerstörung von Lebensformen und Lebensräumen in keinem Fall hingenommen werden darf (und würde der Weltgeist persönlich den Untergang als „schöpferische Zerstörung“ propagieren: Zerstörung ist niemals von Zerstörung zu scheiden und der Schöpfer, wenn er zerstört, eben nicht mehr er selbst).

Ein Rechtsstaat, der Stehlen und Hehlen ausdrücklich belohnt, weil er so das Recht schütze, ist eine mafiotische Formation, die ja immer behauptet, sie wolle durch Rechtsbrüche ihr gutes Recht erzwingen. Gewalt, Raub, Zerstörung ganzer Lebensperspektiven, ideologische Indoktrination (Maulhalten: Der Rechtsstaat ist der Rechtsstaat, auch wenn er Rechtsprechung über Jahre verweigert), gezielte Auslöschung der anderen in der Vernichtungskonkurrenz, wie sie die Leuchte des amerikanischen Freiheitsversprechens, Dick Fuld, unter Jubel seiner Mitarbeiter für höchst erstrebenswert weil effizient hält, sind weder aus politischen oder religiösen oder wirtschaftlichen Motiven rechtfertigbar! Und doch gibt es bei uns immer noch Strafnachlaß, wenn jemand derartige Motive zur Systemrettung ins Feld führt. Und das gilt seit langem als sogar entscheidende Errungenschaft des Rechtsstaats. Warum das?
Jetzt ist es ganz und gar offenbar geworden; das gilt, damit man eben doch behaupten kann, daß es nicht dasselbe sei, wenn Banker/Politiker/Wissenschaftler Tod und Verderben auslösen wie wenn das von Jugendgangs, Mafioten, Aufständigen oder sonstigem „Mob“ getan werde.

Die Logiken, die dafür aktiviert werden, sind haarsträubend: ein Banker könne ja gar nicht auf höchste Differenzierung von Boni und Gehältern verzichten, weil sonst das Leistungsprinzip gefährdet sei und dementsprechend höchste Posten durch Zahlung höchster Honorare beglaubigt werden müssen und zwar selbstverständlich gerade dann, wenn die höchsten Leistungen nachweislich nicht erbracht wurden, weil sie niemals erbracht werden können.

Politiker könnten, solcher Logik entsprechend, nicht die Wahrheit über erkannte Entwicklungstendenzen sagen, weil sie mit der Wahrheit fürchten müssen, Panik auszulösen, und so die befürchteten Entwicklungsresultate noch schneller herbeiführen würden. Wissenschaftler müssten, so die Logik, in Forschungsanträgen aufs bestimmteste lügen, daß sie die erst zu erforschende Sachfrage ganz sicher in besagter Zeit zur Zufriedenheit der Geldgeber der Ökonomie zur Verfügung stellen werden, weil sie sonst keine Chancen auf Gewährung von Forschungsmitteln haben.

Derartige intellektuelle und „soziale Verkommenheit“, wie sie überall beklagt wird, wo der Mob tobt, kennzeichnet vor allem die Verfassung der Klagenden, wenn sie nicht die Sachverhalte, sondern die Motive der Täter würdigen.

Uns bleibt vorläufig als einziger Trost, zu akzeptieren, daß die Herren der Verfahren in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bei der alternativlosen Rettung ihrer Systeme immerhin indirekt die Einheit und Gleichheit von Mob und Mob als kriminelle Vereinigungen anerkennen, soweit sie, wenn auch als Letztbegründung, die Differenz von legaler und illegaler Kriminalität gelten lassen müssen. Eine tolle ultima ratio aus dem Selbstverständnis der deutschen Kanzlerin.