Ausstellungskatalog Wolfgang Körber: OXYGEN

Skulptur, Fotografie, Malerei

Oxygen - Wolfgang Körber, Bild: Umschlag.
Oxygen - Wolfgang Körber, Bild: Umschlag.

Mit Texten von Bazon Brock, Markus Brüderlin, Matthias Erntges, Eugen Gomringer, Wolfgang Körber, Heinz Mack und Klaus Rinke; 384 Seiten, 297 Abb., davon 239 farbig, Chorus-Verlag für Kunst und
Wissenschaft, Mainz, 2009, 98 Euro.

Im "Wuppertaler Unimagazin" (Nr. 40/2009), S. 37, findet sich auch ein Foto der Eröffnungsrede Bazon Brocks zu Wolfgang Körbers Ausstellung "ZUG UM ZUG" in der Galerie arteversum, Düsseldorf, 08.11.2009, anlässlich derer die Publikation "OXYGEN" vorgestellt wurde: http://www.presse-archiv.uni-wuppertal.de/uni_magazin/ausgabe_40/p_pics/UniMag40__web36-37.pdf 

Erschienen
2008

Herausgeber
Brock, Bazon

Verlag
Chorus-Verlag für Kunst und Wissenschaft, Mainz

Erscheinungsort
Mainz, Deutschland

Seite 21 im Original

Ein Beispielgeber für seinesgleichen

In einer für die Repräsentanten der Moderne sehr bezeichnenden Weise scheint auch Wolfgang Körber seine Tätigkeiten als Architekt, Maler, Designer, Ausstellungsmacher und Lehrer gleichermaßen im Laufe seines Arbeitslebens entfaltet zu haben; von der herkömmlichen Lebensökonomie in einer arbeitsteiligen Gesellschaft wirkt das, als hätte sich auch Körber nicht für den Vorrang eines dieser Arbeitsfelder entscheiden können. Man könnte auch meinen, ihm wie seinen Kollegen sei die Synthese oder auch nur die Zusammenführung dieser verschiedenen Aufgaben in einem Gesamtwerkanspruch nicht gelungen. So häufig auch diese Auffassung geäußert wird, bleibt am Beispiel Körber darauf hinzuweisen, daß das Gesamtkunstwerk-Programm als Ausdruck von Modernität spätestens mit Beginn des 2. Weltkriegs ad acta gelegt war. Für den Ausdruck der Nachkriegsmoderne gilt gerade nicht mehr die Entscheidung der Künstler, Architekten und Designer für ihr eines und eigenes Metier, sondern der situationsbedingte und strategieopportune Wechsel zwischen den Positionen; dabei ist leicht zu verstehen, daß der ständige Wechsel zwischen den Rollen, Arbeitsformen, Auftragskonstellationen eine enorme psychologische Belastung nach sich zieht, der nur wenige nicht Tribut zu zollen hatten – sei es gesundheitlich, familiär oder mit anderen Formen des Lebensausdrucks. Voraussetzung für die nachkriegsmoderne Haltung, jederzeit zwischen den verschiedensten Macherrollen zu wechseln, ist natürlich eine Ausbildung, die zumindest zu formaler Könnerschaft als Architekt wie als Designer oder als Maler führt. Körber ist nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch in konzeptueller ein solcher Alleskönner. Er hat mit seinen Konzepten zu Kommunikationsbauten für Messen, Museen und Ausbildung so erfolgreich gearbeitet (durchaus auch wirtschaftlich erfolgreich), daß die restliche Lebenszeit nicht gereicht hätte, um alle Optionen aus dieser Entwicklung auch nur anzubieten, geschweige denn zu realisieren. Er hatte bereits mit Anfang Zwanzig sein zeichnerisches und malerisches Können derart demonstriert, daß etwa seine Lehrer ihn selbstverständlich auf die Rolle eines zeitgenössischen Künstlers fixiert sahen. Er wurde ebenso früh von der überlebenden zweiten Generation der Werkbündler und Bauhäusler als geradezu idealer Ausbilder in den typischen Grundlehren der Rationalisten mit Beschlag belegt. Aber Körber wählte den Lehrberuf gerade deswegen, weil er ihm die Freiheit zum besagten Wechsel zwischen den Arbeitsfeldern der modernen Gestalter bot. Er versagte sich später, mit steigender Wirkung und Anerkennung, den Verlockungen zur Eindeutigkeit oder Einspartigkeit nachzugeben. Denn er wußte, daß er nur in dieser aufrecht erhaltenen Spannung zwischen den Positionen des Architekten, des Designers und des Künstlers den Anspruch der Nachkriegsmoderne weitertragen konnte. Die Nachkriegsgeneration hielt ja an der Vielfalt der Tätigkeitsformen fest, ohne aber wie die Gesamtkunstwerksgeneration noch an die Versöhnung der Vielfalt in der Einheit oder Ganzheit glauben zu können. Wie kam es zu diesen bemerkenswerten Auffassungen von Verpflichtung auf die Moderne?

Ornament industriell und Kunst designed

In seiner Wuppertaler Dissertation Ornament und Abstraktion hat Markus Brüderlin 1993 die grundsätzliche Frage erörtert, wie die Geschichte der Moderne in den Künsten zu erzählen sei, wenn man die Entwicklung der sogenannten abstrakten Malerei als Phänomen der Ornamentgeschichte darstellen würde. Liegt es nicht auf der Hand, die form- und farblogischen Ausdrucks- und Gestaltungsmuster von Hölzel, Kandinsky, Delaunay oder von Rothko, Newman, Judd respektive Yves Klein, Gerhard Merz und Imi Knoebel schon wegen ihrer großen Ähnlichkeit mit dem ornamentalen Gestalten zumindest in Vergleich zum Ornamentkanon zu setzten, wenn nicht gar als Ornament aufzufassen. Was hinderte uns bisher daran? Offensichtlich galt das ornamentale Gestalten als zweitrangig oder minderwertig gegenüber der individual-künstlerischen Praxis, obwohl mit der Etablierung der Weltausstellungen neuzeitlicher Industriekultur und der Etablierung von Werkkunstschulen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die unvergleichliche Bedeutung der Gestaltung industrieller Produkte (zunächst angewandte Kunst, bzw. Werkkunst, dann Design genannt) sowie ihrer Produktions- und Distributionsstätten als Fabrik oder Kaufhaus weltweit vor Augen geführt worden waren. Jedenfalls beherrschten die Wahrnehmung und der Umgang mit industrieller Gestaltung den Alltag des modernen Menschen in sehr viel höherem Maße, als das die freien Künste jemals vermocht hatten. Auch die grandiosen Leistungen von Gottfried Semper und Alois Riegel, die Entwicklungslogik der Ornamentgeschichte darzustellen, änderte nichts an der Abwertung der ornamentalen Gestaltung gegenüber der individual-künstlerischen. Zur Erklärung des Widerspruchs von weltumfassender Wirkung ornamentalen Gestaltens in Form der Industrieprodukte und der gleichzeitigen Abwertung des Designs mag beitragen, daß das Bürgertum, seinem Selbstverständnis entsprechend, auf der individuellen Urheberschaft von Gestaltungsformationen, dem Urheberrecht, umso stärker bestehen mußte, je eindeutiger der industrielle Produktionsprozeß die Bedeutung der individuellen Arbeit verminderte. Durch diesen industriellen Produktionsprozeß wurde die bürgerliche Individualität mit ihrem Autonomieanspruch in Freiheit und Originalität ins Museum verwiesen. Entsprechend schnell setzten sich die Museen als Orte der Repräsentation des bürgerlichen Individualitätsanspruchs durch. Auch die Künstler begannen vorrangig für die Präsentation ihrer Werke in Museen zu arbeiten, die ihrerseits als Exempel moderner technischer Rationalität gestaltet wurden. Die Architekten hatten dabei einen schier uneinlösbaren Anspruch zu befriedigen: sie sollten im Bauen der Einheit von industrieller Gestaltlogik und bürgerlichen Lebensformen wie auch der Einheit von individueller Autorschaft und Teamarbeit zum Ausdruck verhelfen.

Das gesamtheitliche, das ganzheitliche Denken, Leben und Produzieren, wurde in Programmen der Lebensreform experimentell erkundet, in Künstler- und Gestaltergemeinschaften wie dem Deutschen Werkbund bewertet und in Institutionen wie dem Bauhaus zum Kanon der Modernität erhoben. Auch die politischen Versuche, universell oder national die Ganzheits- und Einheitsforderung durchzusetzen scheiterten, so sehr sie im einzeln erfolgreich sein konnten (in Russland zwischen 1917 und 1927, in Italien zwischen 1921 und 1935 und in Deutschland bis zur endgültigen Vertreibung der letzten Bauhausrepräsentanten 1936). Diese Versuche scheiterten, weil es nicht gelang, die Gestaltlogiken der Ornamentgeschichte mit denen der industriellen Moderne oder auch nur mit der modernen Kunstentwicklung seit dem 14. Jahrhundert in Beziehung zu setzen. Zwar versuchte man zunächst etwa das ornamentale Decorumsystem der Antike auf die Gestaltung der Maschinen zu übertragen und die damals völkisch genannten Ornamentalstile, zumeist in Schnitzwerk und Keramik überliefert, im Kunstgewerbe zu aktualisieren; aber die Dampfmaschinen mit Anmutungsqualitäten dorischer Tempel oder das Runenberaunen auf Heimwerkertextilien wurden schließlich mit dem Wiener Kaffeehausschmäh Ornament ist Verbrechen in die Verbannung geschickt. Ihre Funktion übernahm auf Tapeten und Textilien die sogenannte gegenstandlose abstrakte Kunst.

Allen, die in den 50er Jahren mit ihren Arbeit in den Feldern Gestaltung/ Design, Kunst und Architektur zu arbeiten begann, wurden spätestens diese Zusammenhänge schlagartig klar, als sie jene berühmte documenta-Photographie vor Augen geführt bekamen, auf der eine Betrachterin als Rückenfigur vor einem Pollock zu sehen ist, deren Sommerkleid das gleiche Muster zeigt wie die Pollocksche Malerei. Jeder hatte sich die Frage zu stellen, warum das bürgerliche Publikum bereit war, die abstrakt gegenstandslose Zeichengebung als Ausdruck der Moderne auf Textilien aller Art und Tapeten mit großer Freude zu akzeptieren, die gleichen Gestaltungsansprüche als Malerei oder Skulptur aber heftig ablehnte oder bestenfalls als belanglos belächelte. Zur gleichen Zeit rückte ein paralleles Phänomen in die Aufmerksamkeit der nachkriegsdeutschen Gestalter, Künstler und Architekten: Warum verlästerten, ja verfolgten die Nazis das Bauhaus als judobolschewistischen Internationalismus, um andererseits genau diesen modernen Stil unter dem Nazimarkenzeichen Schönheit der Arbeit in den Funktionsbauten der Industrie als vorbildlich zu bestimmen? Die bis dato einleuchtenste Erklärung hieß, daß die über 5.000 Jahre entwickelten ornamentalen Gestaltlogiken gerade in ihren regionalen Ausprägungen nicht mehr für die Behauptung kultureller Identität der Nationalstaaten vereinnahmt werden konnten, ohne lächerlich zu wirken. (Keltischer Ornamentalstil war von Irland bis Nordspanien, von Frankreich bis nach Südeuropa nachweisbar – welche neuzeitliche Nation hätte ihn für sich als identitätsstiftend reklamieren können?) Die weltweite Verbreitung der Industriekultur als moderne Form des ornamentalen Universalismus anzuerkennen, war ebenfalls unmöglich, weil das mit der Anerkennung des Amerikanismus als Weltsprache verknüpft gewesen wäre, wogegen die nationalen Identitätsideologen natürlich heftig protestierten. Die Antwort, die die besten Vertreter der Nachkriegsmoderne gaben, war einigermaßen überraschend. Statt der alten Entgegensetzung von kollektiv und individuell, von anonym und urheberzentriert, von industrieller Produktion und Handwerk, von Autorität der state of the art-Verfahren und Autorschaft der kreativen Abweichung in das Prokrustesbett der Gesamtkunstwerkskonzepte fundamentaler Dogmatiken zu zwingen, trat das Konzept Kontinuität durch Bruch, das heißt die Auffassung, daß gerade die entfaltesten Individualitäten, sogenannte herausragende Persönlichkeiten, die Voraussetzung für leistungsfähige Kooperation der Extreme erfüllten. Wer als eigenständiger Urheber oder Autor Autorität zugestanden erhält, braucht die Konkurrenz nicht zu fürchten und hat auch, weil er selbst stark ist, keinen Anlaß, die anderen herabzuwürdigen, ihre Leistungen zu bestreiten oder sonst einer Ausprägung charakterlicher Minderwertigkeit zu unterliegen. Statt Einheit zu erzwingen, galt es unaufhebbare Differenzen produktiv werden zu lassen.

In dieser Auffassung folgten die Nachkriegsmodernen einem Heros der ersten Generation. Vermittelt wurde dieser Anschluß, als Walter Gropius 1955 seine große Ulmer Rede zur Etablierung der legendären Hochschule für Gestaltung hielt. Gropius stellte in den Mittelpunkt seiner programmatischen Rede die Verpflichtung der jungen Modernisten auf die Teamarbeit. In ihr konnte das europäische Künstler- und Wissenschaftlerkonzept von Autorität durch Autorschaft mit den Formen anonymkollektiver, industrieller Produktion vermittelt werden. Und zu vermitteln hieß, es gerade als Ausdruck der Moderne anzuerkennen, daß Edelstahl und Ekstase, Blut und Bodengeraune und Kruppsche Hochtechnologie, Mythos und Rationalität, Gemeinschaft und Gesellschaft, Sozialismus und Nationalismus in ihrer Entgegensetzung ausgehalten werden müßten, anstatt sie mit wagnerischem Pathos zu Monstern der Einheit wie Nationalsozialismus oder stählernde Romantik oder konservative Revolution zusammen zu zwingen.

Körbers Beispiel

Demzufolge dürfen wir Körbers entfaltete Individualität und Standfestigkeit hervorheben, da er sich bis heute geweigert hat, einer naheliegenden Versuchung zu folgen. Ihm als konzeptionsstarkem Architekten, gewitztem Baumeister und Designer aller Gebrauchsgegenstände wäre es ein leichtes gewesen, einen historischen Anspruch in der Verwirklichung eines Gesamtkunstwerks anzumelden. In jungen Jahren schien er auf diese Möglichkeit mit dem Bau seines Solinger Hauses in der Gestaltungseinheit vom Löffel, über die Teppiche und Bilder an der Wand bis zum Haus in der Gartenlandschaft zuzusteuern. Dann aber erzwang er auch für seine physis die Durchsetzung der unaufhebbaren Differenz. Das erleichterte ihm durch Leiden und Produktivwerden eingeschränkter Aktionsradien, endlich auch für sich selbst gelten zu lassen, was er in fünfzig Jahren demonstrierter Modernität in Erfahrung gebracht hatte: Schlagartig kann man seine Einstellungen zu den eigenen Arbeiten und ihren Positionierungen in der Entwicklungsgeschichte der Formen ändern, wenn man sich aus allgemein vertretenen Erwartungen oder den biographisch eingeschliffenen zu befreien vermag. Es ist absurd nach der weltweiten Durchsetzung der monochromen Malerei und der gemalten Theologie des Bilderverbots durch Rothko, Newman und Co. sich dem Postulat der absoluten Malerei zu unterwerfen, wie die Mehrzahl heutiger Einfaltspinsler. Man kann nicht ein zweites Mal das Schwarze Quadrat über den Altar hängen, ein weißes Farbfeld auf weißer Grundierung in weißem Passepartout auf eine weiße Galeriewand hängen oder weißrotblaue Vertikalstreifen für Elemente des transzendentalen Brückenbaus ausgeben. Da ist es intelligenter, souveräner und schlußendlich historisch bedeutsamer, wenn man derartige Unternehmungen schlicht und einfach als Experimente des ornamentalen Gestaltens fortführt. Das ist Körbers Beispiel und Ruhm.

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