Buch Kotflügel

Sprechmaschine nackt im Damenjournal

Kotflügel, Bild: Titelseite der Ausgabe 2006.
Kotflügel, Bild: Titelseite der Ausgabe 2006.

Band 29 | Die Graphischen Bücher
Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts

Mit acht zweifarbigen Typographiken und in der Buchgestaltung von Gert Wunderlich

Erschienen
2005

Autor
Brock, Bazon

Verlag
Faber & Faber

Erscheinungsort
Leipzig, Deutschland

Seite 69-70 im Original

Nachbemerkung

Bazon (eigentl. Jürgen) Brock war 21 Jahre alt, als er mit Kotflügel, Kotflügel,
einem experimentierfreudigen, an Dada und Sprachautomatismen geschul-
ten bzw. einem diesen nachempfundenen Werk in die literarische Landschaft
stieß. Brock selbst gab seinem 1957 erschienenen lyrischen Werk zwei
Untertitel mit auf den Weg; einerseits die verletzbare und durchaus anfecht-
bare Formel von der »Sprechmaschine nackt im Damenjournal«, die dem
Verständnis vom eigenen Wortautonomisten geschuldet war, und anderseits
das teils Unvollkommene, aber gewollt Artifizielle Betonende »80 junge
Papierschnitzel oder die Entwicklung eines Wortkonzerts in durchgeführter
Sprache«. Brock, obgleich noch vor seinen wichtigen Studien bei Adorno,
Horckheimer oder Carlo Schmid in Frankfurt, nahm mit seiner ersten litera-
rischen Arbeit vorweg, was später in Form von vergleichender Ästhetik
und Kulturgeschichte sein Credo werden sollte: Sprache und Bild sind mehr
als nur Informationsträger.
        Natürlich hatte es auch eine Portion jugendlichen Übermut, sich
einer vermutlich als zurechtweisendes Lehrerwort gedachten Vokabel
wie Schwätzer (Bazon = Schwätzer, von griech. bazo) als ehrendes Etikett
anzunehmen; darin steckte Widerstand, Herausforderung und Weitsicht
zugleich, vor allem aber der unbedingte Wille, mit Tradition zu brechen,
Zeitgeist zu überspringen und Aktionsradien anzukündigen, die später zu
einer beträchtlichen Erweiterung unseres Kulturbegriffs führen sollten.
         Freilich blieb der damalige Einstieg in die aktuelle Kulturdiskussion
wie auch der literarische Wert seines Buches vorerst völlig unbemerkt.
Man darf davon ausgehen, daß kaum ein Exemplar in die Redaktionen
größerer Zeitungen oder Zeitschriften versandt worden ist. Auch der als
Verlag firmierende E. A. George, Itzehoe, war bei näherer Betrachtung eine
lokale Auftragsdruckerei, die weder über ein Vertriebsnetz noch über
wesentliche Pressekontakte verfügte. Bazon Brock erinnert sich der dama-
ligen Situation: »... im Kaiser-Karl-Gymnasium zu Itzehoe« (wo der Autor
seine Reifeprüfung ablegte) wurde »durch die Verdienste des Oberstudien-
direktors Max Tiessen und seiner Kollegen in den 50er Jahren ein äußerst
erfolgreiches Modell der Prinzen-Erziehung … befolgt. Man leite die

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Schüler dazu an, den Unterricht möglichst selbst .gestalten zu können; die
Lehrer betätigen sich vornehmlich als Ratgeber, Trainer, Vermittler. Unter
den Lehrern war auch Nico Hansen, der mit anderen Kollegen und ihren
Frauen Theatertruppen aufbaute, Verlage ins Leben rief, eine Schülerzeitung
herausgab.« Gemeint war die ab 1958 in der gleichen Druckerei erschienene
Zeitschrift für die Jugend Der Jungreporter. Nico Hansen vermittelte
auch Brock neben einer Reihe von anderen produktiven Schülern an die
Druckerei E. A. George.
     Das Buch erschien im beinahe quadratischen Format von 20,0 x 20,8cm
als Broschur auf unterschiedlich farbigem Textpapier in zirka 1000 Exem-
plaren, davon 280 Exemplaren als Vorzugsausgabe mit Messingschraubver-
schluß. Eine zweite Auflage erschien auf Betreiben des Hamburger Buch-
händler von der Höh und Jud, die den jungen Autor zu Lesungen einluden
und offensichtlich dessen Erstlingswerk recht gut verkaufen konnten. Die
Höhe der Auflage konnte nicht ermittelt werden, allerdings nahm der Autor
die Nachauflage zum Anlaß, den Schlußteil seines Buches leicht zu ver-
ändern. Damit, erinnert sich Brock, »startete eine Kaskade von weiteren
Aktivitäten in Hamburg, Frankfurt, Basel«. Bereits 1958 beteiligte er sich
u.a. mit Carl Laszlo im Basler Panderma Verlag an einem Manifest gegen
den Avantgardismus
, ehe 1960 im gleichen Verlag als Band 3 der
Dädalus Brocks »Anwendung jenes Prinzips des Unvermögens«
D.A.S.E.R.S.C.H.R.E.C.K.E.N.A.M.S. erschien. Und Zuguterletzt erinnert
sich Brock, daß den Kotflügel Hans Magnus Enzensberger an Peter Suhr-
kamp vermittelte, in dessen Verlag Enzensberger im gleichen Jahr 1957 mit
seinem Gedichtband verteidigung der wölfe debütiert hatte. »… der ältere
Herr (Suhrkamp) bekundete enthusiastisch, daß er das haben wolle. Es stellte
sich später jedoch heraus, daß er damit die Gestaltung des Kotflügels
meinte, keineswegs aber die Elaborate des Autors. Aus Stolz bin ich dann
nie zur Suhrkamp gegangen.«
(Michael Faber)