Magazin Konkret 4/2011

Erschienen
01.04.2011

Verlag
KVV KONKRET

Erscheinungsort
Hamburg, Deutschland

Issue
2011/04

Huldigt den Atommeilern!

Was nützt apokalyptisches Denken? Lebensberatung mit Ästhetikprofessor Bazon Brock

KONKRET: Im Rahmen Ihres Programms zur Bürgerprofessionalisierung in Karlsruhe verhelfen Sie jetzt Normalsterblichen zu Unsterblichkeit. Wozu soll das gut sein?

Brock: Es wird ja immer schwieriger, sich als Bürger zu behaupten, er muß sich daher professionalisieren. In den Karlsruher Lehrveranstaltungen bilden wir die Bürger zum Diplom-Patienten, Diplom-Konsumenten, Diplom-Rezipienten und Diplom-Gläubigen aus. Denn unsere Weltorientierung kann nur dann positiv ausfallen, wenn wir jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Das muß eingeübt werden.
Und da gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man wie der Kölner in seinem naiven Positivismus behaupten: "Et hätt noch immer jot jejange" und dann zugucken, wie sang- und klanglos das Stadtarchiv zusammenbricht und man die eigene Geschichte einbüßt. Oder man kann der gängigen Alltagspraxis der meisten Menschen folgen, die sich millionenfach durch den Konsum von Kriminal- und Horrorfilmen mit den drohenden Katastrophen vertraut machen, um sich so mental für die Katastrophe zu wappnen. Dem entspricht auch die anthropologisch verbriefte Praxis, die wohl allen Kulturen und Glaubensrichtungen gemein ist - nämlich die gemeinsame Verehrung des Übermächtigen. Nur Verehrung bannt den Schrecken.

Sie haben dazu aufgerufen, gemeinsam radioaktiv verstrahlten Müll anzubeten. Davon einmal abgesehen, daß Atommeiler tatsächlich ein bißchen so aussehen wie gigantische, hochmoderne Kathedralen - warum sollten sie das tun?

Die größte denkbare Bedrohung entsteht heute aus den Konsequenzen des menschlichen Handelns selbst, eben zum Beispiel aus radioaktiv strahlendem Müll. Deshalb gilt es, dem Müll selbst alle kultische Verehrung zuteil werden zu lassen. An Stelle der Wehrpflicht sollte die Kultdienstpflicht treten, in Form der kultischen Bewahrung des ewig strahlenden Schreckens. Und ewig meint im Zusammenhang mit den gigantischen Halbwertzeiten ja tatsächlich ewig, anders als bei den bloß dreitausendjährigen Kulturen der Vergangenheit oder des auf 1.000 Jahre ausgelegten, tatsächlich jedoch gerade einmal zwölf Jahre währenden Nazireichs.

Aber was bringt die Mahnung an die Ewigkeit?

Die Ausbildung zum Profibürger soll den Bürger ewigkeitstauglich machen, um damit allen Behauptungen entgegenzutreten, wir lebten in einem Zeitalter reiner Beliebigkeiten, der Relativierung und modischer Gagproduktion. Das Gegenteil ist der Fall. Nie zuvor haben Menschen sich derart auf Ewigkeit verpflichten müssen wie jetzt. Die Aufgabe besteht also darin, die Bürger für die Ewigkeit zu rüsten, ihnen Unsterblichkeit beizubringen, und sie anzuhalten, in der Mitte ihrer Städte Stätten zu errichten, die dem Containment des strahlenden Mülls dienen. Zur Ewigkeitsstiftung sollten sie nach Besuch von Synagoge, Kirche und Moschee auch den Atommeilern huldigen. Zumal das ein Element ist, das alle Menschen kulturübergreifend verbindet, denn das einzige, was die heutigen Menschen ganz sicher gemein haben, sind ihre Probleme. Übrigens wäre es auch höchst nützlich für die Entfaltung von Geistesgegenwart, wenn sich jedermann klar machte, daß die Partikel, aus denen er besteht, beim Urknall entstanden sind, das heißt, daß jeder Mensch und jedes Tier und jede Pflanze 13,7 Milliarden Jahre alt ist.

Sie fordern in diesem Zusammenhang auch zum Training des apokalyptischen Denkens auf. Weltuntergangsbeschwörer gibt es doch aber wirklich genug.

Angesichts der aktuellen Lage der Welt scheint es derzeit nur zwei Haltungen zu geben: Man bekennt sich zu einer realistischen Einschätzung der Lage, was allerdings sehr anstrengend ist und darauf hinausläuft, sich mit der Hoffnungslosigkeit allen Weltlaufs in Richtung Abgrund zufrieden zu geben. Oder man ist Optimist, hofft auf die Ankunft von etwas ganz Neuem oder des Heils oder auf die Rückkehr des Paradieses. Zwischen diesen beiden Haltungen muß es eine Brücke geben. Und da gibt es nur eine einzige Möglichkeit : Das ist das apokalyptische Denken.

Und woher kommt das apokalyptische Denken?

Als die kulturellen Lebensformen entstanden sind und Menschen begannen, sich aneinander zu binden, wurde der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Mitgliedern dadurch gefestigt, daß sie miteinander die Chancen erhöhten, die Herausforderungen des Lebens bewältigen zu können. Wenn nun so ein kleiner Verband in einer Höhle saß, dann mußte er sich überlegen, unter welchen Risiken, mit welchen Erwägungen von Optimismus man sich aus der Höhle wagen konnte. Die Mitglieder haben sich dann in der Höhle vorgestellt, was passieren würde, wenn sie die Höhle verlassen müssten. Und diejenigen, die sich in höchstem Maße antizipierend allen Gefahren stellten, die draußen drohten, von den Giftschlagen über die Greifkatzen bis zu den Felsenstürzen, das waren auch diejenigen, die die größten Chancen hatten, heil wieder zurückzukommen. Es gab also eine Abhängigkeit zwischen der Fähigkeit, in höchster Drastik - und nicht mit Hoffen und Schönreden, sondern ganz realistisch - alles sich vorzustellen, was tatsächlich drohte, und dem späteren Jagderfolg. Das heißt: Ein begründeter Optimismus, mit allem durchzukommen, ist nur durch radikalen Pessimismus möglich. Die Antizipationskraft ist die Synthese aller intellektuellen Leistungen.

Ich stelle mir tatsächlich dauernd vor, daß alles schief geht, daß ich auf dem Fußweg so unglücklich stürze, daß ein Auto über meinen Kopf fährt - das ist doch eher ein Hindernis als eine intellektuelle Meisterleistung.

Was Sie da schildern, ist ein hypochondrisches Verhalten. Das ist auf der individuellen Ebene das, was im Kollektiv der Apokalyptiker ist, nämlich derjenige, der das Schlimmste vorwegnimmt, damit es vermieden werden kann. Der Apokalyptiker nimmt das Ende vorweg, und weil er es vorweggenommen hat, kann er rausgehen und anfangen. Der Hypochonder stellt sich alle möglichen Gefährdungen vor und vermeidet damit instinktiv die Gefahrenquellen.

Das heißt, ich muß die Gefahren kennen und sie vermeiden. Aber dadurch werde ich noch nicht zu einem aktiv Handelnden.

Laut Augustin bedeutet die humane Bewegung gegen die bloße Sachzwangevolution der Naturgesetze gerade, daß es mit dem Menschen ein Prinzip des Anfangens gibt, wo sonst nur unendliche Kontinuität ist. In der Natur gibt es keinen Anfang. Augustin zufolge ist der Mensch geschaffen, damit es das Prinzip des Anfangens geben möge: Initium ut esset homo creatus est . Um damit auch ein völlig neues Verhältnis zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen zu schaffen.

Weshalb spielt denn das Mögliche für das Wirkliche eine so große Rolle?

Weil jedes Handeln des Menschen sich gerade nicht daraus bestimmt, was jetzt gerade zwangsläufig abläuft, sondern aus den Verhältnissen zwischen dem, was jetzt als Realität sich ereignet und der Vielzahl der Möglichkeiten, die es dazu gibt. Ein einfaches Beispiel: Wer sich für einen Lebenspartner entscheidet, tut das immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, für wen er sich alles nicht entschieden hat. Die Realexistenz einer Frau wird niemals aufgehen können in dem, was dieser eine Mann dann für sie ist oder ihr bietet oder aktuell jeden Tag ermöglicht. Sondern sie lebt aus der Erfahrung, daß sie auch einen anderen hätte wählen können, sagen wir mal, sie wählt einen aus möglicherweise sieben Männern. Diese sechs anderen bleiben potentiell erhalten. Der siebente, den sie gewählt hat, ist klug beraten, ihr die Möglichkeit der jederzeitigen Orientierung auf die reine Potentialität zu erhalten. Das sind dann die Phantasmagorien, Traumbilder, Tagträume: Man liegt in den Armen des einen und denkt an einen ganz anderen - das kennt jeder.

Was bedeutet das, wenn man es auf die Gesellschaft überträgt?

Man kann sich ja nicht gegen die Realität wenden, das wäre Tagträumerei. Wetter, Genetik, Vermögen, der Zustand der Gesellschaft, - all das muß man akzeptieren. Aber im Hinblick auf das Reich des Möglichen läßt es sich unterschiedlich bewerten. Apokalyptisches Denken heißt daher: Trainiere die Orientierung auf das Ende, damit du die Kraft zum Anfangen hast. Trainiere die Fähigkeit, virtuell zu antizipieren, was die Welt sein kann, damit du die Kraft hast, in der Realität etwas zu initiieren.
Universal, oder zumindest auf Europa konzentriert, hat die Utopie als Qualifizierung eines Reichs des Möglichen immer eine besondere Rolle gespielt, sei es sozialpsychologisch, politisch, kulturell. Dabei wurde das Verhältnis zwischen dem Utopischen und dem Realen, der Wahrheit und ihrer Kritik, in immer neuen Weisen bestimmt. Je mehr Utopie, desto besser ist die Wahrheit zu kritisieren. Ich habe immer mehr Gesichtspunkte, mich nicht nur dem Terror der Gegebenheiten als Wahrheit zu stellen. Ich habe statt dessen immer bessere Möglichkeiten, mich aus dem Geist der Utopie an die Kritik der Wahrheit zu machen.

Insofern ist eine Debatte wie um die Frage "Ist der Kommunismus tot?" eigentlich Quatsch, oder? Man darf sich nicht immer wieder in die Diskussion ziehen lassen, ob denn nun in einem solchen System alles besser wäre oder nicht, sondern interessant daran ist die Kritik an dem Gegebenen.

Ja. Will man realitätstauglich sein, dann ist das, was besteht, auch das Wahre. Das, was man nicht anders, nach Belieben, verändern kann, ist die Wirklichkeit. Also ist klar: Kommunismus ist nicht die Drohung eines Übertritts in ein ganz anderes Organisationsmodell der Gesellschaft, sondern der Kommunismus scheint so bedrohlich, weil aus diesem Modell heraus, das Gegebene, das kapitalistische System, radikal kritisiert werden kann; und zwar im Sinne des eben Gesagten kritisiert man die Wahrheit des Kapitalismus, nicht Kapitalismus als Lüge. Nicht den Kapitalismus als Täuschungsmanöver, als Ausbeutungs-, als Manipulationsmittel - das kann ja jedes Kind. Sondern es giltden Kapitalismus in seiner Wahrheit zu kritisieren. Das heißt Humanismus: Radikale Kritik an den unerträglichen Zumutungen der Wahrheit; Lügen sind nicht unerträglich, weil man sie ja gerade als solche durchschaut.

Ist es per se gut, sich auch im Alltagsleben Utopien auszumalen, oder sollte man das lieber lassen?

Man muß sich klar machen: Die Reife der Menschheit entsteht, als sie fähig wird, durch den Aufbau des Reichs des Möglichen sich auf die Wirklichkeit einzulassen. Und gerade nicht wegzuträumen, wegzudenken, wegzulaufen, wie die Psychopathen das machen. Natürlich gibt es die überall, die dann das Reich des Möglichen für das Wirkliche halten, die überhaupt alles, was in ihrem Kopf vor sich geht, schon für das Wirkliche halten.
Je mehr man sich auf das Reich der Potentialität einläßt, gewinnt man Reife. Man verläßt den Zustand der reinen Kritik der Irrtümer, der Kritik der Meinung. Bei Hegel sind das die Küchenmädchenträume, die halten die Realität nicht aus und flüchten in die Groschenromane: Ein Graf kommt und küßt das Mädchen auf die Hand. Reif sein heißt indes, von der großen anmaßenden Attitüde - ich bin so klug, weil ich die Irrtümer erkenne und kritisiere, daß die Leute den Lügen und der Manipulation verfallen sind -, von dieser Art der Kritik überzugehen zur Kritik der Wahrheit. Die Utopie ist kein Gegenbild, man braucht den Leuten nicht, wie Marx sagt, ein utopisches Bildchen auszumalen, damit die Gesellschaft weiß, was sie realisieren soll. Das wäre kindlich. Man braucht die Utopie, um die Wahrheit des Gegebenen kritisieren zu können.

Leisten das nicht gleichermaßen KONKRET, Stern, SPIEGEL, FAZ, Handelsblatt?

Der Unterschied liegt in der Unterscheidung von Alarmismus und Finalismus. KONKRET zum Beispiel hat ja eine Herkunft. Peter Rühmkorf, der den KONKRET-Vorläufer "Studentenkurier" gegründet hat, hat Mitte der 50er Jahre mit dem Motiv des „Finismus“ einen wirklichen Weg aufgezeigt. Das heißt Orientierung aus der Vorwegnahme des Endzustands Finis. Und wenn Berlusconi seine Firma heute Fininvest nennt, dann heißt das: Investiere in den Kapitalismus, als den unabdingbaren Weg, den die Wahrheit genommen hat, um daraus Kritik zu entwickeln - die bei ihm allerdings dann auf eine sehr merkwürdige Weise wieder zurückgefallen ist. Wenn sich die einzige Form der Utopie bei ihm aus der Differenz zwischen (männlicher) Potenz und dem alternden Impotenten ergibt, dann muß der Impotente mit 70 Jahren junge Mädchen sammeln und sie zwingen, mit ihm noch mal den Beweis für seine Potenz anzutreten. In Wahrheit müßte er seine Impotenz als die Wahrheit des Zustands kritisieren und sagen: Alles, was ich hier mache, ist ja eigentlich nichts anderes als Weiber abschleppen, die mir über meine Impotenz hinweghelfen. Während der Potente es gerade nicht tut. Der kümmert sich gar nicht darum.

Was heißt nun aber Finismus?

Das heißt, das Ende der möglichen Entwicklungen nicht nur des kapitalistischen Gesellschaftsmodells, sondern aller Unternehmungen zu sehen. Rühmkorf und seine Kollegen sagten sich damals: Wir wissen, wenn wir eine Zeitschrift gründen, das endet im Bankrott. Das ist die Logik des kapitalistischen Warenverkehrs, wir kleinen Scheißer mit unseren paar Moneten - sowas scheitert immer. Wieso machen wir das trotzdem? Man muß also von vornherein, um sowas wie damals im Hamburger Studentenmilieu zu beginnen, sich klar machen, daß das nichts anderes ist als die Einforderung der Wahrheit: Alle Unternehmungen scheitern am Ende. Also ist das der Beginn.

Gibt es doch so etwas wie eine Todessehnsucht?

Dieses Denken hat leider Freud in die falsche Bahn gelenkt. Er nahm an, es gebe in jedem Menschen so etwas wie einen Todestrieb. Das ist falsch. Es gibt einen Antrieb, den Tod zu antizipieren. Riskanteste Abenteuer zu wagen, um gerade das Überleben zu stärken. Freud meinte, wenn Leute riskante Dinge treiben, die aufs Ende abzielen, aus einer Höhle herauszugehen und mit Giftschlangen zu kämpfen etwa, das ist doch irre, das machen die doch nur, weil die einen Todestrieb haben. Das ist völlig falsch. Es ist die anthropologische Konstante, daß man in der Kraft der Antizipation des Endes gerade die Kraft zum Beginnen und Weitermachen erfahren will. Die Extremsportler, die auf die Gipfel steigen, wollen sich ja nicht umbringen, die wollen im Gegenteil ihr Bewußtsein stärken, allen Gefahren trotzen zu können, auf alles vorbereitet zu sein. Die sind extrem vorsichtig und bereiten jeden Schritt genau vor. Das ist also nicht, wie Freud annahm, eine verkappte Erfüllung einer Todessehnsucht, sondern das ist wirklich im apokalyptischen Denken grundlegend, daß das Ziel nicht der Untergang ist, sondern die Vermeidung. Nicht die Katastrophe, sondern die Fähigkeit, ihr gewachsen zu sein.

Aber dem Tod entgehen kann man auch dann nicht, wenn man ihn fleißig geübt hat. Was ist die richtige Strategie, um ihn weniger fürchten zu müssen - unsterblich werden?

Also Fortpflanzung bringt schon mal nicht sehr viel, das ist ein ganz einfaches Kalkül. Ich könnte jetzt drei, vier, fünf Kinder zeugen, die zur Hälfte mein Erbgut tragen und in der nächsten Generation nur noch zu einem Viertel. Da werde ich doch lieber Lehrer oder Minister, da erreiche ich viel mehr als mit eigenem Nachwuchs, der mir auch noch Erziehungskosten abverlangt.

Aber selbst wenn man Bücher schreibt oder Minister wird, einen größeren Sinn sehe ich da auch nicht. Ist der Wunsch nach Unsterblichkeit und einem Lebensziel nicht immer biologistischer oder religiöser Unsinn?

Moment! Dann stellt sich die Frage: Ist ein Leben ohne eine Zielsetzung auf ein Ende, den endlichen eigenen Tod, ist ein Leben ohne eine solche Zielsetzung überhaupt möglich? Nein. Denn man verliert jede Orientierung. Es ist längst experimentell auch im eigenen biographischen Kontext erfahrbar, daß ohne die notwendige Orientierung auf das Reich des Möglichen, kein Überleben möglich ist. Also, wenn jemand sagt: Ich will völlig ohne Vorurteile leben - ohne das Vorurteil „Weihnachtsfeier“ (ohne Geschenke, ohne Rituale, ohne Baum), ohne das Vorurteil „Liebe“ und so weiter, wird er feststellen, daß er so überhaupt nicht leben kann. Der Witz ist, alle Vorurteile sind wirksam, weil sie wahr sind. Das ist der Haken. Bei der humanistischen Erziehung aber kommt es dann darauf an, gerade die Wahrheit der Vorurteile zu kritisieren. Wir sind zum Beispiel von Natur aus Rassisten. Wir sind von Natur aus ethnisch zentriert xenophob, das ist die Wahrheit, und die gilt es zu kritisieren. Denn ich bin auf den Austausch mit anderen angewiesen, sei es jetzt in der globalen Welt oder im kleineren Kreise. Also muß ich ein Verfahren kennen, in dem ich von der Richtigkeit der Vorurteile Gebrauch mache und sie zugleich durch die Kritik an dem Wahrheitsgehalt darin unter Kontrolle halte.

Heute können die Menschen alle möglichen Szenarien simulieren, und müssen sich nicht mehr wie die Höhlenmenschen allein auf ihre Phantasie verlassen. Welche Konsequenzen hat das?

Die Differenz zwischen der realen und der simulierten Situation tendiert gegen null, denn das ist ja der Sinn einer Simulation. Eine Mondfahrt zum Beispiel war aus sicherheitstechnischen und moralischen Gründen erst möglich, nachdem die Raumfahrer sie so trainieren konnten, als wären sie tatsächlich zum Mond geflogen. Ist die Simulation aber erfolgreich, gibt es praktisch keinen Unterschied mehr zwischen simulierter und realer Fahrt, sonst wäre die Simulation ja nicht nützlich als Vorsichts- und Trainingsmaßnahme. Daraus resultieren Verschwörungstheorien, wie z. B. die Behauptung, die Amerikaner hätten ihre Mondlandung in irgendwelchen mexikanischen Wüstenregionen simuliert. Apollo 11 1969 sei eine Propaganda-Lüge. Denn warum sollte man die ungeheuren Kosten einer realen Mondfahrt finanzieren müssen, wenn doch eine Simulation in der Wüste komplett identisch mit dem Realereignis Mondfahrt zu sein habe, um die tatsächliche Mondfahrt überhaupt zu ermöglichen.

- Interview: Tina Klopp -