Buch Ein Lesebuch zur Architektur von Schweger + Partner.

Die hier vorgelegte Dokumentation einer über mehr als 25 Jahre andauernden Beschäftigung mit den Problemen und Aufgaben der Architektur ist ein Anlaß, auch die verbindenden Gedanken zu suchen, welche die in dieser Zeit entstandenen Entwürfe, Projekte und Bauten bestimmen.

Inhalt: Peter M. Bode /P. Nestler, Aus Addition geschaffene Vielfalt; Bazon Brock, Felder und Räume; Ingeborg Flagge, Erfolgreich, geachtet, konsequent, vielseitig; Christoph Hackelsberg, Die gefundene Mitte. - Wolfsburg und sein Kunstmuseum; Carl Haenlein. Ort der Kunst; Carl Haenlein, Architektur, Seismizität und ein Engel; Peter Iden, Imponierender Schauplatz aller Gattungen; Paulgerd Jesberg, Über Architektur »Für sich selbst" und »Für uns«; Gert Kähler, Konstante Qualität; Gert Kähler, Delikates Gleichgewicht; Heinrich Klotz, Unorthodoxe Leistungen; Manfred Sack, Bauen mit Licht - Ein Bürohaus und ein Rathaus; Manfred Sack, Stadtraum bildende Figuren; Mathias Schreiber, Der Verwalter in der Rotunde; Peter P. Schweger, Fortlaufendes Lernen; Peter F. Schweger, Städtische Dichte: Architektonische Utopien in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Erschienen
1997

Herausgeber
Architekten Schweger + Partner,

Verlag
Gebrüder Mann Verlag

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

ISBN
3-7861-2287-3

Umfang
147 S. m. Fotos. 26 cm

Einband
Kartoniert

Architektur am Bau

Eine biblische Weisheit mahnt an, der Mensch lebe nicht von Brot allein. Seit alters beherzigen die guten Baumeister diese Ermahnung. Sie wissen, daß der Mensch nicht in Ziegelsteinen und Beton wohnt, in Marmor und Glas, in Holz und Lehm, sondern in Gedanken und Vorstellungen, in Erinnerungen und Weltbildern. Die Aufgabe der Baumeister und Architekten besteht darin, die Behausung der Menschen mit eben jenen geistigen Leistungen zu verbinden, die das Hausen zum Wohnen werden lassen. Die Architektur verwandelt den Bau als Klimahülle, Versorgungsdepot, Schutzzone und Arbeitsareal in Lebensraum und Lebenswelt. Deswegen ist jede leistungsfähige Architektur ein modellhafter, sozialer Kosmos, der es den Bewohnern erlaubt, ihrer Welt zu begegnen. Das ermöglicht Architektur, indem sie den Bau als gestaltete und erkennbare Ordnung erscheinen läßt. Ordnen heißt, in Zusammenhang stellen, etwa in den Zusammenhang stilistischer Gestaltung, in den Zusammenhang sozialer und funktionaler Abläufe, in den Zusammenhang ideengeschichtlicher, also theologischer, philosophischer und politischer Konzepte des Lebens.

Von diesen Konzepten spricht alle Architektur – aber auf sehr unterschiedliche Weise. Am eindeutigsten ist diese Sprache, wenn der Bau als Verbildlichung der Konzepte gestaltet wird, wenn also beispielsweise in der Antike das Grabmonument eines Bäckers als Backofen veranschaulicht wird, oder um 1800 ein Kuhstall die Gestalt eines monumentalen Hornviechs erhält, oder sich im 20. Jahrhundert die Restaurants einer Fast Food-Kette als gigantische Hamburger am Straßenrand präsentieren. Aber diese platte Umsetzung einer Funktion oder Position in das Bild ihrer selbst hat den Nachteil, gerade durch die Eindeutigkeit ihrer Sprache schnell an Interesse zu verlieren. Bei den epochemachenden Bauaufgaben der Jahrhunderte, den Sakralbauten, den Herrschaftsbauten und den Wirtschaftsbauten also den Tempeln und Kathedralen, den Palästen und Parlamenten, den Kaufhäusern, Bahnhöfen und Fabriken, kam es darauf an, eine spannungsreiche Balance zwischen stilistisch-formalen, technisch-funktionalen und ideengeschichtlichen Motiven zu halten.

Wie gelang das? Die Architekten erhöhten die Abstraktionsleistung in allen drei Konzeptbereichen: Formal-stilistisch wurden Bauformen auf die geometrische Variation von Kreis und Quadrat, von Kubus, Kegel und Zylinder, von Punkt und Linie in den strikten Koordinaten von Vertikalität und Horizontalität ausgerichtet. Das trifft für die griechisch-römische Antike, die Renaissance und den Frühbarock, den Klassizismus und die klassische Moderne zu. Wo man nicht von geometrischen Grundformen, sondern von natürlichen ausging, abstrahierte man den Formenkanon der Pflanzen, die Konturen von Lebewesen und die Dynamik von Bewegungsabläufen – das galt für die Gotik, das Rokoko und den Jugendstil.

Die technisch-funktionale Abstraktion zeigte sich in der Entwicklung universaler Baustoffe (wie Zement) und neuer Bauverfahren (wie Stahlbeton), die in allen Bautypen gleichermaßen verwendbar waren.

Die immer weitergehende Abstraktion theologisch-philosophischer und politischer Konzepte äußerte sich darin, daß etwa Verkehrsbauten sakrale Anmutung erhielten (der Bahnhof als "Kathedrale des Verkehrs"), Fabriken wurden zu Herrschaftsbauten und Kaufhäuser zu Palästen.

Seit Schinkels Zeiten (und Schinkel war gewiß ein überragender Architekt des frühen Industriezeitalters) sehen Postämter wie Gymnasien, Gymnasien wie Finanzämter Finanzämter wie Fabriken, Fabriken wie Rathäuser und Rathäuser wie Kirchen aus. Gerade das hat man allen Schinkel-Nachfolgern zum Vorwurf gemacht, weil man das Entscheidende vergaß. Die Ähnlichkeit der Bauten resultiert aus dem Anspruch auf architektonische Qualität, und die ist, wenn sie gelingt, überall gleich im Gefüge der Proportionen, in der Sorgfalt der Ausführung und in der Klarheit der Formideen. Man hat diese Angleichung als Verlust spezifischer Abweichungen, als Verzicht auf regionale Traditionen und als demokratische Gleichmacherei beklagt – aus verständlichen, aber nicht stichhaltigen Gründen. Was uns als Sammelsurium des Einerlei in den Nachkriegsstädten ans Gemüt geht, ist eben der Mangel an architektonischer Qualität und nicht der Mangel an Vielfalt. Die Typen moderner Arbeitsformen nähern sich einander immer mehr; die sozialen Rollen desgleichen. Da wäre es doch zynisch, Fabrikarbeit und Verwaltung, Arbeiter und Angestellte auf Architekturen festzulegen, denen man schon von außen und erst recht von innen ansieht, daß sie mutwillig einen Unterschied markieren wollen, dem auf der realen Basis kaum noch etwas entspricht. Sollte man etwa darauf verzichten, Fabrikations- und Distributionsstätten nach den gleichen architektonischen Qualitätsmaßstäben zu gestalten, bloß um den Unterschied zwischen Blaumännern und Weißkragenträgern zu markieren? Dergleichen markierende, also bloß vortäuschende Architektur ist in den Disney Worlds vielleicht angebracht, aber jeder spürt die Zumutung, die darin liegt, in solchen Maskenarchitekturen tatsächlich leben und arbeiten zu müssen.

Im übrigen: Die konkreten Rahmenbedingungen für jede Architekturaufgabe in gewachsenen Städten sorgen ohnehin dafür, daß die gleichen Qualitätsformen nicht zu gleichmacherischer Einheitsarchitektur führen. Viele Grundstückszuschnitte, Infrastrukturen, Bauauflagen, klimatische Verhältnisse und Bauökonomien verführen im Gegenteil dazu, oberflächliche Fassadenpointen mit hohem Abstraktionswert den Mangel an tatsächlicher Qualität kaschieren zu lassen. Da wird Architektur zum Oberflächendesign, zum postmodernen Anpreisungsprospekt, und innendrin fällt einem die Decke auf den Kopf.

Der Bau von Schweger+Partner will nicht Status des Bauherrn, Funktionstypus der Baunutzer repräsentieren und pointenschnalzende Fassadenmaske im Straßenbild sein. Er behauptet nicht, unterscheidbare Firmenphilosophie oder politisch-weltanschauliche Positionen architektonisch zu formulieren oder sichtbar werden zu lassen, wodurch sich der Sitz des Giroverbandes von den Bauten der einzelnen Sparkassen abheben sollte. Die Leistung der Architekten wird man erst beurteilen können, wenn man die Aufgabe versteht, der sie sich stellen mußten. Es galt, auf einem heiklen Areal am Schiffgraben in Hannover einen Neobarockbau, einen Nachkriegsanbau und ein Parkplatzgelände des Finanzministeriums als Grundriß eines einheitlichen Baukomplexes zu definieren. Aus den historischen Stilsprachen und Funktionstypen der vorhandenen Baukörper abstrahierten sie die longitudinal ausgerichteten Rechtecke, die T-förmig aufeinanderstehen und deren Richtungsdynamik auf den äußersten Eckpunkt des zu bebauenden Grundstückes zielt. Sie wird veranschaulicht als eine Gerade. Der Verlauf des Schiffgrabens erzwang vom Eckpunkt in Richtung auf den Neobarockbau eine Bogensegmentkrümmung der Fluchtlinie. Damit war das Motiv des Kreises eingeführt; den vollendeten Kreis komponierten die Architekten zurückgesetzt in die Lücke zwischen Neobarockbau und Kreissegmentflügel. Der Kanon der Grundformen wird fortgeführt von einem viergeteiltem Quadrat, das in die Einheit des Formenensembles einbezogen wird durch die dominante Richtungsachse. Komplettiert wird der Kanon durch eine zweite Gerade, die die Richtungsachse und den Kreis im rechten Winkel durchschneidet. Betrachtet man die Komposition als konstruktivistisches Bild, markieren die sich überschneidenden Geraden die beiden Diagonalen. Betrachtet man hingegen den Grundriß von der Eingangsfassade des Baus, dann definieren die sich überschneidenden Geraden Horizontalität und Vertikalität als zentrale Achsen der Orientierung.

Diese in sich ausgewogene, aber doch spannungsreiche Komposition, die es an Qualität mit den besten Arbeiten Lissitzkys, Moholy-Nagys und anderer Konstruktivisten aufnehmen kann, erlauben eine bauliche Entfaltung der Architektursemantik: der Kreis wurde zur Rotunde respektive zum Pantheon, die Richtungsachse zur inneren Fassade, das viergeteilte Quadrat zum aufgebrochenen Kubus eines Abschlusses ohne Endgültigkeit.

Die Bedeutungsassoziationen der Baukörper und die konstruktivistische Bildlichkeit der Grundrißgeometrie müssen und können vom Betrachter von jedem Standpunkt im Bau aufeinander bezogen werden. Damit werden konstruktivistische Formideen und ideengeschichtliche Bedeutung der Bauformen gleichermaßen zur Erschließung des Baus eingesetzt. Die Architektur wird bildlich und das Architekturbild begrifflich.
Die Verbindung zwischen Bildlichkeit und Begrifflichkeit schafft das Kreuz der sich überschneidenden Geraden, wenn wir es als Rotationssymbol für die Bewegung aus dem Bild in den Bau und vom Bau ins Bild verstehen. Jeder Nutzer des Baus wird also von der Architektur aufgefordert, das konstruktivistische Bild als eigene Vorstellung zu vergegenwärtigen. Mit der Bewegung im Baukomplex verwirklicht der Benutzer das Bild der Architektur und wird selbst zu einem architektonisch denkenden Entdecker und Erschließer des Raumes. Er wohnt also tatsächlich in seiner Gedankenarchitektur und nicht mehr nur im Gehäuse der Baumaterialien.