Vortrag / Rede AIT- Skript.

1. AIT-Diskurs Intelligente Architektur – Die Versachlichung des Materials

Termin
1996

Veranstaltungsort
Leinfelden-Echterdingen, Deutschland

Veranstalter
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Rückblende

Im Jahr 1975 schlug ich – von François Burkhardt gedolmetscht und von Hubert Burda finanziell unterstützt – der Stadt Florenz vor, die Leistungsfähigkeit der damals so schwungvoll auftrumpfenden postmodernen Architekten auf die Probe zu stellen. Es sollte ein Entwurfswettbewerb für die Fassade von San Lorenzo veranstaltet werden: rein virtuell, versteht sich, oder theoretisch, auf Widerruf, ohne irreversible Folgen – eben postmodern.

Die sechs besten Entwürfe sollten für je vier Monate der seit 500 Jahren unvollendet gebliebenen Fassade des Brunelleschi-Baus vorgeblendet werden. Das wäre nicht nur eine touristische Attraktion ersten Ranges geworden, sondern ein Feldexperiment für die Tragfähigkeit eines allseits eingeforderten kulturellen Gedächtnisses. Die Postmodernen behaupteten damals, die Geschichte der Moderne revidieren zu wollen durch eine neue Sicht auf Brunelleschi (und dann auf Palladio, Inigo Jones, Schinkel) als Grundsteinleger der Neuzeit.

Eine spannende Aufgabe, denn es sind ja fünf historische Entwürfe für die Vollendung der Fassade von San Lorenzo bekannt, darunter eine Ausarbeitung von Michelangelo als Holzmodell. Diese historischen Entwürfe sollten, so war der Plan, ebenfalls auf Widerruf der Fassade des Brunelleschi-Baus vorgeblendet werden als theatralische Masken im Satyrspiel, das die Postmodernen aller Zeiten mit der Geschichte trieben und treiben. Eines dieser Maskenspiele wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ruf- und Laufweite von San Lorenzo aufgeführt, als die Fassade des Doms S. Maria del Fiore und die von S. Croce im postmodernen Geist des Rinascimento ausgeführt wurden (statt auf Brunelleschi berief man sich auf Arnolfo di Cambio und auf Giotto). Wie bekannt, ist aus diesem Vorschlag nichts geworden, obwohl François Burkhardt (damals Leiter des IDZ Berlin) beste Kontakte zur Stadt unterhielt. Die Kommunisten der Florentiner Regierung glaubten, die Geschichte in ihren so würdigen Zeugnissen nicht unserem experimentellen Mutwillen ausliefern zu dürfen. Sie meinten, Kommunismus sei auf die endlich zu errichtende Moderne orientiert, nicht auf ein Ende der Moderne, bevor die überhaupt verwirklicht worden sei. Inzwischen ist diese Auffassung glänzend durch den Untergang des sozialistischen Imperiums bestätigt: Wir sind wieder in der Prämoderne, wir fangen wieder von vorne an.

Deshalb würde es sich nun wohl endlich lohnen, das Experiment nachzuholen; eine großartige Aufgabe für jeden intelligenten Architektur-Service und für alle Trockenbauer. Also, ihr tatendurstigen Architekten, ihr erfahrenen Soziodesigner, ihr erfolgreichen Rekultivateure, ans Werk! So könnte man nicht nur Maßstäbe einfordern, sondern sie auch experimentell überprüfen.