Vortrag / Rede Ausstellung “Anna & Bernhard Blume – Wahrheiten müssen robust sein"

Auszüge* des Vortrags vom 19.01.2003, Galerie der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, München / Tonbandmitschnitt (*ausgewählt von Anna Blume)

Termin
19.01.2004

Veranstaltungsort
München, Deutschland

Veranstalter
Galerie der DG – Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst

Kunstreligion und Aufklärungspathos

Zwischen Kunst als Kirche und Kirchenkunst.

„Kunstreligion“ – Diesen Begriff hat Hegel lanciert; er wurde aber auch schon früher diskutiert: zwischen Hamann und Herder, Hölderlin, Novalis und Schelling. … Der Begriff hatte also schon eine weite Vorgabe entwickelt, bevor Hegel ihn dann wirklich als strategischen Begriff für die Argumentation einbrachte und in ideologietauglicher Weise vorführte. … Aber nicht nur im Bereich der Kunst ist die Wahrnehmung theologischer Implikationen wieder akut geworden. (Bekanntlich hat z. B. der Begriff des Schöpferischen unter den Künstlern Karriere gemacht.) Man muss vielmehr sehen, dass der gesamte Großbegriffsapparat der Staatswissenschaften, der Politikwissenschaften und eben auch der Künste sich aus theologischen Begriffen entwickelt hat, was wir meistens nicht mehr wahrnehmen, obwohl diese Wahrnehmung in der von Carl Bry bereits 1923 angestoßenen Untersuchung über politische Ideologien, die damals im Schwange waren, schon lebendig war: Sozialismus, Konservativismus, Faschismus: alles verkappte Religionen. Carl Brys „Verkappte Religionen“, das war sozusagen schon das Stichwort für eine andere Art der Orientierung auf die großen Programme: sozialistische, leninistische, stalinistische, faschistisch-nationalsozialistische – sie alle nämlich zu verstehen als Nachfolge von Welterlösungsvorstellungen.
Und Sie wissen, dass in der Kunstreligion der Begriff der Erlösung eine zentrale Bedeutung hat. 1995 gab es diese grandiose Ausstellung „Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915“. Da wurde sichtbar, dass gar keine Rede davon sein kann, in der Moderne habe sich die im Aufklärungszeitalter andeutende Ersetzung des Glaubens durch die Vernunft und der Kirche durch die Wissenschaft durchgesetzt. ... Die Moderne, so wurde deutlich, ist keineswegs getragen durch eine erklärte Abgrenzung gegenüber Irrationalismus, fundamentalistisch zu nennende Glaubens-Attitüden o. a., sondern ganz im Gegenteil, sie ist die komplette durchorganisierte Realisierung dieser Programme, ein Ernstmachen mit dem Programm. Das hat man bis dahin nicht sehen wollen. ... In dieser Ausstellung wurde nun alles zusammengetragen. Und Sie können es noch heute in dem monumentalen Katalog zur Ausstellung sehen und nachlesen, dass die sogenannte Moderne einem sozusagen theologischen Programm folgt.

Dada und Bauhaus – Nehmen wir Dada und Bauhaus: Hugo Ball ist der Entdecker der Bedeutung des Themas der Kunstreligion in der Moderne. Wie gesagt wurde das Thema von Hegel als begriffliche Bestimmung eingeführt, von den Romantikern insgesamt vorher schon lange diskutiert, von Richard Wagner zur politisch brisanten, vorherrschenden Idee gemacht, … von Carl Schmitt auf die Alltagsposition der Politik des Sozialen und Kulturellen nach dem Ersten Weltkrieg bezogen, … aber Hugo Ball hat es auf Dada bezogen. ... Ball stellt Dada als eine Art der modernen Explikation der Glaubenswunder dar, deren er als Katholik vergewissert sein wollte. … Er war der Erste, der den ganzen Hokuspokus von einer Moderne als Absetzungsstrategie gegenüber der mittelalterlichen Spiritualität usw. aufgab, und klar machte, worum es eigentlich ging: U. a. zeigte er, dass man mit dem Namen „Bauhaus“ direkt ans Spirituelle anknüpfte, es fortsetzte, denn die Bauhütte war ja das, was die mittelalterliche Kooperation der anonymen, kollektiven Schöpferkraft der Kulturen ausmachte. Mit der Wahl des Begriffs „Bauhaus“ sollte auf diese mittelalterlich-christliche und auch theologische Tradition abgehoben werden. … Und bis heute ist für alle ‚Modernen’ „Bauhaus“ der Inbegriff. Das Bauhaus intendierte – wie alle modernen Gruppierungen – eine Klostergemeinschaft, eine kollektive Lebensform unter mönchischer Askese, konzentriert auf das Geistige mit rituellen Übungen. … Unglaublich verlockend, jeder möchte da eigentlich sofort einziehen! Wenn man nur wüsste, dass es irgendwo noch so eine Möglichkeit für ein Bauhaus als Bauhütte, für eine in diesem Sinne kollektive anonyme Kreativität gäbe.

Imitatio Christi – In der Ausstellung „Okkultismus und Avantgarde“ wurden also zunächst mal alle Beispiele dieses Typs aufgeführt: Dada, das Bauhaus, der Blaue Reiter, die Futuristen und natürlich das gesamte russische Programm. … In all dem zeigt sich, dass die schöne Vision „Moderne“ als strategische Absetzung von den so genannten jüdisch-christlichen Traditionen, mit ihren Attitüden der Entfaltung der sozialen Passion in der Imitatio Christi, dass die nicht stimmt, … sondern die Kontinuität der Anknüpfung der Kunst an die Theologie im Begriff der Imitatio auch für die ‚Moderne’ in jeder Hinsicht und in allen Formen realisierbar blieb. … Programmbilder, schriftliche Zeugnisse, programmatische Schriften, Form und Gestaltung überhaupt, das Bauhaus als gesamt-lebensreformerisches Programm: Es war belegbar die Imitatio Christi, von woher schon Dürer die erste fundamentale Orientierung der künstlerischen und theoretischen Positionsbestimmung auf die christliche bezog.
Fundamental ist also die Einsicht, dass die Formulierung der Moderne als Absetzbewegung gegen Irrationalismus, theologische Positionen, etc., aufgegeben wurde, weil man plötzlich verstand und fragte: Wie behauptet sich denn nun z. B. Dada in einer bestimmten Tradition des katholischen, theologischen Denkens von Augustin bis in die Gegenwart, und wie z. B. behaupten sich die Futuristen in solchen Traditionen?
Das „Kunstforum“ hat im Frühjahr 2003 versucht, diese Frage von der Gegenwartskunst her aufzurollen. Die von uns hier als „theologisch“ identifizierte Tradition wurde da allerdings abschwächend „das Magische“ genannt. … Wobei es dann auch nicht mehr um die direkte Anknüpfung an die jüdisch-christliche Tradition ging, mit den großen okkultistischen Bewegungen des Judentums, sondern um die anthropologische Rückbindung an das so genannte Primitive, an die natürlichen Gesellschaften, an die Sozietät der Geisteskranken usw.
Jedenfalls hat das, was das Selbstbewusstsein der Moderne auszeichnet, was ihre Kraft zeigt – sich nämlich in solchen Traditionen zu behaupten – mit einer Absetzbewegung nichts zu tun. Von Kandinsky bis Gropius, von Schönberg bis Hugo Ball: an keinem dieser ,Modernen’ kann demonstriert werden, dass Moderne in einer Absetzbewegung von diesen Traditionen bestanden hätte. Also müssen wir uns fragen: Was genau sind das für Traditionen, in denen da operiert wird?
Im „Kunstforum“ heißt es, das Interesse am Magischen, an Psi-Phänomenen, etc., habe das Fernsehpublikum erreicht. Ein modernes, aufgeklärtes Publikum? Festzustellen ist, je mehr sie glauben, aufgeklärt zu sein, desto mehr interessieren sie sich für die Psi-Phänomene, für Okkultismus, für Medialität. Wobei der Begriff des Mediums in das zurückverwandelt wird, woraus er eigentlich stammt, wo also Medien im Sinne der Printmedien, Massenmedien, Fernsehmedien plötzlich auf der Ebene der personalen Inkorporations-, Inkarnations- und Reinkarnations-Problematik – also Medium im eigentlichen Sinne – aufgefasst werden. Aber dieses Interesse, das seinen Reflex vielfach auch in der Kunst hat, ist durchaus quasireligiös.

Politik und Religion: ‚1000jähriges Reich’. Erzwingung der Dauer – Die Tradition der L’ Art de L’ Eternité, die Kunst der erzwungenen Dauer, in deutschen Termini: die Strategie zur Erzwingung von Dauer. Tausendjährigkeit als typisches Beispiel. So, wie das individuelle Leben, tendieren auch alle Reiche dazu, sich auf Dauer zu stellen: … Sie schreiben Ihre Biographie, Sie zeugen Kinder, damit Sie nach dem zufälligen Ende Ihres biologischen Lebens noch präsent sind, also Dauerhaben. ... In den Genen Ihrer Kinder, Enkel und Urenkel haben Sie ja Dauer; auch wenn Sie schon 80 Jahre unter der Erde liegen. ... Aber wenn Sie das extra-genetisch machen, extra-genetisch vererben durch Schreiben, durch Ministerialtätigkeit, durch Priestertätigkeit, durch Lehrtätigkeit, ist das natürlich viel effektiver als durch eigenes Kinderzeugen. – Beispiel Goethe: Als genetischer Vererber ein Flop, mehr als ein August kam dabei nicht heraus, aber mit Gedichten, mit Dramen, mit Ministerialtätigkeit, mit Wissenschaftsadministration hat der Mann ein geniales Beispiel für L’ Art de L’ Eternité geliefert, das heißt für die Kunst, auch in der Abwesenheit auf Dauer präsent zu bleiben. … Und das ist schließlich eine Definition von Gott! … Also: Heroisierung, auf Dauer stellen, Unsterblichkeitsgarantie durch schöpferischen Totenkult, Propaganda für den Tod.
Schauen Sie nur einmal, was hier in München auf dem Königsplatz passierte: das waren rituelle Erzwingungen dieses Kontinuums bis in die griechische Antike zurück. Wenn die Nazis bei der 9. November-Feier hier angetreten waren und die Namen der Toten riefen, und kollektiv alle Angetretenen wie beim militärischen Appell auf jeden Namen hin „hier“ riefen, dann wurde die Antike, dann wurde die gesamte attische Phalanx-Demokratie aufgerufen. … Ein bestimmtes Format, in dem Menschen miteinander antreten, so dass ein bestimmtes Kampfverhalten entsteht. … Das war eine geniale Erfindung, dieser Zwang der Phalanx zur Umwandlung selbst noch von Fluchtreflexen in Aggression. … Bei jeder Feier des 9. November wurde das hier in München auf dem Königsplatz exerziert. … Aber wir wagen das nicht darzustellen. … Wir haben einen Abwehrreflex – verständlicherweise: gegen das, was an Nazityrannei dabei herauskam, was als Programm der Erlösungsvorstellung mit „sechs Millionen Juden systematisch vernichten“ real geworden ist. ... Das ist eine Ebene des Erlösungskonzeptes, die wir gar nicht mal zu denken wagen, die wir aber unbedingt denken müssen, um wirklich zu kapieren, was im Totalitarismus des 20. Jahrhunderts auf dieser Ebene passiert ist.

Wenn Sie sich also auf die Kunstreligion einlassen, auf die Kunsttheologie, dann sind Sie, von der antiken Katharsis-Vorstellung als methodischem Umgang mit diesem Phänomen bis zu der neuen medialen Selbstrechtfertigung bei der Verteilung von Filmen übers Fernsehprogramm der Woche, im Bereich eines solchen Schreckens, wo ca. 1800 zermatschte Leiber, aufgeschnittene Körper, spritzende Gehirne einem heute 7jährigen im Durchschnitt zugemutet werden. … Und dann sind Sie auch im Bereich unserer Konditionierung insbesondere für das Erlösungsprogramm aus Hollywood.

Neuro-Theologie – Von einer weiteren Seite ist das Thema heute ganz außerordentlich brisant. Das kann man mit einem einzigen Buch nachholen: Detlef B. Linke, der Bonner Neurophysiologe hat unter dem Titel „Geist, Glaube und Gehirn“ eine neurobiologische Begründung für diese Auffassung gegeben. ... Zwar ist sehr fraglich, ob das tatsächlich möglich ist, aber immerhin: das, was von den Neurobiologen als These angeführt wird, ist diskussionswürdig. Es geht darum, ob neurologisch, eigentlich sogar neurophysiologisch, eine prozessionale Notwendigkeit von so etwas wie einer Absolutheitsvorstellung, einer Gottesvorstellung nachgewiesen werden kann. …

Christlicher Fundamentalismus – Hierzulande wundert man sich plötzlich, warum der amerikanische Präsident vor den Augen angeblich aufgeklärter Europäer so ein dummes Zeug behaupten kann, er als Präsident bete jeden Tag. Und warum auch seine Kollegen sagen können, sie beteten mindestens dreimal pro Tag. Das wollen die aufgeklärten Europäer nicht verstehen. Also dieses ganze, von uns als fundamentalistisches Getue abqualifizierte Verhalten unter Christen, … unter Christen in den USA: Unter Protestanten ist der Fundamentalismus mindestens so entwickelt wie unter den radikalsten Moslems. ... Da muss einem doch spätestens mal der Gedanke kommen, dass wir mit unserer Tradition der Aufklärung, der lutherischen Reformation ... die größten Fundamentalisten sind! Sind wir hier so schlecht auf unsere eigenen Traditionen hin orientiert, dass wir nicht kapieren, was fundamentalistische Politik in den USA ist, was fundamentalistische Ästhetik in der Moderne ist?

Reliquien in der Kunst: Das ‚Authentische’. Die Bildunterschrift als Reliquie – Man lächelte hierzulande z. B. über den Reliquienglauben, über die Leute mir ihren Reliquienkulturen: Knöchelchen sammeln von Heiligen, sich draufsetzen und sich damit legitimieren – was für eine primitive Haltung! … Wenn wir uns aber heute selber betrachten, entdecken wir, dass wir die kleine Reliquie mit dem kleinen Unterschriftchen „Magritte“ wie einen unglaublich Segen spendenden Gegenstand nehmen, obwohl er hundertprozentig nicht zu unterscheiden ist von 32 gefälschten Magrittes. Das aber wollen wir lieber nicht entdecken, weil uns dann der Magritte in seiner grundlegenden Bedeutung als Reliquie selbst abhanden kommt – wenn er also überhaupt fälschbar wäre. – Und da kommen wir dann plötzlich auf eine ganze Tradition von 1000 Jahren Nachdenken über die Möglichkeit, ob eine Reliquie überhaupt fälschbar ist. … Wenn sie doch in der Verehrergemeinschaft eben jene Reaktionen auslöst, die das heilig-christlich gemäße Leben oder die Nächstenliebe u. a. begründend befördert, wieso handelt es sich dann um eine falsche Reliquie? Kann sich, bezogen aus dem Falschen, … so etwas Großes, so ein Gedanke durchsetzen? Wir machen es also heute ganz genauso, wir nennen das dann nur das „Authentische“.

Der Künstler in der Imitatio Christi: Legitimierung des eigenen schöpferischen Wirkens und Handelns in der Nachfolge Christi – Hier eines der Programmbilder, das Sie ja alle kennen: Dürers im Alter von 29 Jahren gemaltes Selbstbildnis. – Und hier Dürers Stich zum Thema „Ritter zwischen Tod und Teufel“. … Man sagt immer, Dürers Selbstporträt als Christus, also sein Christusbild sei bis ins 19. Jahrhundert verbindlich bzw. vorbildlich geworden; eine bildhafte Begründungsurkunde sozusagen. Die ‚Imitatio’ geht aber eigentlich zurück auf Motive, die zeigen, wie Christus vom Teufel versucht wurde, geht zurück auf Vorhöllenbesuche, Christi Tod- und Auferstehung, die Auferweckung des Lazarus usw. …

Imitatio Christi für Lebensmut, Lebensdynamik, Enthusiasmus, Autonomiestreben – Die Autonomiebehauptung des modernen Individuums, des modernen Künstlers ist nur in der Imitatio Christi möglich: Sich zwischen Tod und Teufel nicht klein kriegen lassen, nicht scheitern vor Angst, Furcht und Unterwerfung. Das ist das moderne, gepanzerte Individuum. Gezeigt wird hier also die Ausrüstung der Autonomie in der Imitatio Christi. Gegen die Versuchungen durch Tod und Teufel, gegen das: „Es hat ja alles gar keinen Zweck, es bricht ja sowieso alles zusammen, es ist ja sowieso alles endlich, weswegen soll ich mich anstrengen, irgendetwas zu erreichen?“ …

Hitler und Stalin – Auf der anderen Seite die teuflische Versuchung, durch Machtgesten, durch Unterwerfung, durch Erzeugen von Opfern die Größe der eigenen Annahmen zu legitimieren. In der bisherigen Geschichtsschreibung gilt: Je mehr Opfer jemand erzeugt, desto glaubwürdiger ist die vertretene Überzeugung, zu deren Durchsetzung die Opfer erzeugt wurden. Deswegen ist Stalin ein großer Mann. Er hat es immerhin auf 20 Millionen Zeugen für die Großartigkeit der Idee des Sozialismus gebracht. Und deswegen hieß es auch in den 68ern: Sozialismus ist etwas ganz anderes als Faschismus, denn mit 20 Millionen Toten zeigt er die Überlegenheit der sozialistischen Ideologie gegenüber der faschistischen, die es nur auf höchstens acht, neun oder zwölf Millionen Tote gebracht hat; jedenfalls noch nicht mal auf die Hälfte. …

Das gepanzerte Individuum in der Imitatio Christi – Und wenn wir sozusagen unser individuelles Leiden, unsere seelischen Kämpfe als Zeichen einer großen Bewegtheit sehen, dann sind wir instinktiv in der ‚Imitatio Christi’. Das nämlich ist das Autonome der modernen Prägung; der Mensch ohne jede Begründung, ohne Verbindlichkeit, des Optionismus der freien Wahl nach überall hin: Wer in seiner Ehe nicht an die Grenze der Überlegung kommt, „muss ich zum Psychiater?“, der hat nicht richtig geliebt; wer in seinem Alltagsleben nicht Machtstrategien, … Durchsetzungsstrategien gegen die Konkurrenten soweit entwickelt, dass er zu dem Gedanken kommt, „ich nehm’ den Revolver“, „ich nehm’ das Messer“, hat eigentlich keine wirkliche Legitimation für seinen Anspruch.
Weswegen uns auch die Filme überall zeigen, wie die Legitimation entsteht: sowohl durch das Killen als auch durch die Selbst-Aufgabe in der Psychiatrie, durch psychiatrische Selbstentmündigung. … Auch da finden wir die Entdeckungsfigur der Kunstreligion. … Wir sind nicht die autonome Absetzbewegung gegenüber dieser gedachten Begründung, sondern wir sind ihre Ausprägung.
Deswegen ist Modernität immer Hochtechnologie und ‚Blut und Boden’. Kalaschnikows, Videos, CD Roms … und Verkündigung programmatischer Unterwerfung unter die Scharia oder das Gottesgebot. ,Blut und Boden’ plus Hochtechnologie! Dann gewinnt das, was wir als „Moderne“ bezeichnen, in der Politik, in den Lebensformen, in der Kultur, in den Künsten eine ganz andere Bedeutung, nämlich diejenige, die in ihrem Kern nichts anderes war als der Anschluss von Modernitätsprogrammatiken an die theologische Geschichte, an die Begründungsgeschichte als ein Heilsgeschehen. – Und deswegen sind bzw. waren alle säkularenhistorischen Bewegungen der Moderne Erlösungsstrategien. – Insbesondere die beiden größten, die universal-sozialistischen und national-sozialistischen Strategien von Stalin und Hitler: Das waren Erlösungsstrategien, Erzwingungsstrategien einer Dauer als Moderne. Als Moderne realisierten sie jene Programme und Weltperspektiven, gnadenlos und ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Individuen.

Und selbst Thomas Mann, der wusste, was passierte. … Selbst der kann dann „Bruder Hitler“ schreiben, weil auch er, als Künstler und Kulturheroe in Gestalt des Literaten, eben jene Ansätze, jene Attitüden zur Erzwingung von Ewigkeit und Dauer, von Gnade und Erlösung in sich verspürte. Weil er sieht, dass in der Kunst, in der Architektur, in der Literatur, vor allem in der Musik genau das gleiche passiert, was da auf der Ebene des Politischen oder der Lebensreformbewegungen sich abspielt. … Das ist der moderne Theologe, der zugleich als Programmatiker der Moderne gezeigt wird, im Sinne der Autonomiebehauptung, der säkularen Souveränitätsbehauptung. …

„Säkularisierung“ – Säkularisierung durch technische Evolution bedeutet, dass die Menschen sich selber das Wirkungspotential der Natur oder der Götter aneignen. – „Gott“ ist das, was uns genuin nicht zu Willen ist. – Obwohl wir beten und Verträge machen: „Ich bete und opfere dir, dann gibst du mir eine gute Frau und zehn Jahre länger zu leben…“. Es hilft alles nichts, denn es ist die Sphäre alles Realen und Wirklichen, worauf wir keinen Einfluss haben; mit keiner Macht, nicht mit Beten, nicht mit Kanonen, nicht mit Atomwaffen, nicht mit Hekatomben von Blut oder Symbolischem. … „Gott“: die Sphäre des Unverfügbaren.
In der Kunsttheorie heißt das „Inkommensurabilität“. – Sie hören da alle gleich Adorno heraus, der ein ausgefuchster Kunsttheologe geworden ist, ein Repräsentant der Kunstreligion gewesen ist. … Wie der seine eigenen Kompositionen zelebriert hat: Es war wirklich, als ob der liebe Gott persönlich Sie am Sonntag früh zwischen elf und zwölf zu einer Matinee in seiner Schöpfung empfangen hätte. – Der Gottesbegriff also bezieht sich auf die prinzipielle Unverfügbarkeit. Es gibt eine Sphäre, die nennen wir „Wirklichkeit“, „Reales“, auf die haben wir mit nichts Einfluss: individuelles Sterbenmüssen, kollektives Schicksal, ... es geht schief trotz aller Berechnung.
Die Säkularen meinen nun, diesen Bereich der Unverfügbarkeit durch technische Manipulation, durch Eingreifen, durch Kultivation, durch systematische Bestimmung ersetzen zu können; darin aber natürlich mit einem Erlösungsanspruch versehen, den die Theologie auf einer anderen Ebene gesehen hat, auf der Ebene der Lehre der „Zwei-Reiche“: Diesseits und Jenseits, das Reich des Kaisers und das Reich Gottes. … Die theologische Vorsichtsmaßnahme war allerdings: Das, was euch nicht zu Willen ist, könnt ihr „Gottes Willen“ nennen. … Ob abwesender oder anwesender Gott spielt keine Rolle, es ist unverfügbar geblieben: inkommensurabel. … Was die Inkommensurabilität aufhebt, ist die Erlösung in der Apokalypse, das „Danach“.

Apokalypse als Kennzeichen der Moderne – „Moderne“ heißt also nichts anderes, als diese beiden Programme, Diesseitiges und Jenseitiges in ein Bild zusammen zu zwingen. Die Apokalypse ist deshalb genuiner Bestandteil der Moderne selbst. Sie ist die Einheit der Beglaubigung des modernen Programms im Sinne der alten Erlösungsstrategien. … Weil nur das Leiden und die Hingabe, weil nur die Logik des Märtyrers tatsächlich eine für Menschen unüberbietbare Evidenz auslöst, ein Evidenzbeweis zu sein scheint, ein: „Ja, so ist es, ich anerkenne es, jawohl“, kennzeichnet dieses Hineinziehen der letzten Prüfung, die Apokalypse als Beglaubigung die Moderne ja wohl wie nichts anderes! Sonst würden wir nie verstehen: Wie kommen die Leute darauf, ein Ziel erreichen zu wollen, für dessen Erreichen sie abschlachten und sich schlachten lassen, töten und getötet werden; wieso eigentlich? Alle Modernen haben diese Tendenz, weil sie ja auf den Akt der Letztbestätigung durch das Opfer gar nicht verzichten können.

Islamische Terroristen als Phänotypen der Moderne – Und wenn wir heute Terroristen deswegen so nennen, weil sie in ihre alltägliche Tat diese apokalyptische Letztbegründung individuell schon mit einbeziehen und sagen: „durch mein Beispiel begründe ich die Zeugenschaft für die Größe von…“ diesem oder jenem, Allah oder was auch immer, dann ist das eine ganz moderne Haltung! Es wird uns nicht gelingen, zu sagen: „diese bekloppten Moslems mit ihrer mittelalterlichen Vorstellung“. Wer sich darauf einlässt, ist bereits verloren und verratzt. ... Denn das ist eine der modernsten Haltungen, die es gibt! … Sie können das durchaus „Faschismus“ oder „Totalitarismus“ nennen, das würde genau übereinstimmen, das ist genau dieselbe Strategie. Sie könnten also wirklich sagen, der heutige fundamentalistische Islam ist die für die heutige Zeit eingeholte Begründung dieser Moderne aus einer anderen Kulturgegend, nämlich der bis dato islamischen; das heißt, die zeigen darin, sie werden modern. … Die fundamentalistische Selbstmordterrorwelle ist das Signum der Modernisierung der islamischen Welt. … Genau wie wir es auch geworden sind: mit Lenin, Hitler, KZs, mit foltern, einsperren, usw.; systematisch-strategische Ausrottung als Erlösungsprogramm. … „Ein nie auszusprechendes Ruhmesblatt“, hat Hitler gesagt. „Wir dürfen es niemanden erzählen.“ Stellen Sie sich einmal die Tragödie vor; „wir vollbringen die größte Erlösungstat der Weltgeschichte und niemand wird’s aufschreiben. Wir tun das Größte, aber keiner weiß es. Wenn wir schlapp werden, dann sind wir Menschlein, die wollen, dass die Bedeutsamkeit ihrer Taten auch publik wird.“ …

Text ohne Autor – Und das, liebe Anwesende, das ist in der Kunst ganz genauso. ... Programmatisch ist bereits die Auslöschung des Autors, die Übernahme der kollektiven schöpferischen Anonymität. Aber die einzelnen Individuen, die diesem Kollektiv angehören, halten es dann doch nicht aus, ohne Nennung ihres Namens von morgens bis abends daran teilzunehmen. – Selbst Duchamp musste seinen Namen pausenlos hören, obwohl er in seinem Werk ja genau das Gegenteil vollzog, nämlich Moderne im Sinne einer abstrakten, allgemeinen, allegorischen Programmatik. Das ganze Werk ist ja nur Allegorie. Er hielt’s aber nicht aus, nicht doch als individueller Künstler angesprochen zu werden. Immer wieder: „Herr Duchamp, … Herr Duchamp, … Herr Duchamp“, … obwohl das, was er vertrat, das Gegenteil war.

Wir müssen uns also auf das Konzept der Kunstreligion einlassen; die Künstler haben es längst getan. Denn schon die christlichen Künstler hatten die Frage zu klären, ob sie „zoographos“ sind. Der Maler und Bildhauer Pisanello (1395-1450) führte den Begriff als Berufsbezeichnung für die Künstler des 15. Jahrhunderts ein. Er fasste sich als jemand auf, der durch Gestaltung etwas Lebendes in die Welt bringt. Was war das Beispiel, das Vorbild? Neben Gott: die Frau! Sie konnte Leben gebären. Also wurde der ganze künstlerische Schöpfungsakt auf die Anagogie, auf die Allegorie und symbolische Einholung des Geburtsvorgangs übertragen. … Es ging um die Frage: Wie kann man aus totem Material – Maschine, Automat, Roboter, Menschenmaschine – etwas lebendig Gewordenes, Animiertes, Beseeltes machen? … Pisanello entdeckte: Durch die gestalteten Werke werden die Betrachter, die Zuschauer, die Zuhörer, die Leser ‚beseelt’, d. h. enthusiasmiert oder erschreckt, triumphal gestärkt oder von bösen Gedanken gepeinigt. … Der Künstler also beseelt diejenigen, die mit Kunstwerken, gestalteten Objekten, Texten, Musik usw. umgehen. – Der Begriff „Animation“ ist uns aus dieser Zeit bekannt. – Man denke an den Animationsfilm, wo man aus lauter toten Bildteilchen den Eindruck einer beseelten, belebten Bewegung herstellt. … Gemütsbewegung, Beseelung. … Das haben die Künstler rechtzeitig entdeckt. … „Was heißt schon: ,imperiale Eroberung der Welt’?! Wir schaffen solches auf dem Papier! Hört auf, Euch da anzustrengen, in Amerika herumzuschippern und Euch dem Ozean zu opfern. Schaut auf unsere Bilder, da habt Ihr die Schöpfung! Denn die sind dadurch animiert, dass Ihr bewegt werdet, wenn Ihr darauf schaut, darin lest, es hört.“ … Der Betrachter also ist der Animateur … und zugleich der Beseelte. Wenn er von einem Bild, einem Zeichengefüge affiziert wird, von totem Material, dann ist das der Beweis für die animierende Kraft genau dieser Darstellung. … Wenn wir uns Bilder Rembrandts anschauen, dann ist das im mimischen Ausdruck genau das, was wir als Beseeltheitserfahrung haben, wenn wir uns wechselseitig anschauen. Wir schauen dann auf die Zeichen des „enthusiasmos“, des „ruach“, des Weltenodems in einem Lebewesen. … Der Künstler besitzt die fabelhafte Fähigkeit, solche animierenden Beseelt- und Bewegtheitserfahrungen unter Ausnutzung des natürlichen Wahrnehmungs- und Weltapparates herzustellen. …Der Maler zeigt mir überdies im evidenten Erleben einer Täuschung zugleich meine Ent-täuschung, nämlich die Entdeckung: „Ach so, es ist ja gar nicht die Realität, es ist ja eine symbolische Repräsentation!“ … Zwar kann oder will ich mich dem Eindruck der Täuschung nicht entziehen, weiß aber zugleich, dass es nicht das ist, was es zu sein scheint, was es vorspiegelt. … Ich bin darüber ent-täuscht, und das klärt mich über mich auf. Und seither ist jede Art von Lernen (zugleich) eine Ent-täuschung. …

Naturwissenschaft als moderne Erscheinungsform der Theologie – Seit dem 18. Jahrhundert, seit Rousseaus Deklaration des Begriffs der Natur, ist die Entwicklung des Begriffs der Imitatio Christi auch mit den Naturwissenschaften eng verbunden. … Das „Gesetz“ wird jetzt nicht mehr auf Gott, sondern auf die Natur bezogen, also z. B. auf die Genetik oder, bei Darwin, auf die Entwicklung der Arten. – Also heißt von da ab alle Begründung: „natürlich“. – Eine natürliche Religion, eine natürliche Auffassung des Glaubens, der Kulturen usw. … Isaak Newton hat, wie Sie wissen, zu dieser neuzeitlichen Ent-täuschung wesentlich beigetragen. Hier sehen Sie ein Mausoleum, ein Denkmalsentwurf für Isaak Newton, der 1727 beerdigt wurde. Und bei seiner Beerdigung folgte die gesamte Gesellschaft inklusive Bischöfe und Aristokratie wie bei der Beisetzung eines Heiligen, dessen Heiligkeit durch die Zeugenschaft derer, die ihn begleiten, wirksam wird. … Dieser Isaak Newton ist für das 18. Jahrhundert die höchste Imitatio Christi, die es überhaupt geben kann: Er ist der Christus, der Auferstandene, der eine Vision des Ganzen dadurch entwickelt, dass er das Gesetz der Umlaufbahnen, also die Ordnungen des Himmels neu begründet hat. Und was, liebe Zuhörer, hat Christus anderes gemacht als eine Vorstellung von der Ordnung des Reiches Gottes und des Himmels zu geben? So ist es mit Newton auch aufgefasst worden, und die Bischöfe sind ihm gefolgt.

„Trinity“ – Ich nennen Ihnen ein weiteres Beispiel, eines der bekanntesten Beispiele für die Überführung der gesamten christlichen Theologie in die Moderne: Statt der Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist, die Trinität von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit! Kein Mensch kann diese Begriffe je in ihrer Bedeutung verstehen, der nicht die christliche Theologie kennt. … Der Bombenbauer Robert Oppenheimer wählte für die Programme, die errealisierte, den Code-Namen „Brahma, Vishnu und Shiva“, den Namen der Hindu-Trinität! Und zwar mit dem Hinweis auf die bedeutende Tatsache, dass man in Shiva den Gott der Zerstörung als Prinzip des schöpferischen Zerstörens sehe. … Hier also wiederum: Erlösen durchs Zerstören, durch Beenden. ... Oppenheimers Lösungsangebot: „ich baue die Bombe“. Oppenheimer hätte auch das christliche Konzept der Dreifaltigkeit bemühen können, die Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. … Und produktives Verbrauchen als Zerstören, das ist ja auch der Kern unseres Wirtschaftslebens.

White Cube Museen – Die moderne Kunst hungert geradezu danach, endlich wieder in den Tempel zurückzukehren, … denn jede beliebige Leinwand, mit irgendetwas bemalt, erhält im White Cube auratische Kraft, hat durch die Konzentration der Aufmerksamkeit auf das eine Moment in der weißen Neutralität, durch diese asketische, säkulare ästhetische Reduktion auf einen einzigen Wahrnehmungseindruck … schon eine derart überhöhende Kraft, dass Sie selbst als schlechter Maler in einem modernen Museum mit diesem Passepartout auratisch strahlen. Hingegen die klassischen Maler, die sich im Schrumpelmuseum, im Privathaushalt bewähren mussten, mit weiteren optischen Eindrücken hier und da: das ist die wahre Nagelprobe, da konnte sich niemand rausreden. Heute aber schaut der Betrachter schon aus Angst vor dem Horror vacui, vor der ganzen Leere auf das wenige Wahrnehmbare da hin und muss zu dem Schluss kommen: „großartiges Gemälde!“ … Die klassischen Maler mussten sich in der Durchsetzung zu Hause noch selber bewähren. … Das könnte heute noch eine Strategie sein: Nehmen Sie ein Bild mit nach Hause und hängen Sie es in die Rumpelkammer, und wenn es da immer noch zu sehen ist, dann wissen Sie, es lohnt sich, das weiter anzuschauen. Aber im White Cube, in so einer asketischen Reduktionsanlage, wo Sie nach allem hungern, … wo ein einzelner Strich oder ein stehen gebliebener Besenstiel sofort als Offenbarungszeichen gelesen werden muss, … denn irgendjemand hat ihn ja hingestellt, mit Absicht, ja wie denn sonst, der Besen fällt ja nicht vom Himmel! … In diesem Museum ist alles zur Kunst … und das Museum zur Kathedrale der Kunstreligion geworden. Zur Kunstreligion als einer Erzwingungsstrategie der Dauer, einer Verfügung über sie. … In jenem auf Dauer gestellten ‚ewigen’ Bestand von ‚großer’ Kunst scheint überdies eine Garantie gegeben, die die genuin christliche Auffassung ja gerade nicht geben kann, weil man mit Gott keine Geschäfte machen kann. … Da kann man nicht sagen: „wir stellen hier ein Standbild auf, wie für den Kaiser, wir beten es immer an, und indem du es anbetest, tust du schon Gutes.“ Das geht ja gerade nicht. Es bleibt die Unverfügbarkeit. … Das Museum als Tempel, als Kirche für die Kunst in der Moderne, ist wirklich so exemplarisch für die Anknüpfung der Moderne an die Theologie, für die säkulare Aufnahme der christlich-jüdischen Theologie in die moderne Kunstprogrammatik, dass es daran wohl nichts zu deuteln gibt.

„Entartete Kunst“ – Hier einige der Frömmsten der Frommen. Sie müssen sich vorstellen, was das bedeutete, als die theologisch Unversierten und Dummen nach dem Krieg dem Kunstwerk abverlangten: „Zeig mal dein autorisiertes Lenden-Mal, das dir die Barbaren der Entarteten-Kunst-Kampagne rein geschnitten haben.“ Nur ein Kunstwerk, das einen Schlitz hat, verursacht durch die Verfolger der Nazi-Entartungs-Kampagne, ist glaubwürdig. Was zerstört, rausgeschmissen, verkauft, in Luzern verhökert wurde, das ist moderne Kunst, es hat das Glaubensstigma der Verfolgung an sich. Hingegen, was nicht den Lanzenstich der Verfolgung als Kunstwerk hat, zählt nicht. … Die ganze Moderne-Kunst-Euphorie im 20. Jahrhundert, oder sagen wir, bei uns hier nach dem zweiten Weltkrieg, ist doch ausschließlich dadurch zustande gekommen, dass wir Naivlinge glaubten, was von einem Hitler verfolgt oder für so gefährlich oder wirksam gehalten werden konnte, dass er es verfolgen, vernichten, die Urheber einsperren und austreiben musste, das muss ja was Großes sein! – Wollen Sie mir sagen, wann die Kunst noch eine größere Bedeutung hat, als wenn irgendjemand dagegen rebelliert, sie zerstört?! – Aktuellstes Beispiel: Gestern der israelische Botschafter in Stockholm, der ein Werk in einem Museum immer noch in dieser Tradition interpretiert. … Das wird jetzt plötzlich als unglaublich wichtiges Kunstwerk dargestellt, denn wenn der israelische Botschafter sich nicht entblödet, dagegen handgreiflich vorzugehen und eine Staatsaffäre dadurch auszulösen, dann muss es ja was sein.

Andy Warhol in der Imitatio Christi – Andy Warhol vollzog die Imitatio Christi sein Leben lang. … In allen Porträts: maskenhafte Starre, totenmaskenhafte Starre. Der Inbegriff der Imitatio Christi, das große Signal des ausgehauchten Lebens. … Und was es bedeutet, dass sozusagen das ausgehauchte Leben zur Ikone wird, das hat Warhol bewiesen. … Das sind alles Kunstwerke, denen das Leben vollkommen ausgehaucht ist. Warhols Werke hängen wirklich am Kreuz! Am Kreuz der Beglaubigung des definitiven Endes: Aus Kunst kommt nichts, keine Hoffnung, gar nichts. Ausschließlich aus ihrer theologischen Begründung. … Was also die Moderne bestimmt, ist wirklich angewandte Theologie. … Denken Sie an Gerhard Merz: ‚niederknien und vor den Bildern beten’.

Der Dom zu Köln: Ort für Touristen. Das Museum Ludwig: Ort der Andacht – Wenn Sie nach Köln kommen, können Sie das Walten des Zeitgeistes brillant verfolgen. Das Museum Ludwig hat sich seitlich neben dem Kölner Dom ausgebreitet, und raffinierterweise ermöglichten die Architekten in einem Flügel dieses Museums den Blick auf das Gotteshaus. Auf derselben Ebene: das rückwärtige Apsidenteil des Doms und der nördlichste Teil des Museums Ludwig. … Das Fenster liegt an einer Stelle, an der normalerweise Fenster nicht vermutet werden. Man muss sich da nämlich klein machen und in Bethaltung runtergehen. Dann sieht man auf die Kathedrale, wie die Touristen den sakralen Ort, das Inkorporationsgefüge der Theologie, mit ihren Attitüden als „modern“ charakterisieren, nämlich als bloße Erlebnisattraktion. … Am sakralen Ort also verhalten sich die Leute säkular und betrachten (bestenfalls) mit einer gewissen Kennerschaft den (neu-) gotischen Bau. Im Museum, dort wo die alten Altarbilder, die früher in den Kathedralen aufgestellt waren, jetzt an der Museumswand hängen, muss von den Wächtern ein großes Schild aufgehängt werden: „Beten verboten!“, weil immer wieder Mütterchen aus dem Eifelumland ins Museum kommen, um jetzt dort zu beten, wie sie das jahrelang in ihrer Dorfkirche getan hatten.
Ja, „Beten verboten!“ – Das aber schafft ja diesen Impuls. – Beten erlaubt oder gar erzwungen. … Jede Kunstkritik für die Moderne heute, jede Monografie über monochrome Malerei, jede Darstellung von Rothko und Newman ist eine tatsächliche Einübung in das Beten vor Objekten, vor denen es für den Modernen erlaubt ist. … Wir müssen kapieren, warum das so ist: dass im Museum vor den tatsächlich für den Altar gemalten Flügeln der großen Meister nicht mehr gebetet werden soll, aber vor einem monochromen Rothko, wie in Houston gar als Kathedrale gestaltet, da muss man erschaudern. … Wobei sich der moderne Mensch, der in einer Rothko-Kathedrale den heiligen Schauer erfährt, gegenüber dem historischen Material als aufgeklärter, kunstwissenschaftlich trainierter, auf Distanz haltender Betrachter versteht.

Polit-Theologie – Sie müssen auch die amerikanische Regierung theologisch verstehen. Sie müssen die gesamten politischen Bewegungen aus dem Nahen Osten, aus der islamischen Welt theologisch sehen – ob Sie wollen oder nicht! … Sie können doch nicht erklären: „Wir haben mit der Theologie nichts zu tun, das ist weit hinter uns, interessiert uns nicht!“ Sie müssen modern werden! Sie werden sich da nicht mehr lange zurückziehen können, das wird nicht mehr lange gehen! Die Fundamentalisten aller Ebenen, diese ‚Modernen’, werden uns das aufnötigen. … Und da können Sie deklarieren, was Sie wollen, das sei primitiv, hinterwäldlerisch, mittelalterlich: es wird sich daran nichts ändern. … Das einzige, was wir sagen können, die Russen und wir: „Liebe Freunde, könnt Ihr bitte verstehen, dass wir unter Lenin, Stalin, Hitler das alles bereits schon mal durchgemacht haben, gönnt uns eine Pause von wenigstens 30 Jahren, bis alle, die es erlebt haben, tot sind. Dann könnt ihr wieder so weitermachen. Wir haben ja nichts dagegen, wenn nach uns die Sintflut, d. h. die Moderne kommt, aber ein bisschen muss unsere Erfahrung doch gewürdigt werden.“ … Und bis dahin bitten wir die Muslime und alle anderen fundamentalistischen Modernen, doch noch etwas Rücksicht auf unsere Gefühle zu nehmen. Wir haben das alles schon erfahren, wir haben das alles schon leidvoll durchdenken müssen, und sind eigentlich nicht mehr so davon überzeugt, modern sein zu wollen.

Technologiepark Bayern – Und nun sind wir wieder in Bayern. Im bayrischen Technologie-Hochentwicklungszentrum. ... Hochtechnologie ohne Lederhose und Gamsbart gibt es nicht. Es sei denn, man wird wahnsinnig oder ist schon so eine genetisch reproduzierte Maschine. Für Menschen bleibt es bei ‚Blut und Boden’ plus Krupp’sche Hochtechnologie, bei Gamsbart und Lederhosen plus Siemens. … Deswegen ist Bayern das fortschrittlichste Land in Deutschland. Zwar wollen es die anderen nicht wahrhaben, aber hier weiß man das.
Die beiden Dinge schließen sich nicht aus, Rationalität und Irrationalität, Vernunft und Glauben; im Gegenteil, das ist dasselbe! Nämlich auf der Ebene einer Begründung, die wir eben „Theologie“ nennen.

„Dt. Gesellschaft für christliche Kunst“ – Zum Schluss verabschieden wir uns mit der Hoffnung, dass sich jetzt hier in diesem Haus, in der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, eine Erschließung der Moderne von ihren theologischen Voraussetzungen her in Gang setzen wird, die nicht mehr die christliche Kunst von der modernen absetzen wird, … eine angeblich herkömmliche ikonografisch-dogmatische Kunst absetzen wird von der Abstraktion, die angeblich keine Ikonografie ist. Denn wir können inzwischen zeigen, dass jede monochrome Malerei, jedes Action-Painting genauso ikonografisch bestimmt ist wie irgendein Beckmann, der eine nackte Frau auf einem schwarzen Schimmel herumreiten lässt. … Die grundlegende Vorgabe wäre: mit den theologischen Begriffen die Kunst zu beschreiben, Kunstkritik zu betreiben. – Was meinen Sie, was das für einen aufklärerischen Impuls hätte, wenn es hinreichend viele Kunstkritiker gäbe, die als Theologen sich mit der Moderne beschäftigen! – Es wird literarisch, musikalisch und bildnerisch nur weitergehen, wenn die Künstler selbst und das Publikum und die Kritik … die alten theologischen Begrifflichkeiten, die mit unglaublicher wissenschaftlicher Prägnanz, mit unglaublicher Leistungsfähigkeit entwickelt worden sind, in der modernen Kunst zur Geltung bringen können. … Daran entwickelte sich dann auch die Kritik an diesen Bildern im Konkreten, ohne dass man unangemessen etwas abservieren oder abqualifizieren würde. … Und meine Hoffnung wäre, dass gerade hier, von der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, diese Orientierung auf die Moderne vorangetrieben werden könnte.
[Zu den Zuhörern:] … Jetzt erreichen wir langsam die Grenze, wo die gruppendynamischen Prozesse in Gang kämen, wo Aggressionen ausbrechen könnten. Wären wir jetzt in einem Seminar draußen bei Monsignore, bekämen wir Bier, damit wir besänftigt würden. Hier gibt es immerhin Wein, Messwein womöglich. Nutzen Sie den aus und versuchen Sie mal herauszukriegen, wie weit Sie Ihre Frau, Ihren Partner schon mal auf diese Programmatik hin festlegen könnten. … Es ist jedenfalls eine ungeheure enthusiastische Animation, eine Belebung, eine Steigerung Ihres Lebens zu erwarten, … und das ist ja schließlich das, was wir von der Kunst generell erwarten. … Für heute danke ich. – Wir kommen aber wieder, wir werden dieses Programm hier, mit Wagner gesprochen, gnadenlos durchziehen!