Ausstellungskatalog Yael Katz ben Shalom. Harry Potter, what do you think about jews?

Eine Installation als Gedächtnisarbeit. Katalog zur Ausstellung im Kunstbunker Tumulka, München, und Alte Synagoge, Erfurt.

Erschienen
2001

Herausgeber
Goethe-Institut Tel Aviv,

Erscheinungsort
Tel Aviv, Isreal

Umfang
NULL

Harry Potter, what do you think about jews.

Zu den Arbeiten von Yael Katz ben Shalom.

Motto von Harry Potter in Begleitung von Schimon Peres, Berlin, Mai 2001:
Man kriegt nicht alle unter einen Hut?
Der Gestor nimmt den Hut, setzt ihn sich auf und geht davon!

Herzls Begriff des Gestors als Bezeichnung für einen "Führer fremder Geschäfte", z.B. als Anwalt des nationalen Interesses der Diasporajuden, geht zurück auf den Begriff res gestae wie z.B. der ara pacis von Kaiser Augustus (Staatsrecht) und auf die negotio gestorum des römischen Privatrechts, die Handeln im wohlverstandenen Interesse Verhinderter/Behinderter legitimierten.
Der Gestor beruft sich bei seinem Auftrag also auf die höhere Notwendigkeit des Einsatzes für die selbst nicht Entscheidungsfähigen.
Welches ist das höhere Interesse, auf das sich heute noch KünstlerInnen berufen könnten?
Im 20. Jahrhundert jedenfalls sahen sich die Künstleravantgardisten als gestores des Fortschritts, der die Zeitgenossenschaft selektierte und im Reinigungsfeuer, dem Purgatorium der christlichen Bombenhöllen wie des jüdischen Holocaust, endete.

Kann man im Interesse eines verhinderten Anderen oder einer handlungsunfähigen Gruppe von Menschen anwaltschaftlich dagegen auch Bedingungen widerrufen, die deren Leben maßgeblich bestimmen? Kann man ihnen mit Wunschphantasien dienen, mit Beschwörungen des Konditionals ‚was wäre gewesen, wenn?‘, um das tatsächlich Geschehene drastischer zu illustrieren? Kann man z.B. noch einmal am Beginn dieser Leben von Einzelnen und Kollektiven anfangen, indem man das Geschehene widerruft? Kann man noch einmal vor hundert Jahren anfangen? Kann man das 20. Jahrhundert widerrufen, weil in ihm alles verloren war von vornherein?
Oder kann man es widerrufen, wenn alles tatsächlich Geschehene vergeben und vergessen wird, indem man es in sühnende Erinnerung verwandelt?

Traumatisiert zu sein heißt, ein Geschehen nicht vergessen zu können und dadurch lebenslang beschädigt zu bleiben.

Wir sehen die Vergeblichkeit, Geschehenes wieder gutzumachen, Programme zu korrigieren oder dem Geborstenen und Gebrochenen einen Hinweis auf das Allheilmittel des beschworenen Nicht-Vergessens beizufügen. Denn, um ein Trauma zu bessern, muß man vergessen können – und um vergessen zu können, muß man sich erinnern. Denn nur eine angemessene Form und Gestalt des Erinnerns ermöglicht das Vergessen der schrecklichen, traumatisierenden Ereignisse, die anzusprechen nicht mehr sinnvoll ist, wenn es keine Täter mehr gibt oder weil der Unterschied zwischen Opfern und Tätern vergessen gemacht wird.

Das 20. Jahrhundert endete, wie es von vornherein programmatisch gemeint war: durch Erfolg zerstört, im Überfluß erstickt und im Scheitern triumphal bestätigt, soweit der neue Mensch alles daran setzte, durch Mord und Vernichtung die übermenschliche, gottersetzende Großartigkeit seiner Ideen zu beweisen. "Weil ich mir selber nicht gewachsen bin, vertrete ich etwas größeres als das Menschenmaß."

Also fangen wir noch einmal an: anstatt mit Richard Wagner und Theodor Herzl Israel zionistisch zu schaffen und immer wieder der Zerstörung auszusetzen, wollen wir mit Meyerbeer, Moses Hess und Josef Samuel Bloch Jerusalem in Europa aufbauen. Statt die bürgerliche Edelfäule mit etwas ästhetischem Terrorismus von Richard Wagner kitzeln zu lassen, räkelten wir uns dann in den Pfühlen Pariser Bankiers- und Musikhurerei, so jedenfalls beschrieb der germanische Rheingoldschatzmeister Meyerbeers Tätigkeit an der Pariser Oper. Statt das alte Jersualem zu erobern, hätten wir ein neues in Mitteleuropa geschaffen als Mitte, wie Hess meinte – ungefähr im Kaisersaschern Thomas Manns – oder auf den Thüringer Höhen – ungefähr bei Erfurt, in dessen jüdischem Kultzentrum Yael Katz ihren Widerruf des 20. Jahrhunderts mit Harry Potter anstimmt. Und das Bayreuth des Erfinders der Todesmarschmusik wäre schon damals ein Hogwarts geworden, Harry Potter statt Alberich, Zauberschule statt Menschenvernichtungsanstalt.

Gegenwärtig arbeitet Yael Katz an dem Programm des Widerrufs. Sie schreibt in Erfurts alter Synagoge die Übersetzungsregeln von Wagner zu Meyerbeer, von Herzl zu Moses Hess, von Bayreuth zu Hogwarts, von palästinensischen Kindern zu israelischen, von männlichen zu weiblichen Pattern, von orientalischen zu europäischen und von den hohen Künsten zu Ästhetiken der Alltagswelt um. Bei diesem Programm bleibt es auch, wenn ihre Aktivitäten und Ausstellungen in der Endgestalt statt in der Initialgestalt des 20. Jahrhunderts realisiert werden, also zunächst im Kunst-Bunker Münchens statt in der Synagoge Erfurts stattfinden.
Anleitung für die Übersetzungsregeln bieten ihr Holocaustmuseen und Gedenkstätten, also Szenarien des Vergessens durch Schaffen von Erinnerung. Dort werden den touristischen Besuchern etwa, wie im Haus der Wannseekonferenz, mit Holocaust-Liturgien bedruckte Plastiktüten für den Einkaufsbummel ausgehändigt oder – wie in amerikanischen Holocaustmuseen – nach Betrachten eines Erinnerungsfilms Opferpässe ausgestellt.

Yael Katz’ Transmissionsarbeit vom 19. ins 21. Jahrhundert entspricht dem Programm Kunst als soziale Strategie, mit dem die Lebensreformer um 1890 im Schweden Strindbergs, im Österreich Freuds, im Deutschland Rathenaus die Zeit nach der Moderne gestalteten. Sie läßt die Versteinerungen und flüchtigen Spuren lesbar werden, die große Ideen, verpflichtendes Menschheitspathos und postpubertäre Schöpferattitüden im Alltagsleben hinterlassen haben. Die neueste Hinterlassenschaft stammt von Außenminister Peres bei seinem Besuch in Deutschaschern Anfang Mai dieses Jahres.
Er vertauschte seine Kippa mit Harrys Zauberhut und sprach die Europäer also an: "Solltet ihr Engel des Giftes nicht bald verstehen, daß Israel ein Teil des vereinigten Europas ist, dann werden wir euch unübersehbar demonstrieren, daß Europa ein Teil Israels ist. Wir haben kein Problem mit den Palästinensern, wir führen keinen Krieg, wir entwickeln nur bestehende Dimensionen. Ihr aber müßt Krieg gegen sie führen, da ihr es euch nicht erlauben könnt, daß sie gegen uns Krieg führen."
Das ist genial, denn das ist die Lösung, eine Harry-Potter-Lösung. "Wenn Israel sich als Teil Europas verstehen will", anwortete der europäische Zauberlehrling Harry dem Herrn Außenminister, "dann hätten wir den Anfang für ein Jerusalem bei Erfurt."

Auch die komplette Personnage steht schon bereit für den Widerruf des 20. Jahrhunderts: die Deutschascherner Größen Thomas Manns. Ich präferiere z.B. Fitelberg, Saul Fitelberg, internationaler Musikgewerbemann und Konzertunternehmer.
"In Wirklichkeit gibt es nur zwei Nationalismen, den deutschen und den jüdischen, und der aller anderen ist Kinderspiel dagegen – wie das Stockfranzosentum eines Anatole France die reine Mondänität ist im Vergleich mit der deutschen Einsamkeit – und dem jüdischen Erwähltheitsdünkel ... France – ein nationalistischer nom de guerre. Ein deutscher Schriftsteller könnte sich nicht gut Deutschland nennen, so nennt man höchstens ein Kriegsschiff. Er müßte sich mit Deutsch begnügen – und da gäbe er sich einen jüdischen Namen, – oh, la, la!
Meine Herren, dies ist nun wirklich der Türgriff, ich bin schon draußen. Ich sage nur eines noch. Die Deutschen sollten es den Juden überlassen, prodeutsch zu sein. Sie werden sich mit ihrem Nationalismus, ihrem Hochmut, ihrer Unvergleichlichkeitspuschel, ihrem Haß auf Einreihung und Gleichstellung, ihrer Weigerung, sich bei der Welt einführen zu lassen und sich gesellschaftlich anzuschließen, – sie werden sich damit ins Unglück bringen, in ein wahrhaft jüdisches Unglück, je vous le jure. Die Deutschen sollten dem Juden erlauben, den médiateur zu machen zwischen ihnen und der Gesellschaft, den Manager, den Impresario, den Unternehmer des Deutschtums – er ist durchaus der rechte Mann dafür, man sollte ihn nicht an die Luft setzen, er ist international, und er ist pro-deutsch ... Mais c’est en vain. Et c’est très dommage. Was rede ich noch? Ich bin längst fort. Cher Maitre, j’etais enchanté. J’ai manqué ma mission, aber ich bin entzückt."

Sie, hochmögende Bekenner, können mir, Bazon Brock, glauben, wie verzückt erst die Deutschen nach ihrer schweren Entdeutschung als universalgeschichtlich einmalige Massenmörder wären, wenn ihnen diese Schandlast beim zweiten Durchgang, im Widerruf des 20. Jahrhunderts, mit einem Jerusalem in Mitteleuropa, erspart bleiben würde. Meinten die Israelis es doch ernst mit der Behauptung, Teil Europas zu sein! Alle Deutschen jedenfalls überließen ihnen herzlich gerne das geographische Areal, das Deutschland zu nennen ohne Juden völlig sinnlos ist, aber als ein neues Jerusalem endlich die Weltmission erfüllen könnte, von der ihm Josef Samuel Bloch erzählte, Meyerbeer vorsang und das Moses Hess beschwor.
"Die Mission besteht letztlich darin, die Menschheit vom Nationalismus zu erlösen, in ihm erfüllt sich die Idee der Aufklärung. Da die Juden eine wichtige Rolle in der Gestaltung des Nationalstaates spielen sollen, kommt die Idee der Aufklärung durch Verjudung wieder zum Vorschein. In den Blochschen Vorstellungen über die Aufklärung und ihre Verwirklichung im alten k.u.k. Österreich triumphiert schließlich der Nationalstaat über seine Widersacher. In der jüdischen Vision einer supranationalen Welt vereinigt sich auf eigentümliche Weise die jüdische Orthodoxie mit einem postmodernen Kosmopolitismus. Indem er gleichsam die klassische Moderne mit ihrem Ideal des Nationalstaates überspringt (oder im Brockschen Sinne: widerruft), kann er zu seinen orthodoxen Wurzeln zurückfinden", schreibt Michael Ley in "Abschied von Kakanien. Antisemitismus und Nationalismus" (Wien 2001, Seite 230).
Damit findet die jüdische Mission im Anschluß an die Aufklärung von Meyerbeer, Moses Hess und Samuel Bloch (wie die frühere von Moses Mendelssohn, Lessing und Mozart) den Anschluß ans 21. Jahrhundert als Brücke über die troubled waters des Zeitflusses im 20. Jahrhundert. Es ist die Ausformung von Diaspora als Globalisierung, von Orthodoxie als Aufklärung gegen Heilsversprechen des Nationalismus, von Erinnerung als notwendiger Form des Vergessens, von den Juden der christlich-arischen Erwähltheitslehre zu den arabischen Juden der Juden.

Dieser Mission widmet sich Yael Katz in ihrem Werk. Sie nutzt die Techniken der Bricolage und des Patchworks, um die ins Weite zerstreuten Fragmente eines ehemaligen Werkzusammenhangs von tiefer, großer, schöner seelischer Kraft, die wir nie wieder erreichen werden, doch noch zu vereinen, so daß die Sehnsucht nach dem ein für allemal verlorenen großen Kunstwerk spürbar wird. Sie sammelt Gesten und Stimmen, nicht mehr wie ein kabarettistischer Imitator oder schauspielernder Mimetiker, sondern wie ein Resteverwerter oder ein ethisch und ökologisch aufmerksamer Haushaltsvorstand. Gerade die Spur der Zerstreuung, die Scherbenfragmente, die deutungsbedürftigen Reste zeigen Künstlern, Archäologen und Historikern als Lobbyisten der Toten, was wir ein für allemal verlieren mußten, um die Fülle des Selbstverständlichen aber Unerheblichen durch die Kostbarkeit seltener Erinnerung an das niemals Erreichte und zu Erreichende zu überbieten.
In der Diaspora wachsen Idee und Wunsch der Einheit, der Reinheit, des Nationalstaats und der Idealgesellschaft mit "neuen Menschen"; im je konkreten Israel, im je geschaffenen Werk, im Zwang zur konsensuellen Bestätigung der Identitätsfiktion wächst der Bekenntnisekel gegen das Kontrafaktische, wächst die Sehnsucht nach einem Realismus, vor dem alle Größe nur erdacht, alle Macht nur phantasiert und alle Gemeinschaft durch Gesellung eines gesunden Egoismus und der kreativen Opportunität von Individuen zustandekommt (vgl. Natan Sznaider, FAZ 26.4.01).
Von solchem Realismus ist das Schaffen Yael Katz’ gezeichnet – ja, eben gezeichnet.

Geht zu Yael Katz in den Kunst-Bunker nach München und die Synagoge nach Erfurt, damit ihr die Bewegungsrichtung zu ändern lernt, euch für die Heimreise rüstet! Harry hilft Yael aus. Der Zauber der Kunst wirkt. Stellt euch mit Yael vor, ihr wacht im Münchener Bunker oder in der Erfurter Synagoge auf, und das 20. Jahrhundert hat es niemals gegeben. Das wäre die triumphale Bestätigung einer Künstlerin, die sich als Gestor einer kunstfernen und kunstvergessenen Gesellschaft versteht. Ihre einzelnen Arbeiten sind tatsächlich nicht mehr Kunstwerke, sondern Erinnerungen an die kunstpathetische Schöpfergeste, die wir vergessen müssen, weil sie für die traumatisierende Programmgläubigkeit des 20. Jahrhunderts und deren Verwirklichungsfolgen einen schrecklichen Beitrag geliefert hat. Die kontrafaktische, d.h. die wahnhafte Annahme von kultureller Identität, von Weltschicksal einer Ethnie wie deren Auserwähltsheitsfimmel wurden ausdrücklich von Künstlern und nicht von specknackigen Unternehmern und schnarrenden preußischen Offizieren in die Welt gesetzt.
Künstler entwarfen das Progrom gegen die "entartete Kunst", Künstler erzwangen mit den Mitteln der Destruktion den Absolutheitsanspruch der heiligen und zum Fanatismus verpflichtenden Aufgabe der Kunst. Gerade Künstler hätten allen Grund zum Widerruf ihrer eigenen Überzeugungen und Werkstrategien des 20. Jahrhunderts.

Yael Katz ist eine der wenigen Künstlerinnen, die widerrufen haben und danach in aller schmerzlichen Selbstbeschränkung und Selbstfesselung des Schöpferwahns von Neuem zu arbeiten begannen.
So müssen wir alle lernen, von Neuem zu beginnen.

gt nicht alle unter einen Hut?
Der Gestor nimmt den Hut, setzt ihn sich auf und geht davon!

Herzls Begriff des Gestorsals Bezeichnung für einen „Führer fremder Geschäfte“, z.B. als Anwalt des nationalen Interesses der Diasporajuden, geht zurück auf den Begriff res gestaewie z.B. der ara pacis von Kaiser Augustus (Staatsrecht) und auf die negotio gestorumdes römischen Privatrechts, die Handeln im wohlverstandenen Interesse Verhinderter/Behinderter legitimierten.
Der Gestor beruft sich bei seinem Auftrag also auf die höhere Notwendigkeit des Einsatzes für die selbst nicht Entscheidungsfähigen.
Welches ist das höhere Interesse, auf das sich heute noch KünstlerInnen berufen könnten?
Im 20. Jahrhundert jedenfalls sahen sich die Künstleravantgardisten als gestoresdes Fortschritts, der die Zeitgenossenschaft selektierte und im Reinigungsfeuer, dem Purgatorium der christlichen Bombenhöllen wie des jüdischen Holocaust, endete.

Kann man im Interesse eines verhinderten Anderen oder einer handlungsunfähigen Gruppe von Menschen anwaltschaftlich dagegen auch Bedingungen widerrufen, die deren Leben maßgeblich bestimmen? Kann man ihnen mit Wunschphantasien dienen, mit Beschwörungen des Konditionals was wäre gewesen, wenn?, um das tatsächlich Geschehene drastischer zu illustrieren? Kann man z.B. noch einmal am Beginn dieser Leben von Einzelnen und Kollektiven anfangen, indem man das Geschehene widerruft? Kann man noch einmal vor hundert Jahren anfangen? Kann man das 20. Jahrhundert widerrufen, weil in ihm alles verloren war von vornherein?
Oder kann man es widerrufen, wenn alles tatsächlich Geschehene vergeben und vergessen wird, indem man es in sühnende Erinnerung verwandelt?

Traumatisiert zu sein heißt, ein Geschehen nicht vergessen zu können und dadurch lebenslang beschädigt zu bleiben.

Wir sehen die Vergeblichkeit, Geschehenes wieder gutzumachen, Programme zu korrigieren oder dem Geborstenen und Gebrochenen einen Hinweis auf das Allheilmittel des beschworenen Nicht-Vergessens beizufügen. Denn, um ein Trauma zu bessern, muß man vergessen können – und um vergessen zu können, muß man sich erinnern. Denn nur eine angemessene Form und Gestalt des Erinnerns ermöglicht das Vergessen der schrecklichen, traumatisierenden Ereignisse, die anzusprechen nicht mehr sinnvoll ist, wenn es keine Täter mehr gibt oder weil der Unterschied zwischen Opfern und Tätern vergessen gemacht wird.

Das 20. Jahrhundert endete, wie es von vornherein programmatisch gemeint war: durch Erfolg zerstört, im Überfluß erstickt und im Scheitern triumphal bestätigt, soweit der neue Mensch alles daran setzte, durch Mord und Vernichtung die übermenschliche, gottersetzende Großartigkeit seiner Ideen zu beweisen. „Weil ich mir selber nicht gewachsen bin, vertrete ich etwas größeres als das Menschenmaß.“

Also fangen wir noch einmal an: anstatt mit Richard Wagner und Theodor Herzl Israel zionistisch zu schaffen und immer wieder der Zerstörung auszusetzen, wollen wir mit Meyerbeer, Moses Hess und Josef Samuel Bloch Jerusalem in Europa aufbauen. Statt die bürgerliche Edelfäule mit etwas ästhetischem Terrorismus von Richard Wagner kitzeln zu lassen, räkelten wir uns dann in den Pfühlen Pariser Bankiers- und Musikhurerei, so jedenfalls beschrieb der germanische Rheingoldschatzmeister Meyerbeers Tätigkeit an der Pariser Oper. Statt das alte Jersualem zu erobern, hätten wir ein neues in Mitteleuropa geschaffen als Mitte, wie Hess meinte – ungefähr im Kaisersaschern Thomas Manns – oder auf den Thüringer Höhen – ungefähr bei Erfurt, in dessen jüdischem Kultzentrum Yael Katz ihren Widerruf des 20. Jahrhunderts mit Harry Potter anstimmt. Und das Bayreuth des Erfinders der Todesmarschmusik wäre schon damals ein Hogwarts geworden, Harry Potter statt Alberich, Zauberschule statt Menschenvernichtungsanstalt.

Gegenwärtig arbeitet Yael Katz an dem Programm des Widerrufs. Sie schreibt in Erfurts alter Synagoge die Übersetzungsregeln von Wagner zu Meyerbeer, von Herzl zu Moses Hess, von Bayreuth zu Hogwarts, von palästinensischen Kindern zu israelischen, von männlichen zu weiblichen Pattern, von orientalischen zu europäischen und von den hohen Künsten zu Ästhetiken der Alltagswelt um. Bei diesem Programm bleibt es auch, wenn ihre Aktivitäten und Ausstellungen in der Endgestalt statt in der Initialgestalt des 20. Jahrhunderts realisiert werden, also zunächst im Kunst-Bunker Münchens statt in der Synagoge Erfurts stattfinden.
Anleitung für die Übersetzungsregeln bieten ihr Holocaustmuseen und Gedenkstätten, also Szenarien des Vergessens durch Schaffen von Erinnerung. Dort werden den touristischen Besuchern etwa, wie im Haus der Wannseekonferenz, mit Holocaust-Liturgien bedruckte Plastiktüten für den Einkaufsbummel ausgehändigt oder – wie in amerikanischen Holocaustmuseen – nach Betrachten eines Erinnerungsfilms Opferpässe ausgestellt.

Yael Katz’ Transmissionsarbeit vom 19. ins 21. Jahrhundert entspricht dem Programm Kunst als soziale Strategie, mit dem die Lebensreformer um 1890 im Schweden Strindbergs, im Österreich Freuds, im Deutschland Rathenaus die Zeit nach der Moderne gestalteten. Sie läßt die Versteinerungen und flüchtigen Spuren lesbar werden, die große Ideen, verpflichtendes Menschheitspathos und postpubertäre Schöpferattitüden im Alltagsleben hinterlassen haben. Die neueste Hinterlassenschaft stammt von Außenminister Peres bei seinem Besuch in Deutschaschern Anfang Mai dieses Jahres.
Er vertauschte seine Kippa mit Harrys Zauberhut und sprach die Europäer also an: „Solltet ihr Engel des Giftes nicht bald verstehen, daß Israel ein Teil des vereinigten Europas ist, dann werden wir euch unübersehbar demonstrieren, daß Europa ein Teil Israels ist. Wir haben kein Problem mit den Palästinensern, wir führen keinen Krieg, wir entwickeln nur bestehende Dimensionen. Ihr aber müßt Krieg gegen sie führen, da ihr es euch nicht erlauben könnt, daß sie gegen uns Krieg führen.“
Das ist genial, denn das ist die Lösung, eine Harry-Potter-Lösung. „Wenn Israel sich als Teil Europas verstehen will“, anwortete der europäische Zauberlehrling Harry dem Herrn Außenminister, „dann hätten wir den Anfang für ein Jerusalem bei Erfurt.“

Auch die komplette Personnage steht schon bereit für den Widerruf des 20. Jahrhunderts: die Deutschascherner Größen Thomas Manns. Ich präferiere z.B. Fitelberg, Saul Fitelberg, internationaler Musikgewerbemann und Konzertunternehmer.
„In Wirklichkeit gibt es nur zwei Nationalismen, den deutschen und den jüdischen, und der aller anderen ist Kinderspiel dagegen, – wie das Stockfranzosentum eines Anatole France die reine Mondänität ist im Vergleich mit der deutschen Einsamkeit – und dem jüdischen Erwähltheitsdünkel ... France– ein nationalistischer nom de guerre. Ein deutscher Schriftsteller könnte sich nicht gut Deutschlandnennen, so nennt man höchstens ein Kriegsschriff. Er müßte sich mit Deutschbegnügen – und da gäbe er sich einen jüdischen Namen, – oh, la, la!
Meine Herren, dies ist nun wirklich der Türgriff, ich bin schon draußen. Ich sage nur eines noch. Die Deutschen sollten es den Juden überlassen, prodeutsch zu sein. Sie werden sich mit ihrem Nationalismus, ihrem Hochmut, ihrer Unvergleichlichkeitspuschel, ihrem Haß auf Einreihung und Gleichstellung, ihrer Weigerung, sich bei der Welt einführen zu lassen und sich gesellschaftlich anzuschließen, – sie werden sich damit ins Unglück bringen, in ein wahrhaft jüdisches Unglück, je vous le jure. Die Deutschen sollten dem Juden erlauben, den médiateur zu machen zwischen ihnen und der Gesellschaft, den Manager, den Impresario, den Unternehmer des Deutschtums – er ist durchaus der rechte Mann dafür, man sollte ihn nicht an die Luft setzen, er ist international, und er ist pro-deutsch ... Mais c’est en vain. Et c’est très dommage. Was rede ich noch? Ich bin längst fort. Cher Maitre, j’etais enchanté. J’ai manqué ma mission, aber ich bin entzückt.“

Sie, hochmögende Bekenner, können mir, Bazon Brock, glauben, wie verzückt erst die Deutschen nach ihrer schweren Entdeutschung als universalgeschichtlich einmalige Massenmörder wären, wenn ihnen diese Schandlast beim zweiten Durchgang, im Widerruf des 20. Jahrhunderts, mit einem Jerusalem in Mitteleuropa erspart bleiben würde. Meinten die Israelis es doch ernst mit der Behauptung, Teil Europas zu sein! Alle Deutschen jedenfalls überließen ihnen herzlich gerne das geographische Areal, das Deutschlandzu nennen ohne Juden völlig sinnlos ist, aber als ein neues Jerusalemendlich die Weltmission erfüllen könnte, von der ihm Josef Samuel Bloch erzählte, Meyerbeer vorsang und das Moses Hess beschwor.
„Die Mission besteht letztlich darin, die Menschheit vom Nationalismus zu erlösen, in ihm erfüllt sich die Idee der Aufklärung. Da die Juden eine wichtige Rolle in der Gestaltung des Nationalstaates spielen sollen, kommt die Idee der Aufklärung durch Verjudung wieder zum Vorschein. In den Blochschen Vorstellungen über die Aufklärung und ihre Verwirklichung im alten k.u.k. Österreich triumphiert schließlich der Nationalstaat über seine Widersacher. In der jüdischen Vision einer supranationalen Welt vereinigt sich auf eigentümliche Weise die jüdische Orthodoxie mit einem postmodernen Kosmopolitismus. Indem er gleichsam die klassische Moderne mit ihrem Ideal des Nationalstaates überspringt (oder im Brockschen Sinne: widerruft), kann er zu seinen orthodoxen Wurzeln zurückfinden“, schreibt Michael Ley in „Abschied von Kakanien. Antisemitismus und Nationalismus“ (Wien 2001, Seite 230).
Damit findet die jüdische Mission im Anschluß an die Aufklärung von Meyerbeer, Moses Hess und Samuel Bloch (wie die frühere von Moses Mendelssohn, Lessing und Mozart) den Anschluß ans 21. Jahrhundert als Brücke über die troubled watersdes Zeitflusses im 20. Jahrhundert. Es ist die Ausformung von Diaspora als Globalisierung, von Orthodoxie als Aufklärung gegen Heilsversprechen des Nationalismus, von Erinnerung als notwendiger Form des Vergessens, von den Juden der christlich-arischen Erwähltheitslehre zu den arabischen Juden der Juden.

Dieser Mission widmet sich Yael Katz in ihrem Werk. Sie nutzt die Techniken der Bricolage und des Patchworks, um die ins Weite zerstreuten Fragmente eines ehemaligen Werkzusammenhangs von tiefer, großer, schöner seelischer Kraft, die wir nie wieder erreichen werden, doch noch zu vereinen, so daß die Sehnsucht nach dem einfür allemal verlorenen großen Kunstwerk spürbar wird. Sie sammelt Gesten und Stimmen, nicht mehr wie ein kabarettistischer Imitator oder schauspielernder Mimetiker, sondern wie ein Resteverwerter oder ein ethisch und ökologisch aufmerksamer Haushaltsvorstand. Gerade die Spur der Zerstreuung, die Scherbenfragmente, die deutungsbedürftigen Reste zeigen Künstlern, Archäologen und Historikern als Lobbyisten der Toten, was wir einfür allemal verlieren mußten, um die Fülle des Selbstverständlichen aber Unerheblichen durch die Kostbarkeit seltener Erinnerung an das niemals Erreichte und zu Erreichende zu überbieten.
In der Diaspora wachsen Idee und Wunsch der Einheit, der Reinheit, des Nationalstaats und der Idealgesellschaft mit „neuen Menschen“; im je konkreten Israel, im je geschaffenen Werk, im Zwang zur konsensuellen Bestätigung der Identitätsfiktion wächst der Bekenntnisekel gegen das Kontrafaktische, wächst die Sehnsucht nach einem Realismus, vor dem alle Größe nur erdacht, alle Macht nur phantasiert und alle Gemeinschaft durch Gesellung eines gesunden Egoismus und der kreativen Opportunität von Individuen zustandekommt (vgl. Natan Sznaider, FAZ 26.4.01).
Von solchem Realismus ist das Schaffen Yael Katz’ gezeichnet – ja, eben gezeichnet.

Geht zu Yael Katz in den Kunst-Bunker nach München und die Synagoge nach Erfurt, damit ihr die Bewegungsrichtung zu ändern lernt, euch für die Heimreise rüstet! Harry hilft Yael aus. Der Zauber der Kunst wirkt. Stellt euch mit Yael vor, ihr wacht im Münchener Bunker oder in der Erfurter Synagoge auf, und das 20. Jahrhundert hat es niemals gegeben. Das wäre die triumphale Bestätigung einer Künstlerin, die sich als Gestor einer kunstfernen und kunstvergessenen Gesellschaft versteht. Ihre einzelnen Arbeiten sind tatsächlich nicht mehr Kunstwerke, sondern Erinnerungen an die kunstpathetische Schöpfergeste, die wir vergessen müssen, weil sie für die traumatisierende Programmgläubigkeit des 20. Jahrhunderts und deren Verwirklichungsfolgen einen schrecklichen Beitrag geliefert hat. Die kontrafaktische, d.h. die wahnhafte Annahme von kultureller Identität, von Weltschicksal einer Ethnie wie deren Auserwähltsheitsfimmel wurden ausdrücklich von Künstlern und nicht von specknackigen Unternehmern und schnarrenden preußischen Offizieren in die Welt gesetzt.
Künstler entwarfen das Progrom gegen die „entartete Kunst“, Künstler erzwangen mit den Mitteln der Destruktion den Absolutheitsanspruch der heiligen und zum Fanatismus verpflichtenden Aufgabe der Kunst. Gerade Künstler hätten allen Grund zum Widerruf ihrer eigenen Überzeugungen und Werkstrategien des 20. Jahrhunderts.

Yael Katz ist eine der wenigen Künstlerinnen, die widerrufen haben und danach in aller schmerzlichen Selbstbeschränkung und Selbstfesselung des Schöpferwahns von Neuem zu arbeiten begannen.
So müssen wir alle lernen, von Neuem zu beginnen.

siehe auch: