Zeitung Welt am Sonntag

Erschienen
29.04.2001

Verlag
Axel Springer AG

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Issue
29.4.2001

Fanatismus und Ekstase. Kanzler, Disco und El Greco.

Das Kunsthistorische Museum in Wien eröffnet am 4. Mai die kulturtouristische Attraktion dieses Jahres: Drei Dutzend erstrangiger Gemälde von El Greco. Dergleichen war nie zuvor im deutschsprachigen Raum zu sehen gewesen. Anpreisung und Erwartung sind kaum zu überbieten: Das Genie aus dem historischen Dunkel – die Legende von Toledo – der Meister des Manierismus – die Künstlerseele der Gegenreformation – der Erfinder des Expressionismus. Schön, schön, wunderbar. Aber was heißt schon Manierismus und Expressionismus? Drastisch gesagt bezeichnet der Manierismus ein Verfahren zur Erzwingung von Gefühlen in leeren Seelen, also ein Disco-Phänomen: Man peitscht den eigenen Körper so lange durch gewalttätig rituelle Bewegungsschemata, bis man ein Gefühl für die Selbstwahrnehmung entwickelt und sei es auch nur das lustvolle Gefühl der Erschöpfung oder des Schmerzes. Heute betreiben das Heerscharen von Sozialautisten, Zeitgenossen mit gestörter Selbst- und Fremdwahrnehmung, die vor lauter politischer Korrektheit und Goodwill-Bekundungen innerlich erstarrt sind.

In El Grecos Lebenszeit (ca. 1540–1614) gerieten seine Zeitgenossen in einen derartigen Zustand angesichts der ungeheuerlichen Forderungen Luthers, gesellschaftliche Taten, konventionelles Verhalten und Anerkennungsstreben vor Kaiser und Gott als reaktionäre Lächerlichkeit aufzugeben. Gegen diese lähmende Verpflichtung auf Gewissensreinheit in Gnadenerwartung half nur Ekstatik, also Bewußtseinserweiterung durch Entkörperlichung – für die Ecstasy-Generation sicherlich eine begeisternde Selbstbestätigung.

Den El Greco, den man heute feiert, gibt es erst seit 1908 (Veröffentlichung des ersten Essay über El Greco von Cossio). Seit seinem Tod 1614 hat sich kein Mensch mehr für El Greco interessiert, tatsächlich niemand. Nachdem aber die Mitglieder und Sympathisanten der deutschen Expressionisten 5 Jahre nach Gründung der Dresdener Brücke die Zeitgenossen mit ihren Farb- und Formorgien bedrohlich herausgefordert hatten, entdeckte Cossio von den expressionistischen Malern her u.a. den historischen El Greco, der die kunsthistorische Bedeutsamkeit expressionistischer Auffassungen zu beglaubigen schien.

Kanzler Schmidt schilderte öfter, wie ihn, den Expressionistenfreund, El Greco begeisterte, weil der mit offensichtlichem Genie eine Jahrhunderte spätere Entwicklung vorausgeahnt habe. Natürlich hat er nichts geahnt, er nahm nicht vorweg, sondern er wurde von den Späteren vereinnahmt als historische Autorität zur Bestätigung der eigenen Malereikonzepte.

Das Genie der Gegenreformation und die Legende von Toledo? Die Inquisitoren peinigten vermeintliche Sünder, bis ihre Körper sich wanden wie die von El Greco dargestellten, und der Raum zwischen Himmel und Erde, Licht und Dunkel, Leben und Tod erfüllt war von den Visionen der Fanatiker, daß doch das Seelenheil erzwingbar wäre, wenn nur der animalisch egoistische wie materialistisch geistfeindliche Körper aus seinen festen Formen geschlagen sei. Dergleichen heißt heute Dekonstruktion.

Und selbst El Grecos Biografie paßt ins heutige Interesse: Der politische Flüchtling Domenico Theotokopoulos aus der türkenbedrohten Provinz Kreta, flieht in die Metropole Venedig, jobbt bei den teuersten Propagandamalern wie Tizian, lernt über deren Auftraggeber eigene Gönner in Rom kennen und läßt sich schließlich in den neuen Zentren der Macht Westeuropas, also in Spanien, als ideologisch bewanderter und intellektuell äußerst flexibler Dienstleister der Kircheneliten nieder. Gerade weil man nur eine Handvoll verbürgter Daten seines Lebens kennt, stimuliert das Genie aus dem Dunkel der Religions- und Kulturkämpfe unsere Fantasie.

Selbst aus den wenigen authentischen Berichten von El Grecos Zeitgenossen läßt sich die Vermutung gut begründen, daß er seinen Beinamen El Greco, der zum Künstlernamen wurde, nicht etwa trägt, weil seine Geburtsinsel Kreta ursprünglich zur minoisch/griechischen Kultur gehörte. Vielmehr leitete El Greco seine Selbstkennzeichnung von den Grecoli ab; so nannten sich die Bewohner der Hauptstadt des byzantinischen, also des oströmischen Reiches, das ohne Unterbrechung tausend Jahre vom 4. bis zum 15. Jahrhundert als Bastion des Christentums existierte. Das erreichte Byzanz durch Entfaltung einer glanzvollen Kultur unter der vereinheitlichten Führung von weltlicher und geistlicher Macht, von Kaiser und Papst. Als die Türken schließlich um 1450 das Welthimmelreich Byzanz dem Islam unterwarfen, übermittelten zahllose Gelehrte, Künstler, Techniker und Kaufleute im westlichen Exil die verlockende Vision der Einheit von Diesseits und Jenseits, von weltlich und geistlich, von Politiker und Seelenführer. Dieser Vision folgte auch El Greco.

Einem Untertan der venezianischen Dogenherrschaft erschien der byzantinische Cäsaropapismus weniger fremdartig als Florentinern oder Römern, obwohl die der dauernden Auseinandersetzungen zwischen Kaisern und Päpsten herzlich leid waren.

Jedenfalls hat El Greco, nachdem er als 35-jähriger ins glorreiche Spanien Philipps II. einwanderte, sogleich versucht, für den im Bau befindlichen Escorial der katholischen Majestät die Einheit von weltlicher und geistlicher Macht bildlich zu suggerieren. Als Philipp der künstlerische Fanatismus für das Jenseits zur Gefahr für den Machterhalt des Imperiums, in dem die Sonne nicht unterging, wurde und er El Greco nicht mehr beschäftigte, wandte der sich mit seinen Welthimmelreichsvorstellungen an die hohe Geistlichkeit, die per Inquisition ganz weltliche Machtvorstellungen auszuüben bereit war. Spiritisten, Mystiker und andere heilige Zeitgenossen waren in Toledo an den Vorstellungen El Grecos interessiert. Aber diese Konzepte erwiesen sich schon bald ohne den Meistermaler des spirituellen Leibes als so hinfällig wie alle anderen Utopien vom Himmelreich auf Erden zwischen der Idealstaatsfantasie der Jesuiten und der von Märtyrern des Universalsozialismus der jüngsten Vergangenheit.

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