Vortrag / Rede Uni Flensburg

Termin
01.11.2000

Veranstaltungsort
Flensburg, Deutschland

Veranstalter
Universität Flensburg

Säkularisierung

Grundlegend für die Herausbildung demokratisch verfaßter Gesellschaften und ihrer staatlichen Repräsentation war die strikte Trennung von Kirche und Staat. Wenn diese Trennung auch in vielen Gesellschaften, vor allem den sakralrechtlich gegründeten, noch nicht vollzogen wurde, so ist sie doch generell unvermeidlich zur Minderung des Konfliktpotentials, das in religiösen Auseinandersetzungen liegt, soweit sie auf staatlicher Ebene sich auswirken können.

In ähnlicher Weise ist für moderne Gesellschaften die Trennung selbst der Nationalstaaten von ihrer kulturellen Legitimation unabdingbar. Denn wohin das Hegemonialstreben der Kulturen bei unmittelbarer Auswirkung auf gesellschafltliches und staatliches Handeln führt, zeigen auch heute noch die sogenannten Befreiungsbewegungen der Basken oder Serben oder Tschetschenen, die ihre staatliche Unabhängigkeit vor allem kulturell begründen.

Die Kommerzialisierung war bisher die wirksamste Form zur Säkularisierung der Kulturen. Sie neutralisierte zu einem großen Teil die Wahnhaftigkeit in der Durchsetzung kulturell legitimierter Autonomie. Die Wahnhaftigkeit erweist sich in der Argumentation mit Kontrafakten wie kulturelle Identität, Reinheit oder gar “Heiligkeit” der je eigenen kulturellen Selbstverständnisse. Mit der Kommerzialisierung wurden solche Kontrafakte kultureller Vorstellung von Einzigartigkeit und Überlegenheit zur folkloristischen Attitüde gemildert. Die Kommerzialisierung musealisierte die Kulturen als Folklore. Die von den Kulturen tatsächlich hervorgebrachten Unterscheidungsleistungen wurden in den Museen, Heimatvereinen, Gedenkstätten sowie muttersprachlichen Selbstvergewisserungszirkeln verfügbar gehalten: eine zweite bedeutende Resource für Distinktionskriterien neben den aktuellen Kunst- und Kulturpraktiken. Unter strikter Beschränkung auf kommerzielle Nutzung wird die Folklorisierung der Produktions- und Rezeptionsdynamik relativ gefahrlos weiter ausgedehnt werden: das ist sinnvollerweise mit der Behauptung gemeint, daß bei voranschreitender Globalisierung zugleich die Regionalisierung/Ethnozentrierung sich stärker ausprägen wird. Ein wirtschaftlich bedeutsames Beispiel dafür ist die voranschreitende Differenzierung gastronomischer Angebote in unseren größeren Städten. Denn daß es sich bei dem hiesigen Angebot indischer oder indonesischer oder afrikanischer Kochkünste um Folklore handelt, ergibt sich schon daraus, daß diese Küchen völlig unabhängig von ihrer sinnvollen Orientierung auf das Klima oder den Nahrungsmittelanbau bzw. die Transport- und Konservierungstechniken der Herkunftsländer angeboten werden.

Zur Folklore wird Kultur, sobald sie nicht mehr über das souveräne Recht, Krieg zu führen, ihre Wirtschaftsformen zu bestimmen, eine eigene im- oder explizite Legislative/Judikative zu etablieren, verfügt. Die Kommerzialisierung entzog den Kulturen diese Voraussetzung mit größerer Wirkung als Schulbildung oder andere Aufklärungskampagnen. Daß zur Folklore neutralisierte Kulturen keine, also auch keine wirtschaftliche, Bedeutung hätten, läßt sich ja wohl nicht behaupten angesichts des Wirtschaftsfaktors besagter Multiplizierung gastronomischer Angebote oder der Angebote der Unterhaltungsindustrie oder des Tourismus. Die Einheit von folkloristisch initiiertem Interesse an Gastronomie, Unterhaltung und Touristik bietet bereits jedes größere Museum der Welt, das Wert auf Generativität, also Wirksamkeit legt; die wird vor allem durch das Ziel bestimmt, die Wiederholung des Besuchs im vereinheitlichten Interesse an Elefantenstadel, Kopfjägersafari und Kunst- und Kulturgeschmacksdifferenzierung zu erreichen.

Auch die hehren Auffassungen von der reinen und freien Kunst im Sinne der Kulturkämpfer gegen den Kommerz werden es sich gefallen lassen müssen, als Folklore neutralisiert zu werden. Zum einen ist die Behauptung von freier Kunst wie interessenloser Grundlagenwissenschaften seit Anfang des 19. Jahrhunderts, der Ära der kulturell legitimierten Nationalstaatsgründungen, nichts als ein kulturelles Kontrafakt, also autosuggestiver Einbildung zur Beweihräucherung höherer Interessen, die aber immer noch Interessen bleiben; zum anderen ist die ideologische Verbrämung eben dieser Interessen in erster Linie durch Kommerzialisierung eingeschränkt und häufig sogar völlig aufgehoben worden. Auf absehbare Zeit ist keine andere Form der Zivilisierung/Säkularisierung von Künsten und Kulturen erwartbar als die voranschreitende Kommerzialisierung. Das gilt freilich nur unter der Prämisse, daß die latente Unterwerfung der Wirtschaft unter den Primat der Kulturen nicht noch erfolgreicher vonstatten geht, als das leider bereits der Fall ist.