Vortrag / Rede „Architektur der Gesellschaft - die Bedeutung von Form und Stil für die Entwicklung der Lebensformen“

Eternit-Symposion

Termin
03.02.1993

Veranstaltungsort
Basel, Deutschland

Veranstalter
Eternit

Form und Stil

Ich möcht drei Punkte ausführen zu dem Generalthema, das etwas hausbacken klingt: "Form und Stil". Das ist so eine Art umfassender Allerweltsdefinition. Aber das soll uns gerade um das Erfassen der Formgedanken in einem zeitgemäßen Sinne gehen. Dazu mache ich drei Schritte. In einem ersten Schritt leite ich von dem historischen Selbstverständnis der Architektur ab, im zweiten geht es im Geschwindschritt durch die europäische Architekturgeschichte - an einem Typus, nämlich dem Kommunikationsbau soll verdeutlicht werden, worum es geht - und im dritten Schritt wollen wir uns dann die Konsequenzen für uns heute vergegenwärtigen.

Zu Punkt 1: Wir befinden uns - nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt - in einer Kulturkampf-Situation, wie sie es bislang historisch gesehen noch nicht gegeben hat, beispielsweise in den Auseinandersetzungen zwischen Pakistan und Indien, in den Nachfolgestaaten der UdSSR, im ehemaligen Jugoslawien bis zu den nordspanischen Konflikten, der Korsika-Problematik für Frankreich usw. Und es werden gegenwärtig für all diese radikalen Auseinandersetzungen einheitliche Begründungen gegeben. Hinter all den Konflikten steht die Frage, ob die einzelnen Regionen und größeren Gruppierungen der Bevölkerung auf ihrem Recht zur kulturellen Identität so bestehen dürfen, daß sie mit diesem Anspruch denjenigen anderer unmittelbar tangieren, ob die Region als Träger einer kulturellen Identität, den Primat der Vorherrschaft zu erhalten hat vor den Konzepten der Modernität wie sie in Europa seit etwa Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt worden sind. Es ist eine Kulturkampf-Situation, weil dieser Kampf mit Legitimationen aus dem Bereich der Kultur geführt wird. Ethnische Säuberungen sind im Wesentlichen legitimiert im Hinblick auf die kulturellen Identitäten, getragen aus der gemeinsamen Sprache und Historie einer Ethnie, gemeinsamen Vorstellungen über den kulturellen Ausdruck der Region und ähnliches. Dies mögen Vorwände für Machtkämpfe herkömmlicher Art und grausamen Charakters sein. Dies ist aber nicht der Fall, denn es geht da tatsächlich nur um Kämpfe insofern, als ihre Legitimation gefragt wird. Wenn die Legitimation bei einem solchen Kampf ausdrücklich um die Autonomie der regionalen Kulturellen, der ethnisch geprägten Kulturen geht, dann muß man sich mit diesem Argument anders auseinandersetzen, als wenn es tatsächlich nur um die Machtgelüste von ein paar "warlords" oder verrückt gewordenen Diktatoren oder die wirtschaftliche Vorherrschaft irgendwelcher Gruppen im klassischen Muster ökonomischer Orientierung geht (z.B. der Versuch, jemanden in seine ökonomische Einflußsphäre zu zwingen). Das sind im Vergleich zu den heutigen Auseinandersetzungen Bagatellen gewesen. Diese Art von Konflikten sind historisch insofern, als man mit ihnen gegenwärtig nicht mehr rechnet. Selbst wenn man mit ihnen rechnet, werden sie als Kulturkämpfe ausgefochten.

Nun ist seit Alters her die Architektur ein Kernbestand der kulturellen Prägung einer Gemeinschaft, einer Religion, eines Lebensraumes und insofern ist es auch geboten zu fragen, welche Rolle eigentlich die Architektur gegenwärtig in diesen Kulturkämpfen um regionale Autonomie spielt. Das kann man verkürzt auf ein lange abgehandeltes Thema reduzieren, wenn man sagt - hie kulturelle Autonomie der kulturellen Regionen und Ethnien, dort der Geltungsanspruch universaler Standards und Normen - hie die Architektur als Regionalsprache, dort (parallel dazu auch die Künste) Architektur als Universalsprache. Das letzte Mal wurde die Diskussion in den 50er Jahren geführt, als man beispielsweise die bildende Kunst generell und die Architektur als ihr Bestandteil zu der verbindlichen Universalsprache erklären wollte, die die Zukunft der Entwicklung bestimmen sollte. Noch radikaler formuliert, geht es um die Auseinandersetzung zwischen Kultur und Zivilisation. Und zwar in der Prägung wie diese Begriffe im deutschsprachigen Raum, in Deutschland selbst gebildet worden sind. Der erste Weltkrieg, das muß man sich immer wieder vergegenwärtigen, ist von den deutschen und europäischen Eliten der Architektur, der Wissenschaften, der Künste und der Musik, die man in Zeugnissen reichlich belegt findet, schon als Kulturkampf legitimiert worden. Die radikalste deutsche Position hatte Thomas Mann in seiner Schrift "Betrachtungen eines Unpolitischen " zusammenfassend dargestellt. Zur Ehre Thomas Manns muß man sagen, daß er der einzige Autor und Intellektuelle gewesen ist, der ab 1921/22 diese Position widerrief, nachdem er gesehen hatte, was bei einem solchen Kulturkampfanspruch herauskommt. Es geht um die Auseinandersetzung in einem Sinne, dessen Dimensionen uns gegenwärtig erst bedeutsam werden, wenn man von einer unmenschlichen Architektur im selben Sinne spricht wie von einem unmenschlichen Verhalten kämpfender Parteien. Ich habe das gerade vorige Woche wieder in der Zeitung gefunden und fand das eigentlich merkwürdig, daß Redakteure auf die Idee kommen, Unmenschlichkeit auf architektonische Formen und architektursprachliche Formulierungen zu übertragen wie auf die Kriegführung in Jugoslawien. Daß man von der Legebatterienarchitektur der 50er Jahre in der BRD wie von Lagern spricht, wo man auf der anderen Seite doch weiß, was es heißt, Menschen in solche zu pferchen, vielleicht gar noch in solche des KZ-Typs - trotzdem werden mehr und mehr diese Parallelen gesetzt, und das sollte einen skeptisch machen. das heißt nämlich nichts anderes, als daß die Architekten und Künstler, die Wissenschaftler (Kunst- und Architekturhistoriker, Designwissenschaftler) sich bereits in die Diskussion haben hineinziehen lassen, die diese Kämpfe als Kulturkämpfe auslegen. Der Hauptkonflikt zwischen zivilisatorischer und kultureller Orientierung besteht ja darin, daß man die zivilisatorischen Standards universell begründet - also mit Geltung für alle Menschen als Menschen, unabhängig von ethnischer, kultureller oder sprachgemeinschaftlicher Zugehörigkeit, also von dem Ausdruck dessen, was ihre Heritages ausmacht, also über alles das hinweggeht, woran für die meisten Menschen der spezifische Ausdruck ihrer personalen und sozialen Identität hängt. Ein Anspruch jenseits personaler und sozialer Identitätsforderungen, ohne Verweis auf die eigene Region, Sprache, Geschichte etc. - das ist der zivilisatorische Anspruch. Auf der anderen Seite der kulturelle Anspruch, der nun gerade gegen die universalen Normen und Geltungsansprüche, z.B. auch in den Formsprachen die regionale Entwicklung bevorzugt. In der Architektur läßt sich dies an zwei Beispielen (auf den Höhepunkten ihrer Formulierungen) sehr gut veranschaulichen: Gaudi für die katalanische Architektur in Barcelona und Plecznik für die slowenische Architektur (wiewohl dieser Vergleich etwas unstimmig ist, da Plecznik noch unter der K.u.K.-Monarchie gewirkt hat). Jene beiden Architekten gestalteten und produzierten in der höchsten Form eines damaligen Ausdruckswillens und regional definiert. Ich wähle bewußt nicht unsere deutschen Kulturheroen jener Zeit, und auf der anderen Seite die Standards der universellen zivilisatorischen Geltungsansprüche - um dieselbe Zeit z. B. ein Loos in Wien, um wieder keinen deutschen, sondern einen Österreicher zu nennen. Um diese Auseinandersetzungen hier nun das kann man ja wohl sagen Gaudi hat eine haltbare, durchgängig formulierte architektonische Formensprache entwickelt, Plecznik ganz genau so. Das ist Architektur mit höchstem Anspruch, kein Provinzialismus, kein bloßes Ausweiten handwerklicher Tradition, das ist tatsächlich Architektur und auf der anderen Seite eben das, was die Moderne eben entwickelte und in Loos einen ihrer ersten großen Programmatiker hatte. Diese Auseinandersetzung ist insofern für die letzten 20, 25 Jahre vergessen worden, als man glaubte, zu Gunsten einer Pluralität vieler regionaler Identitäten - vornehmlich getragen eben auch durch die Architektur, die Auseinandersetzung eben auf einem Niveau fortsetzen zu können, das allgemein akzeptiert wurde. Man löste die Konfrontation zwischen Kultur und Zivilisation auf, indem man sich beschränkte als Zivilisation nur noch das Regelwerk der Pluralitäten zu sehen, in der sich die je eigenständigen kulturellen, regionalen Heritages also Identitäten formulierten. Die Postmoderne war ja geradezu als Architekturphänomen das Paradebeispiel für eine solche Durchsetzung je unterschiedlicher und plural nebeneinander bestehender architektonischer Konzepte. Leider hat sich ja diese Vorstellung ohne das große Zutun der Architekten, Theoretiker, der Soziologen oder der Psychologen in Luft aufgelöst. Vielleicht noch schlimmer, sie hat zu einem wesentlichen Teil dazu beigetragen, daß die Forderungen der Architekten, die Fähigkeit der Gesellschaft als unmittelbare Voraussetzung für die Definition von Lebensräumen zu verstehen, herabgemindert hat. Die Architektur wurde in der Postmoderne zu einer mehr oder weniger notwendigen, wünschenswerten, fast könnte man sagen, nur noch auf der Ebene des bereicherten Showprogramms angesiedelten Fassadendekoration, Erker und Giebelchen, Applikationen, damit die Sache nicht zu langweilig aussah - in der Substanz, im Konzeptuellen ist da wenig gebracht worden. Das einzige, was in der Postmoderne wirklich konzeptuelle von Bedeutung ist, ist das Bauen auf Widerruf. Das sind also im wesentlichen auch Kommunikationsbauten wie Messe- oder Ausstellungsbauten - eine Art von Architekturkulisse oder Bühnenbildarchitektur im sozialen Raum, die auf Widerruf für 6 Monate, für ein oder zwei Jahre gebaut und dann wieder abgerissen wurde. Das ist der einzige bedeutsame Gedanke, den die Postmoderne zur Architekturgeschichte beigesteuert hat. Obwohl es das ja vorher auch schon gab, allerdings in anderen Zusammenhängen. Wenn wir uns heute auf die Formen des Selbstverständnisses der Architekten, als Künstler, als Ingenieure, also auch als Zeitgenossen berufen, um zu fragen, auf welche Seite gehört eigentlich in den sichtbaren jetzigen Auseinandersetzungen - aber ob wir wollen oder nicht - in den zukünftigen, viel weiter radikalisierten Auseinandersetzungen zwischen Kulturansprüchen Zivilisationsansprüchen, auf welche Seite gehört eigentlich die Architektur - dann gibt es trotz solcher lokaler Größen wie Plecznik oder Gaudi nur eine Antwort aus der Geschichte der Architektur seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, seit also Gründervater Alberti oder hundert Jahre später die großen Gründerväter des 16. Jahrhunderts sich schriftlich formulierten, gibt es nur eine Antwort: Architektur gehört eindeutig auf die Seite der Zivilisation, versteht sich aus dieser europäischen Tradition heraus als entscheidender Faktor der Zivilisierung.

Dies ist der Ansatzpunkt für meine Überlegungen zum Formgedanken, denn hier geht es nicht um Formen im Sinne der Anschauungsbegriffe, daß wir also beispielsweise wie es Gestaltpsychologen gesagt haben, wenn wir den forderen Teil einer Vase sehen, automatisch den rückwärtigen Teil ergänzen - es geht also nicht um Erleben im gestaltpsychologischen Sinne, es geht nicht um Form im Sinne einer Differenzierung zwischen Barock und Rokkoko oder Spätgotik und Frührenaissance, nicht im stilgeschichtlichen Sinne, sondern es geht um Form im Sinne der grundlegenden Bedingungen für das Gemeinschaftsleben von Menschen, die materialisiert werden in der Architektur. Es geht also um Form als Lebensform, als Funktionszusammenhang. Denn wenn die Architektur seit Alberti formulierte, daß eine Architektur nichts anderes ist, als eine Analogie der Gesellschaft selbst und die analoge Formulierung einführen - Architektur ist für den Bewohner eines Hauses, was der Staat oder die Gesellschaft für die Vielzahl miteinander lebender Menschen ist - heute noch steckt das in der Metapher "das europäische Haus", Gorbatschow hat das 25 Minuten lang verwendet, "wir bauen das europäische Haus", dann ist das ein Abglanz dieser Metapher. Das heißt nichts anderes, als daß die Architektur mit ihren Mitteln der Gestaltung der Lebensräume von Menschen, Einfluß nimmt auf den Zusammenhang dieser Menschen im Sinne der Ausbildung von Lebensform, umgekehrt der Architekt jemand ist, der solchem Set von Lebensformen ebenfalls ausgesetzt ist und aus ihnen heraus solche Konzepte formuliert. Man darf nicht vergessen, daß sämtliche Großmeister von Alberti bis Le Corbusier Architektur in einem ganz umfassenden Sinne als ein solches bauen der Gesellschaft verstanden haben. Das ist jetzt nicht sozialistisch oder kommunistisch oder sonst wie pathetisch gemeint, sondern im Sinne einer Beschreibung. Das ist bezeichnend, denn zur architektonischen Ausbildung oder zum Gegenstand seiner Beschäftigung gehörten dann wie bei Alberti in "De familia" gezeigt, die Auseinandersetzung über die Frage, wie organisiert man einen Haushalt. In "De familia" argumentiert Alberti im Hinblick auf die Organisation des florentinischen Haushaltes und läßt diese Überlegungen in die architektonischen Überlegungen einfließen - oder Überlegungen zur Kindeserziehung in der Familie oder der Gemeinschaft - oder über den Aufbau der Infrastruktur, Straßen, Plätze etc. in ihren Auswirkungen auf die Architektur oder als Bedingung einer solchen. Und das ganze eben nicht in der Auseinandersetzung zwischen Sienna oder Florenz oder Florenz und Lucca oder Pisa, wie das auf der Ebene der Kulturkampfsituationen üblich war. Der hatte sich damals auch in die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche und der katholischen Welt gegenüber über der Welt des Islam verlagert - also gerade nicht Kulturkampf, gerade nicht als Ausdruck einer Konkurrenz zwischen kulturellen Autonomieansprüchen Sienna gegen Florenz, sondern als Konkurrenz bei der Erreichung der höchsten Standards zivilisatorischer Normen und ihrer Geltung. Die Humanisten verstanden sich ja insofern als Zivilisatoren, allen voran die Architekten, weil sie den umfassendsten Anspruch auf die Gestaltung des Lebens erhoben und haben dann unter diesem Anspruch, unter dem sie auch im 15. Jahrhundert legitimiert wurden, wie man aus den heute noch existierenden Akten in Florenz deutlich entnehmen kann, haben aus diesem Anspruch heraus die ganz unglaubliche Prädominanz der Architekturen, etwa im Stadtbild von Florenz, als eine der Metropolen des 15. Jahrhunderts erheben können. Bar der daran knüpfbaren Vorstellungen von der regionalen kulturellen Autorität hin zu der Feststellung: Wie sind führend als einzelne Bürger in dem Erheben eines Anspruchs auf universale - das Wort "international" gab es damals noch nicht - Geltung zivilisatorischer Standards. Und das nannten sie Stil. Man kann bei einem Menschen nicht sagen, er habe Form. Man sagt, er habe Stil. Der Träger der Lebensformen ist derjenige, der Stil hat. Wer selber als Repräsentant solcher Lebensformen auftritt, der hat Stil. Form hingegen haben die jeweils gegebenen materiellen Vergegenständlichungen dieser Lebenszusammenschlüsse oder auch die Formation der Gesellschaft selbst hat Form, ist formiert - wenn man z.B. an das Ornament der Masse denkt. Was passierte, wenn drei oder vier Menschen durch die Straßen von Florenz marschierten, wenn aus den beiden entgegengesetzten Himmelsrichtungen, von den beiden zentralen Klöstern her die jeweiligen Anhänger der Priester auf den Hauptplatz zumarschierten, um eine Verhandlung über den Einfluß Savonarolas auf die Politik der Stadt zu diskutieren. Da nahm der soziale Körper auch Formen an. Aber die einzelnen Repräsentanten dieser formierten, geeinten Gesellschaft, dieser auf universale Geltung von Standards gleichermaßen verpflichteten Gesellschaft waren diejenigen, die Stil hatten. Es ist also für die heutige Situation ganz entscheidend, ob wir uns Form im Sinne regionaler kultureller Tradition - um beim Beispiel zu bleiben, gaudisches Formenrepertoir als typisch für Barcelona annehmen und die übertragen - da würde jeder Vernünftige sagen, das sei Unfug. Es kann von Gaudi gar kein Geltungsanspruch ausgehen, gar keine Übertragung dieser Formeln auf Südfrankreich, dann in Zentralfrankreich, schließlich in Mitteleuropa gaudiesk gebaut werden - das ist unsinnig. Von vornherein ist das beschränkt auf den Ausdruck eines Architekten, in einer bestimmten Epoche und einer bestimmten Kulturregion. Es kann auch nicht darum gehen, daß wir in den europäischen Regionen die Geltungsansprüche beim gemeinsamen Kopf in Brüssel damit begründen, daß unsere kulturelle Heritage und Identität so bedeutsam wird, daß sie vor allen anderen gefördert werden muß. Denn es können nicht alle gleichermaßen gefördert werden. Daß man also mit der Dichte der Argumentation die Durchsetzung seines kulturellen Anspruchs auf Förderung vertritt - das würde Hauen und Stechen geben. Es geht sicherlich nur so, wie die Architekturgeschichte es schon seit langem erörtert, seit ihrer Begründung im 15. Jahrhundert, daß jenseits der regionalen kulturellen Identitäten und ihres Ausdrucks eine zivilisatorische universale Norm, ein Normgefüge begründet ist, daß die Priorität vor allen anderen Argumenten besitzt, und insofern gilt es heute, die Kulturen nicht weiter zu differenzieren, sondern jene zivilisatorischen Programme zu befördern, die ja ursprünglich mit dem Namen Moderne verbunden waren. Die Moderne hieß vor allem in der Architektur, universale Geltung des konzeptuellen architektonischen Denkens und ihrer Sprache auf der gesamten Welt - von Japan bis Zentralafrika, von Indien bis Mitteleuropa. Und das hat ganz entgegen aller bisherigen Behauptungen auch seine Richtigkeit. Bisher hat man nämlich diesen zivilisatorischen Anspruch universaler Geltung verantwortlich gemacht für die kulturelle Verarmung der Regionen. Wer das Argument aufnahm für eine gewisse Zeit, konnte den Eindruck gewinnen, ja so ist es - die kulturellen Traditionen der Regionen gehen verloren und werden durch Normierungen, ja Uniformierungen der universalen Standards sprachlos oder von einander nicht mehr unterscheidbar. Das hat sich aber nun nach 25jähriger Diskussion nicht als ein Argument unter bestimmten kulturpolitischen, d.h. natürlich finanziellen Forderungen ergeben. Deswegen sollten wir dieses Argument auch nicht mehr so ernst nehmen. Abgesehen davon, daß wir das auch gar nicht können, denn sonst haben wir den Kulturkampf a la Jugoslawien, a la russische Nachfolgestaaten, a la Hindu- und Moslem um den Bau von Tempeln und Moscheen etc. genauso hier. Wer sich auf diesen Anspruch der kulturellen Suprematie in den Regionen einläßt, ist heute sehr stark gefährdet durch die Entwicklung von Formen der Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Minoritäten, die in diesen Regionen leben, und die können nur, wenn sie kulturell vermittelt werden, bei Hauen und Stechen und Blutvergießen enden. Das hat die Geschichte gelehrt. Die Leute können eher bei Wasser und Brot überleben und alles sonstige, als daß sie auf diese Suprematie im Namen ihres Glaubens und ihrer kulturellen Identitäten verzichten. Das führt in jedem Falle zu einer katastrophalen Radikalisierung. Wenn wir uns der Tatsache bewußt sind, wie Plecznik heute in Slowenien in Beschlag genommen wird für die Argumentation, daß Slowenien sich vor zwei Jahren für unabhängig erklärt hat oder wie in Nordspanien mit Gaudi argumentiert wird im Hinblick auf die kulturelle Identität natürlich bei höchster Anerkennung der internationalen Architektengemeinschaft, müßte uns dies sehr besorgniserregend erscheinen. Denn die Konsequenz kann immer nur sein, daß man sich im Namen eines solchen Kulturanspruches gegenseitig an die Kehle gehen darf - das ist die Konsequenz des Bestehens auf kultureller Autonomie. Auf der anderen Seite ist es gar nicht selbstverständlich, daß das Programm der Moderne wieder aufgenommen werden kann. Das bedarf doch wahrscheinlich erheblicher Umorientierung im Denken. Daß wir also die Durchsetzung universaler Normen und Standards - sowohl auf der Ebene der Durchsetzung der Menschenrechte, die ja wohl die bekannteste zivilisatorische Norm darstellen, wie auch in architektursprachlichen Definitionen, eben jener Lebensvoraussetzung oder Zusammenhänge, in denen Menschen diese Norm realisieren. Man kann auch sagen, Architektur ist dann eine realisierte zivilisatorische Norm von universalem Geltungsanspruch. Aus der bisherigen Tradition des Denkens, des Selbstverständnisses von Architekten seit Albertis Zeiten ist klar, daß die Architekten Träger der zivilisatorischen Prozesse sind und nicht der kulturellen. Und das ist nicht erst so, seit Voigt im Hinblick auf die französische Revolutionsarchitektur das expressis verbis so darstellte, sondern es ist nachweislich an hand der Selbstäußerungen der bedeutendsten aller Architekten in dieser Genealogie der europäischen Ableitung tatsächlich so gewesen und ist als Programm so gefordert worden, wie es schließlich als Moderne, sagen wir von Loos oder vom Bauhaus oder der Charta von Athen jeweils formuliert worden ist. Und das bedeutet, daß wir uns heute nur entscheiden können, ob wir einen zivilisatorischen Auftrag erfüllen wollen und damit Architektur und Kunst machen können, übrigens auch in hohem Maße uns im Felde der anderen Künste betätigen können, übrigens auch überhaupt noch Wissenschaft betreiben können, denn daß heute geradezu in Dutzenden von Großlabors der Nachfolgestaaten der UdSSR und in Regionen des vorderen und mittleren Orients Wissenschaftler, legitimiert durch den Kulturkampf, d.h. durch den Kampf ihrer reinen Ethnien, Sprachgemeinschaften etc. Giftgase, Massenvernichtungswaffen etc. entwickeln - das ist, glaube ich, der entschiedenste Widerspruch gegen die Möglichkeit, die kulturelle Ausdifferenzierung als die entscheidende Mission zu sehen. Das kann nicht gut gehen, wenn man das macht, dann muß man darauf verzichten aus wirtschaftlichen Interessen, aus Habgier oder Machtgelüsten zu agieren - das kann man noch verstehen, das ist menschlich - aber zur Durchsetzung einer kulturellen Suprematie, einer kulturellen regionalen Identität, ist es schlechterdings unerträglich. Das hat man immer schon gesehen, das ist keine neue Situation, denn diese Form der Auseinandersetzung ums Ganze, denkt man z.B. an den 30jährigen Krieg, der in Mitteleuropa wütete und zwei Drittel der Bevölkerung auslöschte wegen theologischer Fragestellungen, die zwar interessant waren, aber eben doch nicht das Opfer so vieler Menschen rechtfertigten. Da ging es gerade nicht um zivilisatorische Auseinandersetzungen, sondern um theologische. Bei Konflikten zwischen dem Islam und der europäischen Christenheit ging es um zivilisatorische Aspekte. Diese Kämpfe wurden auch völlig anders geführt. Da gibt es schon aus der Zeit Friedrichs des II. von Hohenstaufen, also 1220 bis 1230, wo er seine großen Schriften zu dem Problem verfaßt hat, Hinweise auf diese Differenz zwischen kultureller Missionierung und zivilisatorischer Entwicklung. Ich plädiere ganz nachdrücklich dafür, daß wir das, was wir innerhalb unserer Gestaltungskonzepte entwickeln, anderen Menschen anbieten, mit ihnen diskutieren und realisieren - in allererster Linie im Hinblick auf diesen Zivilisationsauftrag verstehen. Das gilt für die kleinste Ecke, in der man ein Garagenensemble anonymer Privatbauer, handwerklicher Bricoleure und Bastler im Sinne einer Vereinheitlichung eines Stadtbildes neu gestalten soll, bis eben hin zur Planung in den Städten selbst. Da gibt es gegenwärtig grauenvolle Aussichten für Architekten. In Deutschland wird gegenwärtig eine Auseinandersetzung zu diesem Thema geführt, Lager zu konzipieren, die brauchen wir ja, die diese hunderttausenden von nichtvorgesehenen Flüchtlingen, Einwanderern, Bürgerkriegsopfern etc. unterbringt. Man sagt euphemistisch "provisorisch", im Libanon herrschen diese Verhältnisse jedoch bereits seit 40 Jahren, also wird das in Europa auch so sein. Alle Architekten in Deutschland haben sich bisher geweigert, für die Bundesregierung solche Lager zu entwickeln. So wie etwa Heinrich Lübke, Gott hab' ihn selig, bei der Entwicklung von Lagern 1939 oder 1940 beteiligt war. Eben jener Herr Lübke, der dann später hohe Ämter in Regierung und Staat einnahm. Die Konsequenz ist natürlich die, daß man z.B. in regionalen kulturellen Stilen solche Lager einrichtet und das ist voller Ernst - Lager im Stile der bayrischen Almhäuser, Lager im Stile der norddeutschen Torfstecherquartiere oder im Stile der sächsischen Bauden aus dem Erzgebirge und aus dem Thüringer Wald. Und wenn das so weit kommt, dann ist bedeutet es nichts weiter, als daß es wirklich zu blutigen Auseinandersetzungen kommt, in denen alles legitimiert werden kann, inkl. Verstümmelungen und Schändungen aufgrund kultureller Aufträge. Es gilt in der Geschichte ein Gesetz: Je weitergehend ein Handeln kulturell legitimiert wird, desto grausamer sind die Formen, in denen diese Auseinandersetzungen stattfinden. Je mehr man im Namen der Liebe missioniert, desto grausamer waren die Methoden, mit denen man die Leute seinem eigenen Glauben und Anspruch unterwarf. Es darf nur lauten, wir beteiligen uns nicht an dieser kulturkämpferischen Auseinandersetzung. Bei solchen Zusammenkünften wie heute oder den einzelnen Möglichkeiten, sich mit einer größeren Zahl von Kollegen zu treffen, sollte man sich in diesem Selbstverständnis mehr stützen, die eigene Mission, die eigene Bedeutung zu sehen, die gegenwärtig so brisant ist wie selten in unserer jüngeren Geschichte. D.h. es kommt auf alle Leute, die im Bereiche der Kultur, der Architektur, der Gestaltung arbeiten, ganz entscheidend an, ob sich diese universalen Standards zivilisatorischer Normen durchsetzen lassen, ob wir uns ihnen verpflichten und damit Lebensformen entwickeln, aus denen heraus wenigstens ansatzweise so etwas wie eine zukünftige gemeinschaft der Menschen auf der Welt entwickelt, oder ob wir uns in die Formen zurücktreiben lassen, in der die Kultur selbst zur größten Zerstörerin wird. Da hilft auch keine Legitimation durch die Dialektik, daß in unserer westlichen Kultur Zerstören immer die entschiedene Form der Hervorbringung war - zerstören und hervorbringen. Das mag zwar im einzelnen auch eine interessante Perspektive abgeben, aber sich darauf zu verlassen, daß die kulturelle Zerstörung der Anfang einer neuen Hervorbringung sei, das wäre doch zu riskant.

Ich möchte jetzt im zweiten Teil, nachdem ich diesen Gedanken der Missionierung unserer Selbst, wie auch der Missionierung unseres Tuns aus dem Selbstverständnis der Architektur und aus der Situation herausgehoben habe, anhand der Dias an ein paar Aspekten erörtern, wie sie sich an jedermann bekannten historischen Architekturaufgaben stellen. Sie wissen, daß Sedlmayer und einige andere gesagt haben, daß sich in Europa seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert in Griechenland die Entwicklungen der Gesellschaften am eindeutigsten dadurch kennzeichnen, daß man die jeweilig vorherrschenden Bauaufgaben betrachtet. Welches sind die dominierenden Bauaufgaben in einer Gesellschaft, in einer bestimmten Epoche und unter diesem Blickwinkel kommt dann die Gesamtentwicklung viel besser zum Ausdruck, als in jeder anderen Möglichkeit zu argumentieren. Das möchte ich gerne aufgreifen und an den jedermann bekannten Beispielen kurz erläutern, und zwar im Hinblick auf nur einen Typus, den der Kommunikationsbauten.

Die bekannteste Art der Verknüpfung von Formensprachen und sozialen Lebensformen sind im Programm des Wiederaufbaus der Akropolis nach der großen Perserkatastrophe historisch nachweisbar. Diese Diskussion begann ungefähr um 465, ist dann bis 450 abgeschlossen, worauf die drei großen Meister - Perikles als politischer Führer, Iktinos und Phidias das Programm selber begannen- noch heute läßt sich die Programmatik dieses Vorgehens als zentrale, beispielhafte für die gesamte europäische Geschichte darstellen, nämlich in der Gesamtkonstruktion der Anlage des Burgbergs, der Akropolis, von der heiligen Prozessionsstraße über die Treppenanlage bis in die Propyläen und zur rückliegenden seite des Burgbergs. Innerhalb dieses Konzeptes, das zu einer grandiosen Formulierung von Form als Funktionszusammenhang anzusehen ist - raffinierter ist vielleicht nie wieder gebaut worden, erreicht ist es vielleicht noch bei ein paar Beispielen, aber es ist nie übertroffen worden, kann man zeigen, daß eben nicht die einzelne Formensprache, in diesem Falle die dorische Ordnung prägend ist, sondern der soziale Funktionszusammenhang, in dem diese Bauten stehen. Sie erhalten ihre einzelnen Aufgaben in den kultischen Ausprägungen der Formen gesellschaftlichen Gemeinschaftslebens durch die Bedeutung, die Funktion, die sie für das Zustandekommen und das immer erneute Repräsentieren und Vergegenwärtigen der Erlebensformen einer Gesellschaft haben und nicht der Formen im Sinne von Gestaltungseinheit. Daher wissen wir heute aus unendlich vielen Quellen, daß man die Akropolis nicht im wesentlichen unter Gesichtspunkten grandioser künstlerischer Einzelleistungen betrachtete, sondern im Hinblick darauf, was sie für den Zusammenhalt der athenischen und attischen Gesellschaft bedeutete. Die Architektur wird hier in ihren Ausformulierungen jenseits der Frage große Kunst, großer individueller Stil eines Einzelnen oder eines Bildhauers oder Architekten tatsächlich zur Gemeinschaftsstiftung insofern, als an diesen architektonischen Formulierungen des Funktionszusammenhangs die gesamte Lebensgemeinschaft Athens manifestiert. Das ist sehr unterschiedlich geschehen. Am Erechteion-Bau sieht man z. B., daß die Rückbezüge auf die mythologischen Erzählungen zur Gründung der Stadt anders aufgenommen werden als im zentralen Tempel der Pallas Athene, im Parthenon (im Standbild der Pallas Athene) oder in der Glyptothek oder Pinakothek rechts und links neben den Propyläen. Es hindert sie keineswegs, den unglaublichen Anspruch dieser Aufgabe daran auch mit heterogenen Mitteln durchzusetzen. Dies ist also kein totalitäres Konzept - so wie in der Moderne meistens nur die totalitäre Durchsetzung eines einzigen Formgedankens möglich gewesen ist, denkt man an Faschismus, Nationalsozialismus oder Stalinismus. Hier wird in ganz inhomogener Weise ein und derselbe Funktionszusammenhang formuliert.

Wenn man die beiden Paradebeispiele aus der römischen Epoche der ersten nachchristlichen zwei Jahrhunderte betrachtet - das Kolosseum und den Septimus Severus-Bogen, wird klar, daß sich das Programm ändert, dadurch, daß sich die verschiedenen Lebensformen ändern. Die Verfassung Roms ist eine andere als die Athens, die Akte der Bildung sozialer Formationen sind verschieden, die rechtlichen einzelnen Normen sind andere. Aber die Bedeutung der zentralen Bauten für die Vergegenwärtigung der einzelnen Lebensformen, d.h. ihr Sichtbarwerden und damit für ihre Übertragbarkeit oder auch ihre kulturelle extragenetische Vererbbarkeit (was nichts anderes als Tradition bedeutet, eine Ebene der Vermittlung verläuft auf der Ebene der Gene, die wir weiter geben, eine andere Art der Vererbung ist die extragenetische, im Sinne eines solchen Lernens von tradierten Formen). Es wird ganz eindeutig abgehoben auf den Zusammenhang zwischen der gesellschaftformierenden Kraft der Architektur, also Repräsentation, also Ausdruck und Vergegenwärtigung von Lebensformen zu sein und der Rückwirkung von eben diesen architektonischen Ausdrucksformen auf die Gesellschaft. Das ist also ein Wechselspiel, aus dem einerseits aus dieser Entwicklung, aus dem Aufnehmen dieser Lebensformen entstehen die architektonischen Konzepte und andererseits beeinflussen diese Konzepte ihrerseits wieder ganz unmittelbar die gesellschaftlichen Formationskräfte. Sowohl positiv wie negativ - negativ gibt es ein berühmtes Beispiel hier aus der Inschrift des Septimus Severus-Bogens, die ausgekratzte Stelle des Namens seines zweiten Sohnes, die berühmte "Damnatio memoriae". Da haben wir den Zusammenhang zwischen Auslöschen, zum Verschwindenbringen und neu Hervorbringen. Denn ein Großteil dieser Bauten, auf der Akropolis haben es die Perser besorgt, hier wurde freies Gelände geschaffen, da wurde die "Casa aurea" erweitert. Das findet ja nur statt, wenn man Vorhandenes wegräumt, und es war immer eine Art von Begründung des Wegräumes, daß ja Neues entstand. Aber man hat es weggeräumt, weil sich die Lebensformen änderten, d.h. die Kräfte, die Gesellschaften oder einen Sozialverband wirklich zusammenhalten. Wir definierten bei der Ausgangsfrage Kultur als ein Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, daß darauf ausgerichtet ist, Verbindlichkeit in die Beziehungen zu bringen. Entscheidend ist also die verbindlichkeit in den Beziehungen. Wenn ich also einen Kaufvertrag abschließe, dann ist die Garantie für die Verbindlichkeit dieser Absprache das Gericht, das den Partner dazu veranlassen kann, sich an diese Verbindlichkeit zu halten. Das gibt es in verschiedenen Partialkulturen, der Rechtskultur oder wie auch immer und das gilt auch fürs Ganze. Das Entscheidende ist also, wie werden Verbindlichkeiten in den Beziehungen zwischen Menschen eingefordert, bzw. wie werden sie realisiert. Ein Beziehungsgeflecht ist klar. Ohne Beziehungen zueinander über die Kommunikation ist das nicht möglich. Und hier wird jetzt eine der Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines solchen Beziehungsgeflechts auf Verbindlichkeit, nämlich Kommunikation, thematisiert. In diesen Bauten - Akropolis, Kolosseum bzw. den Memorialbauten auf dem Forum romanum, den Tempeln handelte es sich um Kommunikationsbauten durch die Bank. Ich behandele hier also nur ein paar Beispiele für eine der Voraussetzungen für das Entstehen von verbindlichen Formen durch Architektur, nämlich Kommunikation.

Ein der grandiosesten Programme, ähnlich der Akropolis, Pisa oder der Weltraumbahnhof von Baikunur für die heutige Zeit waren nach 1160 die von Suger von Saint Denis initiierten Programmatiken zur Errichtung der gotischen Kathedralen, die entscheidenden Ausprägungen der Kommunikation, nämlich nicht nur der zwischen den Menschen, die hier leben, sondern auch zwischen der diesseitigen Kultur und ihrem aus der christlichen Theologie heraus begründeten Anspruch auf jenseitiges Leben. Und das ist eine der raffiniertesten Formen der Vermittlung. Bei den Griechen war das ja relativ einfach: Der Tempel war ja das Haus des Gottes und die Gemeinde blieb draußen vor dem Tempel, wo sich auch der Botros (?), der Altar mit der Opfergrube befand. Dieser Gedanke war also relativ einfach lösbar, während hier ja die Kirche das Haus der Gemeinde, der Gläubigen wird und die Beziehung zur theologischen Definition des Gottes oder des Jenseits oder des Paradieses auf eine viel raffiniertere Weise zustande gebracht werden muß, als das von den drei Großprogrammatikern der Akropolis gewünscht wurde. Wenn wir uns nun auf die Schriften von Sedlmayer oder von Simson beziehen, dann können wir sagen, daß es sich hier um die Integration der Vorstellung des himmlischen Jerusalems (Kathedrale zu Amiens), des Paradieses, der Welt des Gottesreiches in die Lebenswelt einer hier irdisch herrschenden Gemeinschaft handelt. Welche Verbindlichkeit erhalten Menschen in ihren entwickelten Beziehungen und Lebensformen, wenn sie sich dabei z.B. auf das christliche Versprechen eines Lebens nach dem Tode, eines jüngsten Gerichtes, der Apokalypse oder auf ein weiteres Procedere der Sortierung zwischen den gerechten und Ungerechten, zwischen den Guten und den Bösen verlassen. Wie wir heute wissen, ist es eine der bedeutendsten Formen des Verbindlichwerdens von Beziehungen zwischen Menschen, wenn sie sich bei der Beziehung auf eine solche Repräsentanz dessen einlassen, was über das je individuelle Leben hinausgeht. Das kann einmal in der Institution der Kirche als Glauben manifestiert werden, das kann auch in Memorialbauten, Historienbildern und Ereignisbildern repräsentiert werden. Bis in die Einzelheiten hinein - damit haben sich ja die Fachleute seit gut 80 Jahren beschäftigt - ist die Struktur, die Materialität, denken wir nur an die Analogien zum "ciel d'oro", den Goldhimmel, zur Steinkunde, zur Verglasung der Fenster in Kathedralen. Bis in die Einzelheiten hinein ist diese Programmatik beschreibbar geworden, auch wenn man heute meint, daß dieser Streit in einigen Punkten überzogen war, wenn Suger von Saint Denis und Bernard von Clairvaux über die Frage, ob man diesen Transzendenzanspruch in die Alltagssprache miteinbeziehen darf, das meinte Suger, der hielt es sogar für notwendig, das Heilige als abstrakten Gedanken zu vergegenständlichen, und auf der anderen Seite Bernard von Clairvaux, der sagte, das Heilige sei eine Frage von psychischen Prozessen, des Seelischen, des geistigen Lebens der Menschen und dürfe nicht sprachlich, in Ziegelsteinen und Glas vergegenständlicht werden. Das ist also eine Auseinandersetzung, die nicht alle Gemeinden als Auftraggeber und die Baumeister gleichermaßen beherrscht haben. Das ist sicherlich richtig. Dennoch bleibt es bei dem, was Suger und Bernard zu diesem Gedanken in ihren Programmschriften formuliert haben. So bleibt dies eine der grandiosesten Demonstrationen von Form als Funktionszusammenhang, nämlich im Sinne einer Kommunikation zwischen Menschen, deren Verbindlichkeit durch die Gemeinsamkeit ihrer Ausrichtung auf den christlichen Glauben und seine in der Kathedrale Stein gewordenen Programmatiken ausmacht. Das gilt auch für die einzelnen Formierungsprozesse: Ging man durch ein gotisches Saugportal, dann formierte sich entsprechend dem jeweiligen Ritualanlaß der soziale Körper tatsächlich im Sinne einer Prägung, die durch die Architektur, die applizierten Skulpturen, die auf den, der durchs Tor schritt, ausgeübt werden sollte. Das war ein Joch im metaphorischen Sinne, d.h. ein Prägestock der Architektur für Verhalten, für Wahrnehmungshelligkeit, für Attitüden desjenigen, der durchs Tor gehen mußte. Er wurde geradezu durch die Form spiritueller Qualität, durch die gedanklichen, theologischen und sozialen Begriffe geprägt, kam sozusagen als Modell des heiligen Geistes oder des großen theologischen Denkens geformt in die Kirche hinein. Das sind Formierungsprozesse, wie sie sprichwörtlich halt in dem Joch, dem Türsturz zu sehen sind - heute noch in Österreich noch an jedem Bau bis ca. 1890 angebracht - wo die schreitenden Eheleute durch die architektonische Vergegenständlichung des Begriffs gemeinsamer Prägung hindurchmarschieren müssen. Oder seit den Peripathetikern ist der Klosterhofgang, in den christlichen Zeiten vorher in den Schulen in Athen die soziale Formation von Schülern geprägt worden. In dieser Zeit wurden die theologischen Texte auswendig gelernt und in ihrer Bedeutung auf die Kommunikation mit dem Nachbarn dargestellt, indem man gemeinsam in Linie nach vorne schritt, ritualisiertes Sprechen der texte nach grammatikalischen Vorgaben, sprachwissenschaftlich ausgearbeiteten Paraphrasierungen, dann wieder zurückging, vormarschierte, zurückging - gegenüber war eine andere Formation, die das gleiche tat in entgegengesetztem Rhythmus. Eine ständige Bewegung auf die Möglichkeiten hin, die diese architektonische Formulierung eines Ereignisortes - Klostergang oder -hofes - bot. Wobei das Entscheidende bei diesem Typus ist, daß die Verbindlichkeit in diesen Beziehungen aus der einheitlichen Orientierung auf die christlichen Theologie entsteht. Auch da muß man sich fragen, was in der universal zivilisatorischen Geltungsnorm an die Stelle des einheitlichen Glaubens tritt. Wir haben Hindus, wir haben Buddhisten, wir haben Moslems und Christen - nie wird es wieder möglich sein, eine universale Einheit der Kirche oder des Glaubens im Sinne der katholischen Ansprüche durchzusetzen. Den Anspruch kann man haben, aber es wird sich wandeln müssen für ein allen gemeinsames Drittes, das aber selbst nicht eine Orientierung auf einen Glauben sein kann.

Ich wollte diese Diskrepanz zeigen. Bei diesem Paar, einem Stadttor, wie es bis 1500 üblich war und der Übernahme einer solchen Funktion wie etwa noch zu Zeiten des Baus der Stalinallee. Man glaubt, es da mit komplett unterschiedlichen Konzepten der Architektur zu tun zu haben. das ist auch war, wenn man die Form im Sinne der eingeschränkten Gestaltungseinheiten und Proportionsschemata sieht. Wenn man sie aber in der Funktion von Lebenszusammenhängen sieht, entspricht das kleine Törchen des zentralen Europas dem was man Ende der 50er Jahre in Ostberlin vorfindet. Das muß zu denken geben, denn die Frage ist ja, was wirkt daran eigentlich als Architektenleistung (wiewohl das Stadttor noch anonym war), in wie weit wird da Kommunikation aufgebaut und gesteuert. Beim Stadttor ist es klar. Hier wird der Zugang reguliert. Eine Eingrenzung ist immer Ausgrenzung. Wir können uns nur als kulturelle Gemeinschaft formieren, indem wir euch ausgrenzen. Das Wechselverhältnis von Ein- und Ausgrenzen ist ja eine zentrale Aufgabe der Architekten, selbst auf der Ebene von Privatbauten, etwa in der die Tür, die die Vermittlung zwischen innen und außen ist, also zwischem dem Bereich, der legitimiert wird durch bürgerliche Rechte auf Intimität und dem äußeren Teil, der als öffentlicher Raum ganz anderen Gesichtspunkten unterliegt. Ausschließlich Architekten ist es bisher gelungen, dieses Vermittlungsverhältnis von Eingrenzen und Ausgrenzen zu vergegenständlichen, es in irgendeiner Weise gesellschaftlich sichtbar und erfahrbar zu machen. Denn wenn man sich heute mit einer Lochkarte Zutritt verschafft, hat man es trotzdem noch immer mit einer Tür zu tun, d.h. man kommt rein oder raus, das ist dann das architektonische Konzept.

Bei den Kommunikationsbauten, die die Voraussetzungen des Beziehungsgeflechtes zwischen den Menschen schaffen, mit je unterschiedlicher Begründung der Verbindlichkeit, im sprichwörtlichen Sinne das Phänomen des bewußten Abbruchs der Kommunikation, der Isolation. Zu jeder Art von sozialer Gemeinschaft, auch im Sinne einer Vereinheitlichung der Lebensräume, gehört die Möglichkeit des Abbruchs der Kommunikation; wie es im berühmten Beispiel der Zugbrücke als eines Baues auf einer isolierten Felsnase geradezu thematisiert worden ist. Natürlich mit ganz unterschiedlichen Gründen, auch wenn man glaubt, daß die Legitimation für dieses Verfahren bei uns längst zu den Akten gelegt worden ist, was nicht der Fall ist. Heute zeigen die Architekten, was sie da gelernt haben, d.h. sie bauen lauter Ghettos: Der Tennisclub der Leute, die es sich leisten können, ist ein Ghetto; der Freizeitclub derer, die es sich leisten können, ist ein Ghetto; die Fabrik der Leute, die es sich leisten können, ist ein Ghetto mit speziellem Zugang; das Wohnhaus und die drumherumliegenden Areale sind Ghettos - mit anderen Worten, es wird dieses Vermögen des Abbruchs der Kommunikation, der Isolation heute nicht mehr peiorativ gegen Minderheiten angewendet (früher hat man die Minoritäten wie Juden oder Asoziale ghettoisiert), heute gehen die Eliten freiwillig ins Ghetto, weil es die einzige Form ist, einen durchgängigen Lebenszusammenhang zu garantieren, d.h., sie brechen die Brücken jeden Abend oder jeden Morgen hinter sich ab, isolieren sich vollständig - das Ghetto ist eine in sich geschlossene Welt -, und auch da gilt, man sieht es ja an Amerika und der dortigen Diskussion, welche Architekten beteiligen sich eigentlich an der Herstellung solcher gesellschaftzerstörender Ghettos, auch wenn es jetzt die Ghettos der Reichen sind. In Amerika hat es unter berühmten Architekten innerhalb der verganenen drei Jahre rasante Streitereien darüber gegeben, ob sie sich als Architekten daran beteiligen, die Gesellschaft zu sprengen, indem sie für die Leute, die es bezahlen können, Ghettos etablieren oder nicht. Gehört es grundsätzlich zur Aufgabe jedes Architekten, Kommunikation grundsätzlich zu ermöglichen und aus der architektonischen Konzeption die Möglichkeit des Abbruchs jenseits der durch das bürgerliche Gesetzbuch garantierten Norm (Unantastbarkeit der Privatsphäre), Kommunikation wirklich einzustellen, denn das bedeutet, daß die Gesellschaft wirklich in nicht mehr miteinander in Beziehung stehende Einheiten zerfällt. Was die dann miteinander anstellen ist sehr gut untersucht und auch jederzeit nachvollziehbar. Das ist auch eine Frage an heutige Architekten - so schmerzlich das ist, bestehen sie in der Entwicklung ihrer Architektur als Beispiel für die Durchsetzung internationaler zivilisatorischer Geltungsstandards auf Kommunikation als Grundbedingung des sozialen Lebens, als Basis des Beziehungsgeflechtes, das dann Verbindlichkeiten entwickelt oder nicht? Sind sie Beförderer einer solchen Entwicklung des Zusammenhalts der Menschen, einer Ermöglichung von dichten sozialen Beziehungen oder zerschlagen und zerstören sie sie? Das gilt natürlich für Kommunikationsbauten par excellence. Brücken sind ja in einem anderen Sinne Kommunikationsbauten als beispielsweise Finanzämter, obwohl die natürlich in ihrer architektonischen Anlage auch auf die dort arbeitenden und dort zulaufenden Steuerbevölkerung angelegt sein sollten. An diesen Beispielen ist sichtbar, was alles unter dem Konzept der Brücke in den verschiedenen Lebenszusammenhängen und -formen zu verstehen gewesen ist und wie sich daraus die Brückenfunktion der Sprache entwickelte. Heute findet man alles mögliche, wie den Brückenkurs in der Universität, für Leute, die gewisse Voraussetzungen nicht erfüllen und die dann nachholen oder sozialer oder nachbarschaftlicher Brückenbau, alles das, was in dieser Metapher aufgegangen ist. Aber die Lebensformen, aus denen heraus unsere heutigen Brücken konzipiert sind, sind ziemlich schwach entwickelt, weil man in der Architektur der Brücken heute nichts mehr von ihnen spürt, weil sie kaum noch sichtbar werden. Das gilt natürlich inkl. der konspirativen Verbindungen solcher Brücken, wie z.B. beim Ponte Vecchio in Florenz.

In einer ganz bestimmten Weise haben die Rathäuser als Großbauaufgaben der Gemeinden seit der Renaissance einen bestimmten Typus der Formierung der Gesellschaft durch gemeinsame Orientierung auf Lebensformen ermöglicht, beispielsweise beim Rathaus von Sienna, bei dem es bei jedem Detail eine Vielzahl von Überlegungen der Architekten gab, mit Bezug auf die Gesellschaft, das wissen wir aus den zeitgleichen Gemälden wie z.B. bei Lorenzetti, wie detailbesessen und genau das argumentiert wurde. Jeder hat sofort aus der Grundform der Konka (?) erfaßt, was es für die gesellschaftliche Formierung bedeutet, auf dem tiefsten Punkt der Konka zu sein... Man hat das in den verschiedenen Epochen von Sienna nachgezeichnet und erstaunlicherweise auch in vielen Punkten herausbekommen - auch wenn sich die Gesellschaft, das politische System und die wirtschaftlichen Verhältnisse sich verändert hatten - die entscheidende Formierungskraft dieser Architektur erhalten geblieben ist. Ja, es wird von den meisten heutigen Fachleuten behauptet, daß überhaupt nur dieserlei programmatische Architektur den Zusammenhalt der Siennesen bis zu einem bestimmten Punkt ermöglicht hatte.

Beim Vorplatz von St. Peter mit den Kolonnaden von Bernini, der ja in seinen Grundüberlegungen diesen Aspekt der Formierung der Gesellschaft durch die Mutter Kirche selbst gezeichnet hat. Das sind die berühmten umfassenden Arme: hier steht die "ecclesia", die Mutter Kirche und umfaßt mit ihren Kolonnaden die Menschheit, die auf dem Platz vor St. Peter steht. Es ist also ein Umarmungsvorgang, der durch die Formierung der "ecclesia" vonstatten geht, ein Paradebeispiel für die Fähigkeit der Architekten, Kommunikation als Voraussetzung für das Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen zu entwickeln und zusätzlich sich auf die Verbindlichkeitsform einzurichten, die durch die Theologie vorgegeben sind.

Man kennt die Großprogramme wie Versailles, wo das bis ins Einzelne und Letzte raffinierterweise sowohl für den Innenhof nach außen, wie den Außenhof nach innen, für die Fassaden und auch für die rückwärtigen Gartenanlagen thematisiert wurde, im Hinblick auf die Frage, wie kommuniziert man eigentlich über ein so klassisches architektonisches Element wie die Treppe. In Blois ist das ja auch in historischer, schriftlicher Form überliefert worden. Hier ist der geniale Gedanke entstanden, das Treppenhaus nach draußen zu verlagern und als Rampe auszuführen. Das hat eine ganz bestimmte Auswirkung auf die Formierung der Gesellschaft, was auch in den Romanen jener Zeit beschrieben wurde, die dieses Schloß zu gewissen Zeiten bespielten.

Man sieht es auch im 19. Jahrhundert bei der Entwicklung der Galerien als eines bestimmten Kommunikationstyps, den die Architektur selbst geschaffen hat und den es vorher nur in Analogie gab. Fast überall in Europa entstehen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Galerien, z.B. die Mailänder Galerie, die in einer bestimmten Weise durch architektonisches Denken auf die Formierung der Gemeinschaft oder Gesellschaft ausgerichtet ist und sich auch auf die Verbindlichkeitsgarantien in den Beziehungen bezieht. Das ist keineswegs der schnöde Mammon, wie immer gesagt wurde - die Verbindlichkeiten steckten in den pekuniären Verbindungen der Warenwerte, die dort ausgelegt oder getauscht wurden, qua zahlen oder nicht zahlen, der steckte in der Lebensform, die dieses zahlen oder nicht zahlen überhaupt erst möglich machte. Und das ist ein zivilisatorisch beschreibbarer Prozess, weniger ein kulturell beschreibbarer. Auf der kulturellen Ebene ist da wenig los. Zivilisatorisch ist das eine Formation ersten Ranges. Das gleiche gilt natürlich für die Entwicklung von neuen Anforderungen an die Knüpfung dieser kommunikativen Beziehung, wie sie mit der Eisenbahn entsteht - z. B. neogotisierend, halb aus dem klassizistischen Lehrbuch quer gekreuzt der Bahnhof in Hannover als Prototyp für diese Kommunikationsbauten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als anderes Beispiel der S-Bahnhof in Berlin-Dahlem, der einen ganz anderen Typus der Verbindlichkeiten aktiviert. Hier liegt sie in einer reetgedeckten Ländlichkeit, die vom Bahnhofsgebäude vorgeführt wird. Wer nach Dahlem herausfuhr, der sollte nun auf der Ebene der Lebensform einer bäuerlichen oder ländlichen Gesellschaft landen. Das macht deutlich, wie geschickt Architekten es verstanden haben, Form als Funktionszusammenhang und Lebensform zu sehen, um den Einzelnen, die in diesen Formen sich mit anderen formierten auch noch als Stilträger bzw. als Repräsentanten eines Stils diesen formalen Zusammenhanges sich auffassen zu lassen. Das ist von der Akropolis an über den Durchzug durch die Portale der gotischen Kathedralen bis in diese Welten nachweislich, also sozusagen mit der Kamera demonstrierbar, daß die Eintretenden sich durch das Überschreiten der Schwelle tatsächlich entscheidend verändern, also in die Formation eingehen. Baumeister oder Auftraggeber wie Hitler oder Louis 14. haben instinktsicher um die psychologische intensive Wirkung solcher architektonischen Formierungen gewußt. Das galt auch für die Entwicklung und Formierung neuer Kommunikations- und Ereignisorte wie dem Großkaufhaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder für die Spielkasinos. So sehr diese Bauten im Hinblick auf die herkömmliche stilistische oder formalsprachliche Organisation völlig uninteressant sein mögen, da sie den reinsten Eklektizismus demonstrieren. Auf der Ebene der herkömmlichen Stilerörterungen völlig unbedeutend, aber als Funktionszusammenhang, als Lebensform, als Formierungskraft der Gesellschaft, als Entwickeln des Zusammenhalts zwischen den vielen Menschen über ihre Glaubensüberzeugungen hinaus, über ihre privaten, ihre Vermögens- , ihre kulturellen Herkünfte, über ihre Zugehörigkeit zu Sprachgemeinschaften hinaus, ist das genial, ist das auf reichhaltige Weise in der Entfaltung solcher Kommunikationsbauten der letzten 100 Jahre geschehen, inkl. solcher profaner Bauten, wie die Infrastruktur der Großstädte - Autobahnen etc., die weit unterschätzt werden, bei denen man aber zeigen kann, daß sie als formierende Kraft für den gesellschaftlichen Zusammenhang heute, wahrscheinlich sogar gegenwärtig bei dem relativ unterentwickelten Anspruch von Architektur zu den stärksten und dominierendsten Formen gehören, während man sie rein form- oder stilgeschichtlich als völlig banal und in vielen Fällen als gar nicht diskussionswürdig ansehen muß. Sind sie aber im Hinblick auf Form als Formierungskraft des gesellschaftlichen Zusammenhalts im kommunikativen Beziehungsgeflecht, das auf Verbindlichkeiten in den Beziehungen ausgerichtet ist, geradezu erstrangig. Bei dem Speer'schen Entwurf für das Reichsparteifeld in Nürnberg ist das ja bis in alle Einzelheiten von Speer selbst schriftlich überliefert, in filmischen Dokumentationen über das Formieren von Gesellschaften belegt, wobei man nun nicht sagen darf, eine totalitäre faschistische oder sozialistische Gesellschaft ist formativ, alle anderen sind informell. Bei allen demokratischen Gesellschaften läuft jeder durch die Gegend, das ist völliger Unsinn. Auch in einer demokratischen Gesellschaft darf nicht jeder mit seinem Auto fahren, wo er will. Er formiert sich entlang der Infrastruktur von Straßen. Er kann nicht beliebig Aufzüge benutzen, er kann nicht beliebig in Geschäftshäusern rumlaufen, er kann nicht beliebig Büroräume benutzen. Die formative Kraft ist in demokratischen Lebensformen noch viel bedeutender als in totalitären; ganz gegen den Augenschein, den die Geschichtsschreibung uns da vermittelt.

Das gilt nun auch für Bauten, die interessanterweise reflexiv sind, beispielsweise das berühmte Düsseldorfer Parkhaus aus den frühen 50er Jahren, wo also diese Kommunikationsbauten, Infrastruktur Straße etc. ihrerseits eine Reflektion anstellen: das Parkhaus der Kommunikationsmaschine Auto, der Kommunikationsbau der Kommunikationsmaschinen entsteht und daraus auch ein neuer Typus von Architektur gebildet wird - oder mit Hinweis auf ein historisches Phänomen, die Badehäuschen am Lido, durch die Architektur selber (Aldo Rossi hat das ja in einer brillanten Studie in den 70er Jahren noch mal durchgespielt) entsteht so etwas wie eine reflexive Kommunikation. Da handelt es sich ja darum, daß man sich in diesen Häusern umziehen soll. Das ist ein bestimmtes Thema am Strande für die Kommunikation der Strandbesucher. Rossi zeigt in seinen eigenen Entwürfen, welche formierende Kraft diese kleinen ephemeren Bauten, Strandhäuschen, Umziehkabinen haben können. Oder welche Bedeutung die Sockel haben können, auf welchen Verkehrspolizisten stehen, um den Verkehr zu regulieren oder welche ganz entscheidenden und wichtigen Positionen ephemere Bauten wie Pförtnerlogen haben können - für den Rundfunk, für Fabrikgebäude etc. oder in welchem bedeutenden Zusammenhang ephemere Bauten bei Festen stehen. Das ist ja eine Domäne der Postmoderne schlechthin gewesen. Das gilt natürlich in einem hohen Maße auch für Denkmäler, in denen geradezu diese formativen Kräfte versprachlicht ausgedrückt werden, und zwar völlig gleichlautend, ob das nun hier abstrakt, nicht gegenständlich, nicht figürlich ist - z.B. wie beim Luftbrückendenkmal in Berlin. Oder in so einer 19. Jahrhunderts schikanösen Allegorisierung oder meinetwegen Symbolisierung des Cheruskerfürsten Hermann im Teutoburger Walde. Eigentlich müßte jede Architektur diese Funktion entwickeln, sie ist aber als Kommunikationsbau abgesprengt worden von der Architektur, von den Großaufgaben und hat sich zu einer eigenen Gattung entwickelt, von der ich persönlich glaube, daß sie gegenwärtig eine Renaissance zu erwarten hat. So sieht das Spektrum von Kommunikationsbauten etwa zwischen Eiffels Paris aus und Hausrucker in Kassel für die letzte documenta. Wo nun die Kommunikation als Formierungsprozeß zum Thema gemacht wird, man schreitet durch den Bilderrahmen, der Rahmen ist eine Formierung des Blickes, denn man weiß, man richtet den Blick auf das im Rahmen Ausgegrenzte und nicht jenseits des Rahmens, also ist ein Rahmen ein Architekturelement wie Türen und Fenster etc., das den Blick formiert auf etwas hin, was gesehen werden soll, gegen etwas, was nicht gesehen werden soll. Man spielt das jetzt durch, indem man diese kleine Laufbrücke hochgehen soll und gegenüber dem Horizont und den Architekturen der Aue des 18. Jahrhunderts ganz bestimmte Bilder prägend, formierend, ausgrenzend entwickelt.

Ganz entscheidend ist der Aspekt, in wie weit diese Phänomene greifen, wenn man sich auf sakrale, kultische Kommunikationsräume einläßt im Unterschied etwa zu solchen profanen wie dem Centre Pompidou, also etwa Ronchamp und Pompidou als Kommunikationsräume miteinander vergleicht. Früher hat man gesagt, die Architekten würden unstatthafterweise auratische Überhöhungen, Anleihen bei der Architektur machen, die noch Verbindlichkeiten vermittelt über theologische Begriffe oder über Glauben. Das hat sich als untertrieben dargestellt. Inzwischen vertreten fast alle Fachleute die Auffassungen, die Carl Schmitt in den Rechtswissenschaften aufgestellt hat, daß nämlich alle Begriffe der Kunst- und Architekturgeschichte aus der Theologie stammen, mehr oder weniger nur profanisiert worden sind, in den Alltagskontext überführt worden sind. heute verwenden wir z.B. ohne mit der Wimper zu zucken den Ausdruck "wie ein schöpferischer Architekt", ohne noch zu wissen, daß das reine Theologie ist und daß, wenn man vernünftigerweise etwas darunter verstehen will, schöpferisch auch gar nicht anders als theologisch verstanden werden kann, obwohl niemand mehr um diesen Kontext mehr weiß. Aber in hohem Maße gerade dieser Rückbezug auf die theologischen Bedeutungen in der Alltagskommunikation heute durchsetzt. Kurioserweise wissen das die Nutzer, die Bewohner der Bauten häufig sehr viel besser, als die Architekten selber. Ich wollte darauf eigentlich nur ein paar Hinweise geben, inkl. solcher Typen der Kommunikation wie Übertragungswahrnehmung, der Gläubige soll sich mit dem hl. Sebastian in dieser Architektur des 16. Jahrhunderts ja identifizieren können. Die Architektur selber macht diesen Übertragungsvorgang möglich: empathische Übertragung etwa in dem Sinne wie das im 20. Jahrhundert von Francis Bacon thematisiert wird, gibt es auch in der Architektur. Wenn man die beiden miteinander vergleicht, also die Renaissance-Architektur in ihrer Leistung der Übertragung von empathischem Gefühlsausdruck, die Schmerzerfahrungen des hl. Sebastian oder die Schönheitserfahrungen des hl. Bastians - ab dem 16. Jahrhundert gingen die Frauen ja, wie wir aus den jeweiligen historischen Quellen wissen, in die Kirche, um den nackten Sebastian zu sehen und nicht den Märtyrer. Das ist nicht meine Erfindung, sondern so steht es in den Quellen. So auch hier umgekehrt bei Francis Bacon, der ja nun sozusagen sein Leiden oder sein Unvermögen zu kommunizieren noch zum Gegenstand der Kommunikation macht, das Versagen zur Form des Gelingens, die Ohnmacht zur Form der Kraft macht. Und das ist ein ganz bekannter Mechanismus innerhalb dessen Architektur als formative Kraft der gesellschaftlichen Funktionszusammenhänge erfahrbar wird. Ich habe das hier noch einmal bezogen auf Geschehen, wie sie heute in architektonisch formierten Gesellschaften wie der Bundestagsversammlung und eines römischen Senats aufgetreten sind. Man braucht sich ja nur vorzustellen, wie diese Geschichte von der Fründe jetzt im Bundestag erörtert würde, wie hier in der klassizistischen Malerei der Vorgang innerhalb der römischen Senats, um zu sehen, welchen Anteil die kommunikative Formierung sowohl an der architektonischen Gestaltung des Raumes hat, also wie hier in der Innenarchitektur im wesentlichen, wie eben auch an der jeweiligen Art der Orientierung des Beteiligten auf den verhandelten Gegenstand und Sachverhalt, bis hin zu der Möglichkeit, daß man tatsächlich dem Beteiligten die Aufmerksamkeit so fokussieren kann, daß sie nur noch das wahrnehmen, was sie wahrnehmen sollen. Das empfinden wir aber als eine zu weit gehende Formulierung des Anspruchs von Architekten. Dem wollen wir uns entziehen.

Museen sind ja Kommunikationsbauten par excellence, so wie Brücken beispielsweise auch, und aus denen ergab sich in der jüngsten Vergangenheit ein bestimmter Typus von Kommunikationsbauten, den Sie als Messen und Ausstellungen kennen und von denen heute auf die Architektur, meiner Ansicht nach, die entscheidende Entwicklung ausgeht. Immer mehr wird das, was wir wechselseitig in die Aufmerksamkeit bringen zu der Art einer Beziehungsvermittlung durch Kommunikation, wie sie Messen und Ausstellungen darstellen. Auch sogar in familiären und kommerzfernen Zusammenhängen. Und das Interessante ist jetzt hier, wie ein solcher Typus der Kommunikationsarchitektur als Ausstellungsarchitektur zurückwirkt - als innenarchitektonisches Konzept - auf die Außenarchitektur. Das Centre Pompidou ist ja als ein Kommunikationsbau entwickelt worden nach dem Muster eines Industriebaus, also nach einem ganz anderen Typus der Vermittlung der Beziehungen und der Verbindlichkeit zwischen den dort arbeitenden Menschen oder der Fabrik und der Außenwelt. Das ist ganz auffällig, so geht auch die Tendenz, d.h. das, was aus dem Kernstück der architektonischen Formierungskräfte, also Aufbau der Kommunikation, Repräsentation von Form als Funktionszusammenhang auf die Architektur ausgeht, überträgt sich jetzt auch auf die Industrie- und Zweckbauten und in einem hohen Maße eben auch auf die Wohnbauten, aber das will ich ganz auslassen.

Ich wiederhole jetzt zusammenfassend zum Punkt drei: Gegenwärtig erleben wir, daß die Gesellschaften auseinanderfallen, weil a) die Beziehungen zwischen den Menschen nicht mehr vorhanden sind oder nur virtuell, beispielsweise durch den Fernseher ausgewiesen werden und b) diese Verbindungen unverbindlich werden. Wie kriegt man Verbindlichkeit in ein dichtes soziales Gefüge, ohne welches eine Gesellschaft nicht überlebensfähig ist? 1. durch Bezug auf vermittelnde Größen wie den Glauben. Das sind alles Fundamentalisten, Totalitaristen, die das versuchen - ein Weg, der für Demokratien sicherlich nicht gangbar ist. 2. also dann mit Verweis auf diejenigen Kräfte, die dieses soziale Leben überhaupt erst sichtbar werden lassen als ein in Zusammenhängen vorkommendes, mit anderen Worten, bei den Gestaltern der Lebensräume selbst, der materiell physischen Körper des sozialen Lebens - von der Infrastruktur des Verkehrs bis zu den Bauten. Die nennen wir normalerweise Architekten, Innenarchitekten und Gestalter. Ich bin überzeugt, daß in einem großen Maß jenseits fundamentalistischer Erzwingung von Verbindlichkeit in den Beziehungen zwischen den Menschen der Architektur in diesem Sinne die Aufgabe zukommt, den Zusammenhalt zwischen den Menschen unterschiedlicher privater Überzeugung, Glaubensüberzeugung, regionaler Kulturidentitäten zu ermöglichen durch Orientierung auf übergeordnete, allen gemeinsame, universell geltende Standards oder Normen zu ermöglichen. Und das sind genau die Standards, die als Programm der Moderne - seit Mitte des 15. Jahrhunderts Alberti und andere mit der programmatischen Ausarbeitung eines solchen Selbstverständnisses von Architektur begonnen haben - in der Diskussion sind. Der wahre Unterbruch ist nicht 1905 bei Loos oder beim Bauhaus etc., sondern etwa Anfang des 15. Jahrhunderts zu finden. Wenn wir sehen, wie fantastisch damals diese Formierungskräfte trotz Pest, 1342 bis 1348, trotz irrsinniger Kriege, trotz der Zerstreuung der Menschheit in alle Winde, trotz Ausrottung von zwei Dritteln der Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg gewirkt haben in der Formierung von Gesellschaften, bis hin sogar zu einer Nationalstaatlichkeit, etwas eigentlich nur abstrakt formulierbares, dann weiß man, welche ungeheure Verantwortung der Gestaltung unserer Lebensräume durch das, was wir generell Architektur nennen, zukommt. Nicht im Hinblick auf verschmockten Regionalismus, auf Kulturkampfpotentiale des Suprematiestrebens, sondern Auf universale Durchsetzung zivilisatorischer Standards, und das mit Mitteln und Formen tun zu können, die dafür geeignet sind, ist heute möglich.