Buch Die Zweite Moderne

Eine Diagnose der Kunst der Gegenwart

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Am Ende des 20. Jahrhunderts weisen Tendenzen in den Künsten und der Architektur auf eine "Zweite Moderne" hin, wobei Videofilm und Video-Installation eine besondere Rolle spielen. Kontrovers diskutieren namhafte Vertreter der Kunstszene und renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Publizisten wie E. Beauchamp, H. Belting, P. Iden, W. Rihm oder P. Sloterdijk die Stellung der Kunst der Gegenwart.

Erschienen
01.01.1996

Autor
Klotz, Heinrich

Verlag
Beck

Erscheinungsort
München, Deutschland

ISBN
3-406-40742-0

Umfang
190 S.

Einband
broschiert

Bildende Wissenschaften

Für ein Konzept der Zweiten Moderne lassen sich durch diese Stichworte zukünftige Entwicklungen vergegenwärtigen, die unter dem Programmnamen Imaging sciences und Neuronale Ästhetik zur Diskussion gestellt sind. Imaging sciences bezeichnet die Tatsache, dass auch Naturwissenschaftler aller Arbeitsfelder mit der Verwendung elektronischer Sprachgenerierung gezwungen sind, ihre Arbeiten explizit ästhetisch zu organisieren und zu werten, denn sie begegnen in ihren medialen Vergegenständlichungen gedanklicher Konstrukte primär den kategorialen Vorgaben für ihre Anschauungen und Vorstellungen, wie sie den Funktionslogiken des Gehirns von Natur aus eingeschrieben sind (ihnen widmet sich die Neuronale Ästhetik).

Was bisher im wesentlichen den bildenden Künsten als Formierungsleistung abverlangt wurde, wird nun auch den bildenden Wissenschaften zur Aufgabe. Für die formierende Kraft, die bildende Kraft der Künste, galt die Maxime ut pictura poesis, das heißt, auch Bilder sind sprachlich konstituiert und anwendbar - und deshalb Instrumente der Erkenntnis. Für die bildenden Wissenschaften gilt ut scientia poesis, das heißt, auch wissenschaftlicher Gebrauch von Sprache ist ästhetische Operation mit der unübersteigbaren Differenz von Bewusstsein und seiner sprachlichen Vergegenständlichung.

Weil die bildenden Künste seit der Frührenaissance große Erfahrungen mit ästhetischen Operationen gemacht haben, entwickelte sich ein intensives Interesse der bildenden Wissenschaften an den Leistungen der Künstler. Wenn Künstler zu Partnern der Naturwissenschaftler im gemeinsamen Gebrauch elektronischer Bildgebung/Modellbildung werden, dann werden die Wissenschaftler im Gegenzug zu den heute gewichtigsten Entdeckern und Würdigern historischer Leistungen bildender Künstler. Es ist bereits jetzt absehbar, dass die Labors von Neurophysiologen und Biochemikern zu den utopischen Orten uchronischer Vergegenwärtigung der Kunstgeschichte werden. In der Verwendung der neuen Medien wird sich die utopische Forderung nach der Einheit von bildenden Künsten und bildenden Wissenschaften erfüllen - und zwar als Fortschritt durch Steigerung unserer uchronischen Zeiterfahrung.