Daß man der Kartoffel in Preußen ein Denkmal aus Bronze setzte, ist nachzuvollziehen. Die Menschen in der Streusandbüchse des Alten Reiches überlebten vornehmlich durch Kartoffelanbau. Das kulturelle Niveau der Preußen wies sich nicht zuletzt in Strategien aus, mit denen sie Anbau, Lagerung und Zubereitung der Kartoffeln optimierten - Meisterschaft der Erhaltung.
Die Kartoffel, ein wahrer Goldschatz, den die Europäer aus der neuen Welt herüberschleppten, gehört zu den Nachtschattengewächsen, einer Pflanzenart mit kultischer Aura, die die Basis für die Flugsalbe der Hexen wie für den Schönheitskult feiner Damen bildete und natürlich auch der Herz- und Augenmedizin neue Wege erschloß. Ein paar Tropfen "Belladonna" in Frauenaugen erzeugen den faszinierenden Blick in geweitete Pupillen und lassen die Frau selbst zur bella Donna werden. Auch die Kartoffel treibt Augen, sie ist also eine wahre preußische bella Donna und als solche ungenießbar. Seit man Kartoffeln in kleinen Portionen in jedem Laden kaufen kann, wurde vergessen, welcher Aufwand an Kulturtechnik einst nötig war, um Kartoffeln über lange Wintermonate zu lagern und genießbar zu erhalten.
Dieses Nachtschattengewächs verliert nur in einer kurzen Phase seiner Entwicklung seine Giftigkeit. Man mußte also mit großer Kennerschaft diesen Augenblick seines Alterns auf Dauer stellen.
Dieser Kulturleistung widmet Fernand Roda einen seiner Ausstellungsbeiträge. Er würdigt mit den anstrengenden Mühen, Kartoffeln in ihrer Individualität zu malen, die Agrikultur als Basis jeder Kultur - denn schließlich verdankt sich diesem lateinischen Begriff und seinen Wurzeln unser Begriff »Kultur«.
Kartoffelkeller und Bilder haben eines gemeinsam: Sie sind Lagerungsformen des natürlicherweise Vergänglichen, sich Wandelnden. Immer noch erstaunen wir vor dem Mirakel, wie aus einem Keim oder auch nur dem Fragment eines Keimes ein neues Gewächs entstehen kann oder wie aus ein paar Linien und Farbflächen auf einem Bildträger der Wahrnehmungseindruck zustande kommt, man habe einen realen Gegenstand vor sich.
Zugleich ironisiert Roda eine Errungenschaft seiner Zunft, die sogenannte »serielle Malerei«, die glaubte, aus endlosen Additionen des Gleichen per Bilddialektik etwas ganz und gar Neues zu schaffen: Die beschränktesten Kultivatoren haben die größten Kartoffeln. Man spürt das diebische Vergnügen, mit dem der Maler aus den ehemals preußisch besetzten Rheinlanden den Berliner Kolonisatoren die Ehre erweist.
Im zweiten Gemälde porträtiert Roda das Zersetzen und Verfaulen der Kartoffeln. Dieses Gemälde floralen Keimlingsgerankes hat einen ironischen Bezug auf eine Epoche der Malerei, den Jugendstil. Die Jugendstilkünstler betonten stolz Verfall und Auflösung, also die Dekadenz ihrer Zeit, die sie mit naturhaft jugendlichem Schwung wegzumalen versuchten. Roda persifliert dieses Dekadenzpathos des Fin de siècle, der letzten Jahrhundertwende, als Dekadenz der Kartoffel.
Damit assoziiert er alltagssprachliche Bildhaftigkeit: Das Gesicht eines Alten sei geschrumpelt wie eine Kartoffel oder jemand treibe ungenießbare Blüten. Künstler mußten sich in diesem Jahrhundert häufig vorhalten lassen, ihre Werke seien »entartet«, also ungenießbare Blüten der Dekadenz. Roda reicht diese hämische Kennzeichnung an ihre Urheber zurück. Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht, wie soll er aber dann
je etwas kennenlernen? Mit dem Begriff der »Entartung« kaschiert sich Denkfaulheit und Geschmacksbarbarei hygienegläubiger Städter.
Für Bauern aber sind Zerfallen und Vergehen die Bedingung produktiver Erneuerung im Kreislauf der Natur. Wer sich auch auf einen Kulturkreislauf einlassen will, darf den Zerfall nicht als Entartung stigmatisieren, sondern muß ihn als Voraussetzung der Erneuerung huldigen wie Roda.
Abbildungen:
»Zeit-Raum« (Heute), Fernand Roda, 1997-1998, Öl auf Leinwand, 200x340cm
»Zeit-Raum« (Morgen), Fernand Roda, 1997-1998, Öl auf Leinwand, 200x280cm