Als Künstler wird man nicht geboren. Zum Künstler bildet man sich.
Aus Zeiten, in denen Bildhauer und Maler noch als Handwerker galten, stammt die Bezeichnung »Meister«, die sich heute noch im rechtsverbindlichen Begriff »Meisterschüler« (eines lehrenden Künstlers) erhalten hat. Mit weniger Rechtsanspruch verwendet man im Italienischen den Begriff »maestro« für die nachdrückliche Auszeichnung eines künstlerisch bewährten Orchesterleiters oder Komponisten. Der »master of arts« (Magister) wird als akademischer Grad erworben und verweist auf die Meisterschaft in der Kenntnis von Künsten. In Frankreich meint »maitre« bis heute die Kennzeichnung nicht nur von handwerklich, sondern von vornehmlich intellektuell Tätigen: Dort tragen Anwälte diesen Titel. Die »Maitresse« gilt nach wie vor als eine Meisterin ihres Faches.
Selbst »moderne« Meisterschüler und Magister der Künste lehnen aber die Begriffe »Meister« und »Meisterschaft« ab. Warum? Wahrscheinlich deshalb, weil seit den fünfziger Jahren mit dem Begriff »Meister« väterliche Autorität einerseits und Zunftreglement andererseits verbunden werden.
Tatsächlich aber ist für die Geschichte der Moderne die Berufung auf die Tradition des Meisterhandwerks ebenso wichtig wie die Anlehnung an die industrielle Produktion. Im historischen Bauhaus sollten beide Stränge der Modernisierung zusammengeführt werden: Das Vorbild der Meisterschaft in Meisterkursen und industrielle Entwurfs- und Produktionstechniken wurden von Walter Gropius in der team-Arbeit vereinheitlicht. Die Anleitung durch den Meister und die Orientierung auf den technisch-rationalen Plan ergab den master-Plan.
Der folgenreichste Masterplan dieses Jahrhunderts vereinigte die Zünftigkeit von Blut und Boden mit der Effektivitiät von Hochtechnologien. Auf solche Meisterschaft bezog sich Paul Celan mit seiner berühmten Formulierung »der Tod ist ein Meister aus Deutschland«. Im Bereich der Künste dominierten die »Meistersinger«. Sie propagierten mit Wagner den Kampf der Heiligen Deutschen Kunst gegen »welschen« (= französischen) Zivilisationstand wie gegen jüdische intellektualistische Zersetzung.
Ist dieses historische Verständnis von Meisterschaft zu radikal? Dann starten wir die Auslegung von Modernität gegenwärtig neu: entweder mit einer ironisch-kabarettistischen Zuspitzung des Meisterbegriffs, wie er in der Anrufung von Guildo Horn durch seine Fans sichtbar wird, oder mit Werturteilen in der Unterscheidung von gekonnt und stümperhaft, dilettantisch und professionell. Also verwenden wir die Begriffe »Meisterschaft« oder »meisterlich« als Kriterium der Unterscheidung, selbst wenn wir diese Begriffe im Wortlaut vermeiden.
Und Strategien der Meisterschaft? Sie gelten der Gewichtung von
– Hinzufügen und Wegnehmen
– Entwerfen und Verwerfen
– Denken und Handeln
– Tun und Nichttun
– Verstehen und Gebrauchen.
Zitate:
"Ich suchte mein Heil in den Utopien und fand ein bißchen Trost in der Apokalypse." (Cioran)
"Durch einen Fehler im Weltenplan / lockerte sich mein Schneidezahn. / Da schoß es mir eiskalt durch den Sinn: / Wie, wenn ich nicht unsterblich bin? / Da schien mir urplötzlich sonnenklar, / daß ich ein endliches Wesen war. / Da war ich schlagartig gewarnt: / So habe ich Gott als Mörder enttarnt." (Robert Gernhardt)