Professionelles Publikum
Nicht erst seit der „Wende“ Anfang der 80er herrscht eine allgemeine aggressive Stimmung gegenüber dem Bemühen, anderen Menschen auf die Sprünge zu helfen. Man verwechselte Kunstvermittlung mit einer Art pädagogischer Liebhaberdemonstration. Man glaubte, daß die Kunstvermittler beispielsweise den Besuchern von Ausstellungen unter der Hand, im Tone eines pädagogischen Conferenciers, etwas unterschieben wollten, was dann – nachgeplappert – für die Rezeption dieser Werke bedeutsam sei.
So ist, außer von Unterhaltungsclowns, aber Vermittlung nie gemeint worden.
Sie ist ganz im Gegenteil darauf ausgerichtet, dem Publikum klarzumachen, daß die Rezeption selber eine Form der Produktion ist; daß zum Zuhören, Zusehen oder Betrachten Voraussetzungen gehören, die man genauso professionell erwerben und trainieren muß, wie die Künstler zum Beispiel auf Kunsthochschulen lernen, ihr Metier als Maler oder Bildhauer zu betreiben. In Wahrheit geht es darum, das Publikum aufzufordern, sich selber endlich ernst zu nehmen, sich selbst nicht als Unterhaltungspublikum zu verstehen, das sich von den Künstlern mit Kuchen und von den Vermittlern als Oberkellnern verwöhnen läßt.
Aus: Selbstverwirklichung ist das Ideal von Vollidioten. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.
Kulturgesellschaft
Die hochentwickelten Industriegesellschaften müssen als Kulturgesellschaften entwickelt werden, deren Kapital die Fähigkeit zur Differenzierung ist, und die Bedeutung und Sinnhaftigkeit nich aus höherer Offenbarung beziehen und sie nicht der Omnipotenz irgendwelcher weltlicher Mächte verdanken. Jeder Mensch ist nur darin produktiv, daß er eigene Differenzierungsleistungen erbringt, also selbständig den Dingen eine Bedeutung zu geben vermag (davon hängt inzwischen die Hälfte unseres Bruttosozialproduktes ab).
Aus: Vom erweiterten Kunstbegriff zur Kulturgesellschaft. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.
Die Gnade des Zuhörens
Joseph Beuys fühlte sich nirgends so wohl wie da, wo er so etwas wie Volksbildung, Volkserziehung spürte. Seine Mitstreiter und Gastgeber haben ihn immer wieder gefragt, warum er zu jeder, noch so kleinen Veranstaltung hindüse. Mir antwortete er einmal: „Ja, hör mal, wenn Du das nicht verstanden hast, daß es eine Gnade ist, daß einem jemand zuhört, dann hast Du auch gar nichts zu sagen!“
Aus: 1986: Beuys läßt uns allein... In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.