Zur Finissage der Mühlausstellung in Harald Falckenbergs Harburger Versuchsanlage "Phoenix" sprach auch der große Werner Hofmann über seine Zeit als Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts am Wiener Südbahnhof. Hofmann trat dort 1959 an; 10 Jahre lang konnte er die Wiener Szene aus nächster Nähe studieren. Von Falkenbergs Gästen im September 2005 um eine knappe Bewertung der damaligen Wiener Affären gebeten, fragte Werner Hofmann nur lakonisch: "Und warum taucht hier nie der Oberhuber auf?"
Ich möchte versuchen, Werner Hofmann zu antworten. In den 70er Jahren habe ich häufiger mit Oberhuber über den von Weibel später so genannten Wiener Aktionismus sprechen können. Der Anlass dazu waren die immer stärker werdenden Abweichungen zwischen der Propaganda für Wien als Nachkriegseldorado der Kunstentwicklung und meinen persönlichen Erinnerungen an die Karrieren von Rainer, Hollegha, Mikl, Hundertwasser, Prachensky, an die Seancen der Literaten und Theaterheroen Artmann, Konrad Beyer, Rühm, Qualtinger, Bronner, Merz einerseits und die der Aktionisten um Mühl, Brus, Schwarzkogler andererseits. Oberhuber war sehr viel stärker noch als Rühm und Weibel in der Lage zu verstehen, warum mir Mühls Mannen als matte Gestalten erschienen - und matt ist noch ein Euphemismus. Um die angebrachten harten Urteile zu mildern, sage ich, es war mir nach dem Ende des Deutschen Herbsts 1977 nur noch peinlich, immer wieder mitansehen zu müssen, wie lächerlich, studentenulkig und armselig die aktionistischen Exkrementierungen waren. Sollten bei jenen gemütlichen Aktionsabenden in guter Gesellschaft tatsächlich Freiheitspathos, Antiimperialismus, soziale Utopie zur Geltung gebracht worden sein, dann bestenfalls als säuisches Wohlbehagen in der Wiener Kultur, wobei zu diesem Wohlbehagen der Wiener allemal die Attitüde der Volksbelustiger zu rechnen ist, die Samenraub und Braune Hosen, Gattenmord und Sodomie als Zeichen orgiastischer Lebensfreuden glaubhaft machten. So ähnlich müssen die Kameradschaftsabende der Kaltenbrunner-Truppe ausgesehen haben - und Oberhuber wusste das von Anfang an. Er hat sich deshalb stets der erpressten Kameraderie von Ulknudeln entzogen und durfte dann eben nicht mehr in den Ruhmestafeln der harten Männer Wiens erwähnt werden. Oberhuber verstand Formen des Action Painting, Action Teaching, der Action Music von den Informellen der 50er Jahre her. Zehn Jahre vor den Aktionisten hatte er die Dynamik der enthemmten Gestaltungsgesten von Künstlern zwischen Pollock und Matthieu auf Objektbühnen gelenkt. Oberhuber rettete aus diesen Wirbeln der Entformung die informelle Plastik: ein großartiger, aber wegen der späteren aktionistischen Vermühlungsorgien kaum beachteter Hochleistungsbeitrag zur Kunst des Informell.
Was machte das Informell zur Kenngröße der Nachkriegskunst, die selbst die Arbeiten eines John Cage, eines Rauschenberg und Alan Kaprow noch markiert? Zum ersten Mal war es mit dem Informell gelungen, eine Zeichenrepräsentation hervorzubringen, die in gar keiner Weise beim Künstler oder Betrachter auf irgendwie bestimmbare innere Vorstellungen oder Begriffsarbeit bezogen werden konnte. In den natürlichen Formen der Vermittlung von Bewusstsein an Kommunikation über jegliche Sprachen bilden Kognitionen, Imaginationen und Repräsentationen stets eine Einheit. Jede Begriffsbildung des Denkens wird sofort mit inneren Anschauungen begleitet, denen Worte, Gesten, Bilder zugeordnet werden können. Dem Informell gelang die vollständige Entkoppelung der Kognitionen und Imaginationen von den Repräsentationen; entstanden waren zum ersten Mal Zeichen ohne Bedeutung und ohne Psychoaffektationen (denn normalerweise kann gerade das scheinbar Bedeutungslose, Unbekannte und Unzugängliche affektsteigernd wirken). Mit dieser Zumutung der Zeichen ohne Bedeutung und Affektauslösung konnten sich die Wiener nicht anfreunden. Sie wollten wenigstens maulen oder besser noch hassen oder von Aberwitz unterhalten sein, wie das am großartigsten Karl Kraus vorgeführt hatte. Oberhuber, als einziger genuiner Plastiker des Informellen, konnte man da höchstens als stummen Gast im Hintergrund akzeptieren. Diese erzwungene Distanz ermöglichte ihm den guten Überblick über das Geschehen. Was er dann in den 60er Jahren sah, erschien ihm als nicht allzu amüsante, aber in ihrem Alternativ- oder Subkulturpathos doch unangenehme Variation der 50er Jahre, also der action informelle.
Aber und doch auch: Peter Weibel überliefert die großartigste Selbstkennzeichnung Mühls. Weibel habe Mühl während einer Aktion aufgefordert, doch einmal richtig auf seine Aktionspartner einzudreschen, anstatt nur mühsam diesen Eindruck zu schauspielern. Und da habe Mühl geantwortet: "Das kann ich nicht, Peter, ich bin doch ein Künstler." Diese, in vielen Varianten, als Bonmot über die Salonrevolutionäre herumgetratschte Antwort, die aber ein Ausdruck wahrer Menschlichkeit ist, nahm Oberhuber sehr ernst, philosophisch ernst. Gilt der Satz auch, wenn man sagt: "Klau doch mal richtig!" oder "Lieb doch mal ehrlich!" oder "Lüg doch mal wirklich!" oder "Fälsch doch mal echt!"? Hier entwickelte Oberhuber wittgensteinschen Witz und nestroysche Komik, wenn er z.B. Beuys und mich mit der Frage konfrontierte, wie man eine echte Fälschung von einer bloß künstlerisch gespielten unterscheiden könne. Das war kniffelig. Beuys wieherte kurz auf und gab die Anweisung an Oberhuber, er möge das beuyssche Konzept Wäsche aufhängen in der Galerie nächst St. Stephan schon mal aufbauen, damit Beuys bei seiner Rückkehr nach Wien sofort die Ausstellung mit einem kapitalen Werk eröffnen könne. Und tatsächlich lobte Beuys den echten Oberhuber als Beuys-Werk und das simulierte Beuys-Werk als echten Oberhuber. Bei der Überführung von der Galerie in die Sezession weitete sich dann das Thema der Unterscheidung echter Fälschungen von falschen Fälschungen zum Höhepunkt des Disputes um die Affenmalerei aus, die Arnulf Rainer und Dieter Roth durch die Anleitung ihres Schimpansen provozierten. Bis heute ist der Begriff des Nachäffens populär, aber negativ besetzt. Wie steht es da mit dem Nachbild Mensch? Ist er der Affe Gottes? War Oberhuber der Affe von Beuys? Ich verließ bald darauf Wien und konnte nicht mehr in die Fortsetzung des Wiener Affentheaters eingreifen. Aber Oberhuber hat das getan; wenn er sich auch des Risikos nicht bewusst war, so folgten doch die Sanktionen auf dem Fuße. Oberhuber hat es verabsäumt, den Wienern und weiteren Beteiligten den Hintergrund des damaligen Experiments zur Unterscheidung echter von falscher Fälschungen nach Picassos Motto darzustellen: "Ich kann mich ebenso gut fälschen, wie mich andere fälschen, die besten Picasso-Fälschungen stammen von Picasso." Ich kannte in jener Zeit nur einen Kollegen in Österreich, der diese Fragen mit hinreichendem erkenntniskritischem statt kriminologischem Interesse führte, und das war Oswald Oberhuber. Er war kein großer Rhetor, sollte aber seinen Amtspflichten gemäß bei vielen Gelegenheiten freie Reden halten. Ich galt in dieser Hinsicht als einigermaßen begabt, und so ging er mich um Unterweisung an. Meine Maxime: "Du darfst dich nicht sklavisch den paar Gedanken unterwerfen, die du dir vor der Rede zum Redeanlass zurechtgelegt hast; vielmehr musst du dich begeistert auf die Gedanken einlassen, die du noch gar nicht hattest, aber unter dem Druck der Situation zur Fortführung der Satzaussagen aus der Luft greifen musst, will sagen aus der Situation, die zwischen Ereignisgeilheit des Publikums und Vorurteilsfrömmelei entsteht. Der gute Redner überrascht sich selbst am meisten und dankt seinem Genius für die Bereitschaft, als närrisch zu gelten oder als Stotterer oder als Schwätzer oder als Verfälscher oder Angeber." Binnen kurzem entwickelte Oberhuber bereits Begeisterung für die Herausforderung bei Diplomübergaben, Rektoratsansprachen, Galerieeröffnungen, Verhandlungen mit höchsten Ministerialbürokraten und Kulturpolitikern. Das war natürlich nur vor dem Hintergrund einer Erfahrung möglich, die wir einem Meisterwerk unserer Wirkungsepoche verdankten, nämlich dem intelligentesten aller Künstlerfilme aller Zeiten, den Orson Welles 1974 unter dem Titel ‚Fake‘ herausbrachte. Selbst mattere Temperamente wurden vitalisiert, wenn es galt, nach dem Fake-Vorbild gerade die Selbstaussage eines Werkes "Ich bin falsch" als seinen Wahrheitsbezug zu erkennen. Oberhubers geniale Serie, die er für meinen Unterricht an der Hochschule schuf, kann man als erste authentische Fakes in der Kunst nach Duchamp und Magritte verstehen. Wenn er etwa eine reale Pfeife als objet trouvé mit dem umrahmenden Bildkommentar versah "Ich bin kein Gemälde, aber ein Bild", eröffnete er zugleich mehrere Kunstdiskurse. Mit der Sprachtheorie de Saussures wurde klar, dass wir eine reale Pfeife nur erkennen, soweit wir von ihr ein Vorstellungsbild besitzen und einen Begriff oder Satznamen gespeichert haben. Zugleich sprach das die informelle Abkopplung der Malerei vom Bildbegriff an, weil mit dem Informell die Abkopplung von der Kognition und Imagination von der zeichenhaften Repräsentation vollzogen war. Drittens erinnerte Oberhuber daran, dass Pfeifenmacher das Oberflächenfinish, also die visuelle und haptische Attraktivität der herzustellenden Pfeife, gerade nach Bildern schufen, die der potenzielle Pfeifenkäufer oder Nutzer in Zusammenhang mit genussreichem Pfeiferauchen vorstellte, usw. usf. und so Oberhuber: "Was besagt die Tatsache, dass ich dieses Fake hervorgebracht habe, für die Erörterung obiger Fragen, denn ich habe es gar nicht hergestellt, sondern von einem Kramladenangestellten mal eben aussuchen und herrichten lassen." Ein Fake ist ein Artefakt, das im Bewusstsein seiner tatsächlichen Falschheit die Frage erzwingt: Was besagt die Tatsache, dass in unseren Museen nach Einschätzung der Düsseldorfer Forschungsstelle für Kunstfälschung mindestens ein Drittel der gängigen Meisterwerke gefälscht sind, die aber als Artefakte so überzeugend wirken, dass niemand ihre Falschheit erkennen kann, wenn sich nicht die Fälscher selber outen? Martin Warnke hat manchen Kollegen auf Kongressen zu Ausbrüchen der Verzweiflung, der Wut und des Hasses veranlasst, wenn er mit dem Ausdruck leicht mokanten Lächelns der Weisheit dafür plädierte, alles, auch das für echt gehaltene Werkschaffen, zunächst einmal als eine Fälschung aufzufassen und bestenfalls zu behaupten, daß die echten Werke bisher noch nicht hinreichend als Fälschungen erkannt worden seien. Er verwies damit auf die Abhängigkeit von Herkunftsnachweisen als Beglaubigung der Echtheit, die sich offenbar aus der Evidenz des Werkes nicht ergibt. Die Höhepunkte der warnkeschen Séancen bestanden darin, alle Artefakte als Fälschungen anzunehmen und dann herauszuarbeiten, wodurch denn die Wertschätzung eines Werkes bei unveränderlicher Materialität liegen könne, wenn es einmal als Fälschung der Werkstatt oder der Meister, also als originale Fälschung, von einer Fälschung durch Dritte unterschieden werde und wenn dabei nicht die banale Auskunft akzeptiert wird, der Unterschied liege in dem zu erzielenden Marktpreis. Inzwischen gibt es Museen für echte Fälschungen, für Approbation der Approbateure, also für gefälschte Sturtevants, die aber echte Warhols sind. Das Faken ist als erkenntnistheoretisch begründetes Artefakte-Schaffen sogar unter der leidenschaftlich nachäffenden Jugend verbreitet, die nur insofern gerne Rolexuhren am eigenen Handgelenk präsentiert, als für jedermann klar ist, dass die Prestigeobjekte gefälscht sind und höchstens ein Prozent des offiziellen Verkaufspreises gekostet haben. Die Fakeformen in der Natur werden als Krypsis oder Mimikry von den entsprechenden Fachleuten mit höchster Aufmerksamkeit studiert. Warhol hat die historische Tatsache, dass abstrakt-gegenstandslose Maler vom Militär zum Tarnfarbenanstreicher von Bunkern und Schiffen geadelt wurden, seinerseits dadurch überhöht, dass er nach den Tarnfarbenvorlagen der Militärs Gemälde herstellte.
Kurz: Oswald Oberhuber erwies sich als einer der leistungsfähigsten Faker nach Orson Welles. Es wird noch lange dauern, bis das als große Leistung angemessene Würdigung erfährt.