Borofsky - Droese - G. Merz - Staeck - Art & Language
Der hohe, zweigeschossige Zentralraum des ersten Stockwerks verlockt zur Überdimensionierung: was groß ist, soll Größe werden. Hier möchte am liebsten jeder Künstler sich präsentieren, und zwar ganz allein mit seinem Werk. Aber bei etwas trainiertem Blick nimmt man auch wahr, wie die Architektur zur Kritikerin der Versuche wird, sich auf ihre Kosten zu erhöhen. Zwingend und raumgerecht ist eigentlich nur die Arbeit von Borofsky plaziert. Die Wandmalerei zeigt einen großen Aggressor in vorstürzendem Einsatz. Ein Detektiv mit Pistole, ein Krimineller auf frischer Tat? Die Silhouette ist weitgehend einheitlich und scharf konturiert, im Zentrum tiefschwarz verstärkt. Rundherum Bewegungsschatten gegen wolkiges Himmelsrosa. Die Nummer auf dem Arm ist Werkverzeichnis. Borofsky führt Buch über die Reihenfolge seiner Ideen und ihrer Realisierung.
Das Bildungskonzept, schon seit Jahren von Borofsky verfolgt durch die Darstellung von Fluchtprojektionen mächtiger Vorzeitriesen, ist doppelsinnig. Einerseits auf die Architektur bezogen, befragt es unsere Kulturgeschichte. Wie kam es zu der so selbstverständlichen Beschränkung auf die Wand als vertikaler Bildkastengrenze?
Hatte nicht der Barock durch direkten Auftrag von Bildwerk auf die Architektur die Erfahrung möglich werden lassen, daß Raum immer Umraum ist, also 360 Grad vertikal und horizontal? Der Barock riskierte aber das Ortloswerden des Raumes, wie zu jener Zeit die Erde selbst ortlos im Kosmos, wie auch das ganze Sonnensystem nur ein Staubkorn im All wurde. Das machte Angst. Das schuf Panik.
In der Regel stellt Borofsky seine Decken- und Eckenprojektionen als panikartige Fluchten dar, als Vorstellungen, die keinen Halt mehr finden. Die als so fest empfundene Architektur ist nicht länger Wächter des Ortes der Bestimmtheit. Die Architektur atmet. Die Wände und Decken werden Membran, hauchdünn und wenig haltbar. Die Architektur gerät in Bewegung, in der ja alle Körper erfaßt sind, selbst wenn die Trägheit sie in relativer Ruhe bewahren will. Die Architektur reißt auf, die Perspektiven geraten in unkontrollierbaren Fluß.
Staecks Mahnung zur Vorsicht daneben: Ein explodierender Körper setzt radial Kraftströme frei, die mit Namen von Künstlern belegt sind. Sie zielen, durch die hier vorgenommene Hängung, direkt auf Borofskys Bürger. Eine unfreiwillige Paraphrase über den von Göring bekannt gemachten Bürgerschreck-Satz des Hanns Johst: "Wenn ich das Wort Kunst höre, entsichere ich meinen Revolver." Oder stiftet die Kunst den Bürger an, im Namen der Kultur zur Pistole zu greifen?
Vor Borofskys Figur (im Sinne der Laufrichtung) die Feldtafeln von G. Merz. Repräsentieren sie eine Auffassung von Kunst bzw. Malerei, die Staeck am liebsten vom bilderstürmenden Bürger erledigen lassen möchte? Wie gesagt, dergleichen Sprünge provoziert die Hängung, und die ist doch gewollt? Merz weiß, daß Künstlersein in der von ihm favorisierten Auffassung vom Künstlertum keine Frage der Technik, der Motive, der schönen Absichten ist, sondern Kampf um die Erinnerung. Sein ist wahrgenommen werden. Also mach dich wahrnehmbar, Künstler, und du wirst Künstler sein! Eine Haltung, die der von Warhol sehr nahekommt.
Von der Decke herabhängend ein monumentaler Scherenschnitt von Droese. Auch er eine Silhouette wie Borofskys Figur, aber mit viel komplizierterer innerer Struktur. Zum Werk gehören auf dem Boden die Glaskugel, wie sie Fangnetze tragen, und Glasscheiben, unter denen Dokumente liegen. Die Silhouette schließt nun zur Fischkontur zusammen: dem Zeichen der Christen als Bekenner. Der Fisch wird aus der gläsernen Wasseroberfläche gezogen. Wer da "ich habe Anne Frank umgebracht" sagt? Die mit Stellvertreternamen auf den Dokumenten repräsentierten Industriellen, die Künstler und Alltagspornographen! Daß sie das Eingeständnis machen, die Juden getötet zu haben, ist das tatsächlich Christliche an ihnen.
Art & Language
Was das tatsächlich Künstlerische an den Mitgliedern der Art and Language-Gruppe ist, zeigt ihr großes Atelierbild. Sie sind Dennochkünstler. Mit dem Munde haben sie gemalt. Künstler sind in ihrem Rollenverständnis so verstümmelt wie die Kriegsopfer, denen man die Arme abgeschossen hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch jahrzehntelang Bildserien von "Dennoch-Künstlern mit dem Munde gemalt". Diese Serie vertrieb die Caritas. Und wir sahen darin eine schauerliche Wiederholung der Frage Lessings, ob ein Raffael ohne Hände auch der Raffael geworden wäre, den wir kennen. Heute wissen wir, sagen die A-und-L-Leute, daß ein Raffael nur ohne Hände zu jenem höchsten Künstleranspruch kommt. Bei aller Verführung durch künstlerisches Können, Verführung zum vollendeten Werk, ist ein großer Künstler doch nur, wer gegen diese Verführung Widerstand aufbaut. Man kann heute nicht mehr Künstler sein wollen, sondern nur noch Dennochkünstler. Alles spricht mit Recht gegen den Anspruch der Kunst. Dennoch!