Buch BESUCHERSCHULE d 7

Die Hässlichkeit des Schönen - Spaziergänge Tempelgänge Paradegänge

Besucherschule zur d7, 1982
Besucherschule zur d7, 1982

Fotos: Lothar Koch. Verantw.: Walter Spötter
Besucherschule zur Documenta 7: Die Hässlichkeit des Schönen

  • Spaziergänge durch die Ausstellung – Im Gehen sehen
  • Tempelgänge in der Documenta – Im Sehen verstehen
  • Paradegänge zur d 7 – Im Verstehen weggehen

Erschienen
1981

Autor
Brock, Bazon

Verlag
D+V Paul Dierichs GmbH & Co KG

Erscheinungsort
Kassel, Deutschland

ISBN
3-920453-03-6

Umfang
133 S. : zahlr. Ill. ; 28 cm

Seite 58 im Original

13 Dibbets, Baselitz

Wer die Chefs seien, sollte sich durch die Hängung der d 7 herausstellen. Aber natürlich stand es längst fest. Hier im Fridericianum, auf den unteren Etagen, sind sie alle Chefs. Auch eine Dialektik! Das Museum als verkehrte Welt. Die Chefetagen sind die Basis der neuen Heimat "Paradies".
Chefs sind auch eigenwillig. Chef Baselitz spricht mit Chef Fabro und Chef Dibbets nicht, obwohl sie die Oberleitung hier zusammenführte. Sie gehen wie Beethoven an Goethe grußlos vorbei. Dibbets‘ klare Überlegungen werden, als Kunstwerk ambitiös verpackt, zur Ansichtspostkarte aus dem Paradies, wo nun endlich ein alter Wettstreit gemeistert sein soll.
Langbau und Zentralbau, Basilika und Pantheon, gotische Kathedrale und Rundbau der Renaissance sind in der Dibbetsschen Erlebnisoptik eines gotischen Innenraums zur Einheit gebracht. Das gotische Mittelschiff behauptet zwar die längs ausgerichtete Achse, die Seitenschiffe krümmen sich aber zur Rundung. Ganz geht das nicht auf. Ein Drittel der Rundung bleibt offen; weil Dibbets bemerkte, daß er ja nichts anderes entwickeln würde als ein illusionistisches Kuppelbild?
Auch Baselitz kämpft mit dem Illusionismus. Schwarze Flächen, zumal wenn sie als Übermalungen erkennbar sind, sind ein Risiko. Sie erzeugen Illusionen, die nicht gemeint waren.
In einer jüngsten Serie von Bildern hat Baselitz große Flächen gegeneinandergestellt und den Übergang räumlich überbrückt. Auf der Grenze zwischen den Flächen liegt eine Figur, natürlich als Unterst-zu-oberst-Motiv. Aber da die Figur als liegend empfunden wird (so als schaue man von oben auf sie herab), verwischt sich das Umkehrmotiv. Baselitz wird entweder seine Bilder mit Umkehrmotiven auf dem Fußboden zeigen müssen oder an der Decke, um die Gefahren des bloßen Illusionismus zu meistern. Das wird hier sichtbar, denn hier liegt "der Trommler" auf der Grenze von Weiß zu Schwarz. Aber die Illusion ist doch stärker, der Trommler bewegt sich räumlich. Dieser Eindruck wird durch die Drehbewegung des Körpers noch verstärkt. Die erhobenen Arme, in den Händen die Trommelschlägel, ein Bein im Marschtritt angewinkelt, das ist als räumliche Bewegungsillusion nicht vermeidbar.
Langsam hat man den Eindruck, als habe sich für Baselitz der ursprüngliche Anlaß für die Umkehrung der Motive erschöpft. Malerei der starken Bilder ist inzwischen auch ohne Protest gegen modische Popallüren wieder möglich. Das herkuleische Gigantenpathos, mit dem sich Baselitz gegen unsere Sehkonventionen stemmt, bleibt beachtlich. Aber die Natur des Auges ist stärker.
Die ehrenvolle Scham des Künstlers vor den Banalitäten der Malerei und der Kunstideologien führte zum Umkehrmotiv. Es ermöglichte Baselitz bisher, überhaupt zu malen. Das aus Scham und Ekel entwickelte Umkehrmotiv ließ ihn solche Anlässe für Wahrnehmungen und Vorstellungen wieder als künstlerische Probleme entdecken, die die meisten zeitbewußten Maler weit hinter sich glaubten. Versucht er gegenwärtig, nicht mehr nur flächig gedachte Figurationen, sondern ganze Bildräume durch Umkippen malerisch zu erkunden? Eine Entwicklung, die den Übergang vom Manierismus zum Barock kennzeichnete.
Noch aber scheint es nicht so weit zu sein! Die Radfahrer (Mann im Profil, Frau von vorn) formulieren zwangsläufig selbst die stärkste malerische Fläche zum Raumbild um. Die Blaufelder der Räder öffnen den oberen Bildteil als Himmel gegen alle Absicht.

Um die hier für mich im Vordergrund stehenden Probleme abzuhandeln, müßte ich die Möglichkeit haben, farbige Abbildungen nebeneinander zu setzen. Denn nur dadurch würde evident, plausibel, was ich meine. Lüpertz und Höckelmann sind aus ihrer je eigenen Entwicklung zur Auffassung von Farbwertigkeiten und Formqualitäten gelangt, die wir, durch Lüpertz und Höckelmann veranlaßt, Jetzt auch in Werken von Braque und Picasso wahrnehmen.
Daß Lüpertz und Höckelmann uns mit ihren Arbeiten veranlassen können, an den doch so bekannten Altmeistern neue Seiten zu entdecken, macht die Beschäftigung mit den beiden Heutigen lohnend, gerade wenn ihre neueren Arbeiten uns befremdlich und unzugänglich erscheinen.
Lüpertz gegenüber ein Wandwerk und ein Tafelwerk von Toroni. Fixieren Sie aus möglichst weitem Abstand eines der mit Pinsel Nr. 50 im regelmäßigen Abstand von 30 cm aufgetragenen Felder und variieren Sie den Abstand während des konzentrierten Schauens. Was passiert? Eine schöne, klare, bestimmte und saubere Sache, und ein wenig Glanz hat sie auch, nicht wahr?