Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
11.02.1995

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
11.02.1995

Geist der Romantik

Ein paar britische Gentlemen, Kunstschreiber und Museumsherren, hatten einen wunderbar englischen Spleen: sie wollten (nach der Wiedervereinigung!) höchstselbst mit einer Großausstellung beweisen, daß die bildenden Künste in Deutschland seit 1800 von eben jenem Geist der Romantik verhext und missionarisch scharfgemacht worden seien, der die zivilisierte Welt erschauern ließ:
Machtgestützte Innerlichkeit nannte ihn Thomas Mann, stählerne Romantiker, diktierte Goebbels.
Gut, gut; alles längst kenntnisreicher und verantwortlicher demonstrierte Dreh- und Wehpunkte deutschnationaler Selbsterregung? Was sollte da noch hinzufügbar sein - über das hinaus, was Thomas Mann im Mai 1945 dazu der Welt mitgeteilt hatte? Wer liest schon Thomas Mann, meinten wohl die Gentlemen; wer nimmt schon Goethe zur Kenntnis, also den nüchternen Widerspruch gegen das romantische Gelichter? Wer will schon wissen, daß Künstler wie Schinkel zugleich romantische Neogotik und Klassizismus thematisierten, feudalistische, ständische und republikanisch revolutionäre Tendenzen bearbeiteten? Wen kümmert, daß Emil Nolde frühes Mitglied der NS-Bewegung und ihr Opfer als "entarteter" Künstler gewesen ist? Daß das Bauhausprogramm als bolschewistische Machenschaft verhöhnt wurde, die Nazis aber dieses Programm mit "Schönheit der Arbeit" selber fortsetzen wollten?
Hier ging es nicht um geschichtliche Tatsachen, sondern um einen PR-Abstaubeffekt. Also setzten die Briten mutwiIlig einen Dollpunkt, der dann auch in der englischen Presse Spektakel machte. Der seit 1980 anhaltende Welterfolg der deutschen Expressionisten und der BRD-Meister Beuys, Richter, Polke, Baselitz, Kiefer wurde zur Weltnahme aus dem Geist der Romantik erklärt - Vorboten nationalistischer Machtansprüche, die seit 1990 wieder zu fürchten seien.
Ein Skandal? Ein Dummheit, ein feuilletonistischer Denkkrampf! Das zeigt den Gentlemen jetzt Christoph Vitali, Direktor des Münchener "Haus der (deutschen) Kunst" mit seiner erweiterten Reinszenierung der Londoner Ausstellung.
Vitali ernüchtert gründlich, indem er eine Ansammlung völlig beliebiger Bildauswahlen der Zeit 1790 - 1990 präsentiert, häufig sogar in zweitrangigen Beispielen. Keine einzige These ist daraus ablesbar oder gar belegbar; nichts wird behauptbar; und wenn denn doch, so könnte man das mit englischen oder französischen Bildwerken genauso gut resp. genauso folgenlos belegen.
Klägliche Illusionen für simplizistische, schülerhafte Kühnheiten liefert der romantische Geist dieser Ausstellung: "Natur - Ursprung und Neubeginn", das "Künstlerbild - Einsamkeit und Gemeinschaft" werden plakatiert. Ja, richtiger kann man den Geist der Romantik nicht abfertigen. "Nationale Mythen - Einheitsträume und Einheitszwänge" sollen eine Blut-Schweiß-Tränen-Obsession der deutschen Kunst gewesen sein? Nichts da, demonstriert Vitali; alles bloß eine Ansammlung läppischer Illustriertenbildchen im Halbweltdunkel.
Ist die Romantik überhaupt deutsch?
Die von Vitali zitierten Kronzeugen wie Carl Einstein oder Robert Rosenblum rechneten Künstler wie Picasso, Masson, Miro oder Rothko zu den Romantikern des zwanzigsten Jahrhunderts. Na bitte! Aufklärer Vitali entsorgt dankenswerter Weise die deutsche Kunstgeschichte. Alles ist so richtig schön, so touristisch attraktiv romantisch, wenn man alles historische Denken fahren läßt. Wir bedanken uns herzlich, guter Klosterbruder.