Wohlfahrts-Ausschuß ‘94
So neu und überraschend ist das also nicht. Seit Anfang der achtziger Jahre versucht man, Luhmann von rechts nach links zu lesen. Bloß lesen? Bloß gegen den Strich bürsten? Beltz bekennt's: "Carl Schmitt hat recht." Wenn dem denn so ist, warum gilt Schmitt dann als Inbegriff der Erzreaktion, gegen die sich das "Internationale Komitee der Wachsamkeit gegen Rechts" so flammend wehrt?
Diese "Tugend erwache!"-Rufer waren fast alle in den vergangenen 25 Jahren Carl-Schmitt-, Ernst-Jünger- und Martin-Heidegger-Enthusiasten, also Erzreaktionäre, aber mit dem Geschick, sich zugleich als Hüter der freiheitlich-demokratischen Verfassung feiern zu lassen.
Mir gelang es noch nie, Carl Schmitts Ernst- und Ausnahmefalldenkerei weder logisch noch politisch irgendeinen tauglichen Gedanken abzugewinnen, zumal in einer Situation, in der die Ausnahme die Regel und der Ernstfall auf Dauer gestellt ist. Alles futuristische, dadaistische, surrealistische Kindereien von Machtspielern, die ihr bißchen ästhetischen Terrorismus von der Kabarettbühne in die Massenagitation überfuhren wollten. Längst ist die Sicherung des banalen Normalfalls das einzige lohnende Ziel all unserer Anstrengungen.
Zu Recht fürchten die Erzwingungsstrategen fundamentalistischer Weisheiten linker wie rechter Couleur, in solchem Normalfall Statur zu verlieren, denn sie sind so phantasielos und leibarm, so leidverschont und professoral etabliert, daß sie nur Extreme faszinieren, marinettische Bombenwürfe orgiasmieren und das bretonsche Herumfuchteln mit dem Revolver kulturell befriedigt. "Verständigung halten sie entweder für vergreist humanistische Attitüden oder - und hier und nur hier gründet die linke Selbstinszenierung - sie sehen in der Verständigung den Keim aller Macht", so van Rossum. Kann man sich mit ihnen verständigen, diesen falschen Brüdern? Eins halten wir ihnen zugute: Es ist besser zu lügen, als von der Wahrheit gar nichts zu wissen.