Geschrieben 1983 für Die Bunte anläßlich Brekers Arbeit an einem Portrait von Ulrike Mayfarth
Gibt es faschistische Kunst oder kommunistische oder christliche oder demokratische? Auf jeden Fall gab es und gibt es Künstler, die Faschisten sind oder waren oder Kommunisten, Christen oder Demokraten. Aber nicht jedes Werk eines Künstlers, der zum Beispiel sich selbst für einen Nationalsozialisten hielt, wurde von der Naziregierung belobigt, gekauft und ausgestellt. Im Italien Mussolinis schätzte die Regierung auch solche Werke, die im Deutschland Hitlers verboten waren. Unter den Lieblingswerken hoher Naziführer stammten nicht wenige von Künstlern, die auf gar keinen Fall etwas mit den Faschisten zu tun haben wollten, und umgekehrt wurden und werden Werke von Nazikünstlern von sehr vielen Menschen geschätzt, die weiß Gott keine Faschisten oder Nazis waren oder sind.
Also ein heilloses Durcheinander? Ganz und gar nicht. Demokraten sind in diesem Feld jene Mitmenschen, die sich strikt weigern, ihnen nicht genehme, vielleicht sogar verachtenswerte Kunstwerke als »entartete« zu verbieten oder zerstören zu lassen, oder gar deren Urheber mit Malverbot oder Haft und Folter zu verfolgen, wie das Faschisten und Nazis rücksichtslos getan haben.
Jawohl, so einfach ist der Unterschied festzustellen. Wichtig ist nämlich nicht, was Faschist oder Demokrat, Politgangster oder Menschenfreund jeweils für Kunst halten, welche Werte sie hochhalten, welche Ideen und Ziele sie proklamieren, sondern in welcher Weise sie von ihrer Kunst und ihren Werten Gebrauch machen.
Schon die Bibel gibt dafür ein grandioses Beispiel. Abraham war bereit, aus falsch verstandenem blindem Glauben und Gehorsam gegen Gott sogar seinen eigenen Sohn zu opfern. Abraham war ein Paradefaschist. Aber Gott fiel Abraham schließlich in den Arm, eine Gnade, die niemandem zuteil wird, der bloß im Namen selbsternannter Ideale opfert.
Aus der Weltgeschichte sind zahllose Beispiele bekannt, wie man gerade im Namen der Liebe besonders gut tötet, oder auch Beispiele dafür, daß man im Namen großer, ewiger, klassischer Kunst besonders rücksichtslos über die Lebenswirklichkeit von Menschen hinweggeht, ihr Denken und Erleben in Normen und Formen preßt, die bloß für Marmor, Stein oder Eisen taugen. Bestenfalls kommt bei dieser Veredelungstour und Verewigungstortur nur Kitsch heraus, normalerweise werden sie Propaganda für die Dummheit, schlimmstenfalls produzieren sie Götzenbilder, denen man andere und sich selbst opfert.
Arno Breker, der erfolgreichste Staatskünstler der Neuzeit, schuf in blindem Kunstglauben vor allem Kitsch und Propaganda. Seine Götzenbilder waren schneller zerstört als aufgestellt, da hat er Glück gehabt.
Breker läßt von sich nachdrücklich verbreiten, daß er stets Demokrat und Idealist gewesen sei, weil er sogar bei Hitler gegen die Verfolgung von Künstlern und Werken, die als entartet galten, protestiert habe. Im Unterschied zu seinem Freund Albert Speer bekennt Breker damit, er habe sehr wohl gewußt, welche kriminellen Taten von den Nazis an der Kunst seit 1930 begangen wurden - seit der erste Naziminister regierte. Da Brekers Proteste gegen Bilderstürmerei, Berufsverbote, Lagerhaft und Folter bei Hitler keinen Erfolg hatten, sieht es Breker als erwiesen an, daß er kein Nazi gewesen sein kann. auch wenn Hitler nur ihn und Speer ins eroberte Paris mitnahm und trotz der gigantischen Geschenke und Aufträge, die Hitler und Speer ihm übergaben.
Demokrat und Idealist waren dennoch Mitwisser, ja Stars der Naziherrschaft - wieder ein heilloses Durcheinander? Nein. Breker war, wie die Mehrzahl der Nazis, Idealist, fanatischer Idealist ohne wenn und aber. Für die Durchsetzung oder Verwirklichung seiner Ideale war er bereit, jedes Opfer zu bringen wie Abraham für das Gebot Gottes. Breker opferte wie die vielen Nazis sogar seine Selbstachtung, seine Freiheit, sein Verständnis und besseres Wissen, seine künstlerische Glaubwürdigkeit und sogar seine Kreativität als Künstler.
Die Paradenazis priesen Treue und Ehre und Vaterlandsliebe - dann gingen sie verantwortungslos stiften. Die Paradekünstler predigten die griechischen Klassiker oder Michelangelo als verbindliche Kunstgrößen, gegen die bei Strafe nicht verstoßen werden durfte, und dann produzierten sie selber Kunstwerke wie Breker, denen schon ein Anfänger ansieht, daß sie mit den Vorbildern nicht das geringste zu tun haben und auch nichts zu tun haben können.
Hitler, Breker und Speer wollten sich auf Teufel komm raus als Perikles, Phidias und Iktinous, als Staatsmann, Bildhauer und Architekt des klassischen Athens verstehen, als die Neuschöpfer der Akropolis, wie sie den Touristen vor Augen steht. Breker und Co. wollten ewige Dauer ewiger Werte. Schluß mit dem Hin und Her von Argument und Gegenargument, von Geschmäckern und Meinungen. Sie wollten endlich Verbindlichkeit für Kunsturteile, an die sich alle zu halten hätten. Sie glaubten, die Ängste vor Veränderungen und unbekannten Zukünften dadurch abzubauen, daß sie Zukünfte nur noch als Wiederholung ihrer Gegenwart zuließen.
Breker, Speer und Hitler und all die anderen schufen aber eben deshalb nichts als Tod und Chaos, Kitsch und Propaganda, weil sie glauben, daß man mit hohen Idealen, eisernem Willen und perfekter Durchsetzungsfähigkeit jene Ziele planmäßig erreichen könne.
Breker besaß eine überaus perfekte Technik, einen eisernen Gestaltungswillen und geradezu naiv bilderbuchhafte Kunstideale. Gerade deshalb mußte er im Kitsch enden.
Heute räkeln und winden sich bei ihm ›Tänzerin‹, ›Junge Venus‹, ›Verhöhntes Mädchen‹, ›Mädchen mit Tuch in Erwartung‹, wo vor vierzig Jahren ›Die Vergeltung‹, ›Der Rächer‹, ›Der Fackelträger‹, ›Die Partei‹ oder ›Die Wehrmacht‹ mit Felsbrocken warfen, Kurzschwerte aus der Scheide zogen, ihre Muskeln spielen ließen und kriegerisch vor sich hin starrten. Brekers Wille, Ideal und Technik setzten sich immer gegenüber dem Material und dem Dargestellten so brutal durch, daß sie nur noch als Vorwand übrigblieben. Die plastischen Gestaltungen laufen ins Leere, bleiben hohle Phrasen, die eben deshalb so pompös aufgedonnert werden müssen.
Arme Ulrike Meyfarth, aber vielleicht wird sie vielzitiertes Beispiel für die einzige Neuerung, die Breker als Bildhauer wagte: Er ist der erste, der nicht nur Männer nackt mit allen anatomischen Details aus dem Marmor meißelte, sondern auch Frauen mit jenen allgemein interessierenden sekundären Geschlechtsmerkmalen ausstattete, derer ansichtig zu werden man heute, Gott sei Dank, keine Breker-Venus mehr zu kaufen braucht. Ein Pornoheft tut es auch. Aber dort sieht man eben nicht, was an Ulrike niemanden was angeht, selbst wenn er behauptet, das von Gott einmalig schön geschaffene Ulrikchen preisen zu wollen.