Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung

Erschienen
23.03.1976

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
23.03.1976

Wie die Werbung wirbt

Eine Ausstellung, die 'Zehn Jahre deutsche Werbung' präsentiert, darf eines breiten öffentlichen Interesses sicher sein, denn vor zehn Jahren begann sich die öffentliche Einstellung zur Werbung grundlegend zu ändern. War bis dahin Werbung eine niedere Form der durch die Geschichte des Dritten Reiches völlig in Mißkredit geratenen Propaganda und Reklame, so wurde sie Mitte der sechziger Jahre als eine Form der Kommunikation über Gegenstände des Alltagslebens anerkannt, d.h. ernstgenommen.
Das Publikum erkannte, daß der größere Teil unserer alltäglichen Umweltbeziehungen über den Gebrauch von Gegenständen läuft, die wir kaufen. Nicht erst der Kaufentschluß wird von der Werbung beeinflußt, sondern der (symbolische) Objektcharakter der Waren wird durch die ihnen von der Werbung beigegebenen Aussagen bestimmt. Die Waren selber wurden Bestandteile eines gesellschaftlichen Symbolsystems, das sich damals sogar zu einer neuen kulturellen Einheit, der Popkultur, verselbständigte.
Daß es zu einer solchen Integration der Werbung ins kulturelle Selbstverständnis kommen konnte, hat neben einer Reihe allgemeiner gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Voraussetzungen zwei im engeren Sinne kulturelle Ursachen: Zum einen hatte die in den fünfziger Jahren international führende Schweizer Werbegraphik das künstlerische Niveau der Werbung entscheidend gesteigert. Zum anderen bezogen die Bildenden Künstler um 1960 verstärkt die Werbung in ihre Bildthematiken ein. Was ursprünglich aus der bloßen Faszination der Bildenden Künstler an kommerzieller Ikonographie und den in der Werbung sichtbar gemachten Alltagsmythen als eine weitere Spielform künstlerischen Ausdrucks entstand, wurde sehr schnell zur Grundlage einer neuen Ästhetik, an deren Ausbildung die Künstler sich nunmehr auch ausdrücklich beteiligten. Was zunächst nur Ausdruck der Überwältigung durch den amerikanischen Zivilisationstraum war, konnte jetzt durch die künstlerischen Arbeiten an europäische Vorstellungen einer kulturellen Tradition angeschlossen werden. Die in der Werbung vergegenständlichte Alltagskultur einer total entfesselten Industriegesellschaft wurde durch die Arbeiten der Künstler zu einem auch kulturell lesbaren Aussagengefüge aufgewertet. Die europäischen Vorbehalte gegen die Scheinwelt der Maschine, des Kinos, der Illustrierten und des Konsums ließen sich dadurch abbauen, andererseits konnte aber auch gerade über diesen selbstverständlichen Umgang mit der neuen Alltagskultur ein neues Unterscheidungsvermögen im Bereich der überlieferten Bildersprachen Europas ausgebildet werden. Arnold GEHLEN bemerkte damals als erster, daß gerade das neue und offene Umgehen mit der Popkultur dazu führe, daß wir der europäischen Bildtradition ganz neue Sensationen abgewinnen können. Wer sich heute gelangweilt von der Popkultur wieder auf die europäische Bildtradition zurückzieht, vergißt, daß er das neue Interesse an der Tradition gerade dem Umgang mit den Pop-BildweIten verdankt.
Heute läßt sich feststellen, daß neben allen indirekten Wirkungen der Werbung (Integration der Industriekultur in die europäische Kulturtradition; Steigerung der Wahrnehmungssensibilität eines breiten Publikums; ja sogar die Herausforderung einer radikalen Kritik an der Warenästhetik) ihre Hauptleistung in kultureller Hinsicht darin besteht, die Form des emblematischen Sprachgebrauchs bis in die Gegenwart hinein lebendig erhalten zu haben. Erst durch diese Leistung der Werbung wird das Emblem als offenbar wirkungsvollste Aussagenkonstruktion auch wieder in den Bereichen der allgemeinen Didaktik, in wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten verwendet. Das Emblem kennzeichnet nämlich eine raffinierte Verknüpfung von Wort und Bild. In der Zeit zwischen 1500 und 1750 ist die emblematische Methode zur höchsten Vollendung entwickelt worden. In den heute noch belegbaren tausenden und abertausenden Emblemen aus jener Zeit, die damals über die Massenmedien Buch und Graphik im Verhältnis zur Bevölkerungszahl genauso verbreitet waren wie die Werbung heute, wurde die emblematische Wort-Bild-Zuordnung folgendermaßen typisiert:
Jedes Emblem bestand aus drei Ebenen, der Inscriptio (Überschrift oder Titel), der Pictura (Bildbestandteil) und der Subscriptio (Bildlegende). Dieser klassische Aufbau ist heute für jede Werbung verbindlich, woran sich nichts ändert, wenn man die Inscriptio heute Schlagzeile oder Aufhänger nennt und die Subscriptio als Information zum abgebildeten Produkt auffaßt. In unseren beiden Beispielen entsprechen sich also als Inscriptio die Zeilen Operam perdere (Vergebliche Liebesmüh) und 'Es gibt Situationen, in denen Papier eine entscheidende Rolle spielt'. Die Bildteile dieser beiden Embleme zeigen einen jeweils exemplarischen Fall: die vergebliche Liebesmüh, mit Pfeilen einen Amboß löchern zu wollen, und die Bedeutung von Papier, die sich vor allem dann zeigt, wenn es nicht vorhanden ist. Die Subskriptionen beider Embleme sind jeweils erweiternde Auslegungen von Schlagzeile und Bild. Im Emblem des Barock besagt die Bildlegende, daß man ebenso wenig, wie man einen Amboß mit auf ihm geschmiedeten Pfeilen zerstören kann, Christus zu widerlegen vermag, da die Widerleger selber Bestandteil von Gottes Schöpfung sind. In unserem Beispiel der Werbeemblematik besagt die Subscriptio, daß auch die Verdopplung des Papiervorrats nicht davor schützt, 'ohne' dazusitzen, wohl aber vor Langeweile, denn die Verdopplung bietet eine Auswahl.
Bei einer Übersichtsausstellung zu zehn Jahren preisgekrönter Werbung sollte deutlich werden, wieweit die Werbetreibenden und Juroren diese ihre Leistung selbst erkannt haben; inwieweit sie also tatsächlich Kenner ihres Mediums sind. Die Frage ist erheblich, weil in diesem Falle die Juroren selber aktive Schlüsselpositionen in der Werbepraxis einnehmen. Sie sind Mitglieder des Art Directors Club, wobei Art Director nicht etwa die etwas zwielichtige Rolle eines selbsternannten Kunstdirektors bezeichnet, sondern eine entscheidende Position in der Hierarchie von Werbeagenturen und entsprechender Abteilungen in den Massenmedien.
Soweit die Ausstellungskonzeption selber zu beurteilen ist, entsteht der Eindruck, als hätten die Juroren nicht die geringste Ahnung von ihrem Medium. Denn kein noch so armer kleiner Kunstverein, kein noch so mittelloses Medium, kein Schülerklub könnte es sich heute leisten, eine derart unstrukturierte Anhäufung nicht wahrnehmbarer Ausstellungsstücke anzubieten. Ein Medienkenner wüßte, daß man nicht einfach Anzeigenseiten aus Zeitschriften auf die Wand pinnen kann: Denn die Gestaltung de~ Anzeigenseiten ist darauf abgestellt, daß der Leser sie auf halbe Armlängendistanz wahrnimmt, zudem in einem redaktionellen Umfeld, das die Einstellung des Lesers zur Anzeige mitbestimmt. Wenn aber solche Anzeigen in einem ihnen fremden Präsentationsrahmen auf der Museumswand angeboten werden, wirken sie als ausgestellte Wahrnehmungsobjekte kümmerlich, ja sie haben überhaupt keinen Objektcharakter mehr. In der Ausstellung werden zudem alle prämiierten Arbeiten - ob Anzeige oder Plakat oder Titelseite - im gleichen Format vor eintöniger schwarzer Lackfolie präsentiert. Die doch immerhin aus der Werbungsarbeit nicht mehr auszuklammernden Werbespots fürs Fernsehen und Kino fehlen völlig, obwohl heute besagte arme Kunstaussteller allerorts über technische Voraussetzungen verfügen, die Fernseh- und Filmarbeit ihrer Künstler zu zeigen. Zudem: Die sich durch drei große Räume hinziehende Reihung gleichformatiger Papierchen ist weder chronologisch noch thematisch geordnet, so daß der Besucher weder beurteilen kann, wie sich die Werbearbeit selber verändert hat, noch wie sich die Urteilskriterien der Art Directors-Juroren entwickelten.
Dieses magere Resultat erstaunt um so mehr, als das Gros der ausgestellten Arbeiten von außerordentlichem formalen Rang ist und die Aussteller in ihrem Katalog zu verstehen geben, daß sie seit einigen Jahren ihre Arbeiten auch unter Gesichtspunkten verantwortlich kontrollieren wollen, die ihnen die Kritik an der Werbung zur Verfügung gestellt hat. Sie wissen heute, wie sehr sie mit ihrem Medium die öffentliche Sprache und Vorstellungskraft prägen, daß sie mit ihren Produktaussagen Lebensstile beeinflussen; sie wissen, daß der Verbraucher gerade nicht jener Vollidiot ist, den man durch stumpfsinniges Wiederholen von Idiotien beliebig konditionieren kann und darf; und, was das Allerwichtigste ist, ja was die Werbetreibenden fast schon wieder zu einer Avantgarde macht: sie verstehen, daß nur in den seltensten Fällen Auftraggeber Zensur ausüben; sie sehen ein, daß sie selbst es sind, die sich unter Zensur zwingen, wie sie ausgelöst wird durch Gruppenanpassung, den Weg des geringsten Widerstands, büttelhafte Anbiederei an Auftraggeber, denen damit nicht im geringsten gedient ist. Im Unterschied zu vielen Bereichen der Politik, der Verwaltung, der Wissenschaft, des Kulturbetriebs haben die Werber sich die Ausrede verboten, daß von außen kommender Druck die Hauptursache für nicht akzeptable Arbeit ist.
Dieses lobenswerte Selbstverständnis der Werbekreativen bedürfte jedoch in einem entscheidenden Punkt noch der Ausweitung. Sie betrifft ihr Verhältnis zu den Künstlern. Alle vornehmen Dementis können nicht kaschieren, daß sich die Werber doch für Künstler halten, freilich für gutbezahlte Künstler und für solche, die Arbeiten der schlecht bezahlten Künstler-Künstler ohne Gegenleistung für ihre Zwecke ausbeuten dürfen. Die Rechtfertigung, man verbreite auf diesem Wege die Bild- und Reflexionsaussagen der Kunst auch in der Alltagsästhetik, ist solange fadenscheinig, als man die Künstler-Künstler für die in Anspruch genommenen Erfindungen nicht honoriert. Denn immerhin steht einwandfrei fest, daß in diesem Jahrzehnt Bildende Künstler, Literaten und Journalisten die eigentlichen Urheber neuerer Bild- und Wortaussagen sind, die die Werbung dank ihrer überlegenen emblematischen Methode und ihres unvergleichlich größeren finanziellen Verbreitungspotentials ausnutzt.

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