Aktion Denkerei: Fridhelm Klein: 1000 Tageszeichnungen und der sterbende Kunsthund

Ausstellung vom 27.11.2018 bis 20.01.2019

Fridhelm Klein, Tageszeichnung, o.J. + 7 Bilder
Fridhelm Klein, Tageszeichnung, o.J.

27.11.18, 18:30 Uhr: Eröffnung mit einem Vortrag von Bazon Brock „Die denkende Hand und die Heiligkeit des Banalen“ und einem Vortrag von Ulrich Heinen „Über die Verfertigung der Sinnbilder beim Zeichnen“

„Die ‚Tageszeichnungen‘, das sind die Einteilung in Tage, an denen ich einfach, wo ich sitze und gehe und stehe, telefoniere oder auf die Straßenbahn warte, Spuren lege.“ (Fridhelm Klein)

Die Praxis der Tageszeichnungen entspricht Herodots Postulat „Werke und Tage“. Das bedeutet einerseits: So wie man den Tag lebt, produziert man auch das Werk. Andererseits ist hier das Leben, da das Werk. Erga kai hemerai heißt das auf Griechisch, erga sind die Werke, kai hemerai sind die Tage. Erga kai hemerai bedeutet dann das zusammenzuschließen, das heißt, das Leben selbst ist die Form der Entwicklung des Werkes, aber auch, das Leben des Künstlers ist die Voraussetzung dafür, dass er etwas schaffen kann. Die Organisation des Lebens entspricht der Organisation des Werkes. Man lebt dann, wie man schreibt. Das ist die Musil’sche Formulierung. Man lebt in Werkform. Das hat in der Antike in den Schulen wie z.B. in der epikureischen Schule und in den Akademien begonnen. Es ging damals und geht auch heute noch um die Frage: Wie müssen wir leben, damit ein Werk entsteht?

Zum Beispiel heißt es bei Thomas Mann: „Ich muss um 8 Uhr am Schreibtisch sitzen und arbeite bis zwölf“. Das ist die einzige Basis dafür, wie Werke geschaffen werden. Die Stoiker und Epikureer haben ihren Schülern auch schon diese Anweisung gegeben: nulla dies sine linea, kein Tag ohne Manifestation.

Das heißt, wenn ich ein Tagebuch führe, ist das auch eine Fixierung des Lebens. Das Leben ist also nicht entscheidend, denn es wird ja nur dadurch, dass es erinnerungsfähig wird, ein für das Werk bedeutsames Leben. Es geht also nicht um Gleichwertigkeiten, also hier Leben und da Werke, sondern es ist wirklich eine Einheit. Und das Leben ist gebunden an die Erinnerung, gelebt zu haben.

Also ist alles Leben darauf ausgerichtet, eine Erinnerung zu schaffen. Ich lebe, damit es später eine Erzählung über mein Leben gibt. Das Leben als Werk ist die Biografie. Das heißt, Leben selbst wird zu einem Werk. Das geht von der Stoa direkt die christliche Ethik ein: Man hat so zu leben, dass es ein gottgefälliges Werk ist in theologischer Absicherung in dieser oder jener Hinsicht.

Also sind „Tageszeichnungen“ im Sinne der seit der Antike vorgegebenen Einheit von Leben und Werk die einfachste Vermittlung zwischen den beiden Ebenen, das Leben selber auch zu zeigen. Diese Aufzeichnungen können später zum Beispiel als Teil der Autobiografie selber wieder ein Werk sein. Man muss das Werk additiv entwickeln, jeden Tag etwas tun. Das würde dann heißen, Aufzeichnungen sind die Fixierungen der einzelnen Elemente, damit am Ende ein Ganzes herauskommt.

Am Beispiel der Tageszeichnungen von Fridhelm Klein könnte man sagen, dass sich aus 1000 solcher Tageszeichnungen eine zeichnerische Darstellung eines Lebens ergibt. Das wäre dann sozusagen eine gezeichnete Autobiografie oder eine mit bildenden Mitteln gestaltete Biografie. Das ist eine Übersetzung der Biografiepflichtigkeit in eine Darstellungspflichtigkeit. Und die Darstellung wäre dann am Ende auch eine geschlossene Biografie.

Eine Ausstellung dieser individuellen Tageszeichnungen kann dieses Werk, diese Biografie übersetzbar machen: Die Tageszeichnungen werden zur Handreichung für andere, denn im Zeichnen ist die Einheit von Tun und Gestalten gegeben. Das heißt, man macht etwas, das aber gleichzeitig eine Gestaltung ist. Das kann man auf die sozialen Beziehungen übertragen. Das Leben ist ja ein permanentes Experiment. Man hat es noch nicht gelebt, man hat es noch nicht trainiert, man kann es nicht. Im Leben fällt die Entfaltung der Möglichkeit mit der Verwirklichung zusammen. Deswegen sprechen die Leute auch seit der Stoa von der Arbeit an der Biografie, von der Gestaltung des eigenen Lebens. Das ist also das Grundprinzip: Erga kai hermerai. Werke und Tage. Auch in den Beziehungen.

Anlässlich der Ausstellung erscheint der Katalog Fridhelm Klein: 1000 Tageszeichnungen. 50 Jahre Heimfahrt der Kunstpädagogik zur Kunst (Röttenbach: Schrenk, 2018) mit einem Gespräch von Bazon Brock und Fridhelm Klein.

Am Montag, den 26.11.2018 wird im Exploratorium in Berlin ein Abend zum Thema „The Art of Selfie“ mit Performances & Gespräch sowie Zeichnungen, Fotos & Videos zum 80. Geburtstag von Fridhelm Klein stattfinden: www.exploratorium-berlin.de

Am Mittwoch, den 28.11.2018, 16-20 Uhr findet in der Denkerei der Workshop „Tageszeichnungen – die denkende und träumende Hand“, geleitet von Fridhelm Klein, statt. Weitere Informationen unter: www.denkerei-berlin.de/kalender/?id=1291 

Anmeldung zum Workshop bitte bis spätestens 26.11.2018 an: info@denkerei-berlin.de 

Zur Person:
Friedhelm Klein war von 1969 bis 2004 Professor für Experimentelles Spiel und Neue Medien an der Akademie der Bildenden Künste München. Er lebt und arbeitet in München und Kreta. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, Gastdozent an verschiedenen Hochschulen. Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit: Umgang mit Natur, Kunst und Kommunikation.

Termin
27.11.2018, 18:30 Uhr

Veranstaltungsort
Berlin, Deutschland

Veranstalter
Denkerei

Veranstaltungsort
Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin