Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
02.02.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
02.02.1994

Gratulügen

Der Dombaumeister von Köln packt ein, natürlich nicht wie Christo, aber eigentlich müßte sie schon sein, die Ganzkörperverhüllung des Doms, um ihn zu erhalten und zu bewahren. Oben braucht er Schutz vor dem sauren Regen, unten vor den barbarischen Klauen der Sprayer und Schmierer, der Zertrümmerer und Souvenirjäger. Jetzt ist die Gefahr der Zerstörung des Doms so groß geworden, daß der Hüter der heiligen Steine den Bau durch Gitter schützen muß, um die Raubmenschen abzuwehren.

Was für eine Anmaßung! Weiß dieser Mann nicht, daß Besprayen und Beschmieren eine grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit ist, der gegenüber der Schutz von Eigentum eine ganz und gar lächerliche Asozialität der besitzenden Klasse darstellt? Hat etwa Direktor Vitali gewagt, den mit einer Professur belohnten Sprayer von Zürich daran zu hindern, die Wände der Schirn unter Anleitung der Presse zu beschmieren? Vitali würde 'nen Deibel tun, sich mit Stadtrat Cohn-Bendit anzulegen, der dogmatisch verkündet, die Kids müßten jedes Recht haben, sich die Stadt so anzueignen, wie sie das für okay halten. Und was heißt hier überhaupt "schmieren"? Diese Diskriminierung von Selbstverwirklichung ist ja geradezu faschistisch! In Wahrheit handelt es sich um künstlerische Äußerungen nach Artikel 5 Grundgesetz. Ja, aber wenn im Dom-Bereich oder sonstwo Hakenkreuze geschmiert werden? Dann behaupten die Verächter der Kunst unter ihren scheinheiligen Verteidigern mit dem Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Köln 121 Js 551/93: "Der Beschuldigte hat sich dahingehend geäußert, daß er die gemalten Hakenkreuze mit seinen Texten als künstlerische Aktion gerade gegen Rassismus und Ausländerhaß verstanden wissen wollte." Man sieht, mit der Kunst läßt sich immer noch am besten lügen. Also aufgepaßt, Hooligans und Subkulturler, Politmarodeure und Liebhaber der subversiven Aktion: Malt Eure Hakenkreuze, "Judenschwein"- und "Ausländer raus"-Vignetten mit etwas mehr künstlerischem Willen, dann werden Euch die Journalisten in Wort und Bild genauso feiern wie den Sprayer von Zürich.

Schließlich wollte ja auch Adolf Hitler nichts anderes als Künstler sein und war es auch - der größte deutsche Künstler als Zerstörer, als "Juden raus"-Schmierer auf Schaufenstern und KZ-Bauzäunen. Wir beantragen, die Taten und Werke Adolf Hitlers ab sofort als künstlerische Freiheiten und als wahrgenommene Meinungsfreiheit unter den Schutz unserer Richter und Staatsanwälte zu stellen. Zum Kustoden ernennen wir Herrn Oberstaatsanwalt Fröhlich, denn Arbeit macht fröhlich, wenn nicht gar frei. Dem Dombaumeister empfehlen wir bis dahin, sich brav zurückzuhalten, denn die bisherigen Schmähungen, Terroranrufe und körperlichen Angriffe waren nur ein Vorgeschmack auf die großen Freiheiten der Selbstverwirklichung und Meinungsäußerungen, die wir mit jedem wohlmeinenden Umlügen von kriminellen Handlungen in demonstriertes Selbstbewußtsein freier Bürger provozieren. Wir gratulügen unserem Rechtsstaat.