Magazin Hopshots

Magazin "hopshots", anlässlich der Typo Berlin, Bild: Nr. 2, 1999.
Magazin "hopshots", anlässlich der Typo Berlin, Bild: Nr. 2, 1999.

Erschienen
01.07.1999

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Mundräuber, Zechpreller & andere Gestalter

Die Müllmänner der Datengesellschaft

Auszug Vortrag Typo Berlin 1999

Seit langem ist klar, daß nicht mehr die Produktion, sondern die Entsorgung das zentrale Problem der Industriegesellschaften ist. Deswegen wurde den Produzenten gesetzlich nach dem Verursacherprinzip aufgetragen, für das „aus der Welt bringen“ ihrer Produkte zu sorgen.

Die strahlende Vermüllung der Welt kann diese Gesellschaft nur bewältigen, indem sie lernt, den Müll zu verehren. Sie baut ihm Kathedralen der Entsorgung, der Endlagerung bis zum Ende aller Zeiten. Für die Informationsgesellschaft ist eine analoge Entwicklung absehbar. Die massenhafte elektronische Datenproduktion vermüllt unsere Kommunikation. Ihre Kathedrale der Entsorgung ist das Internet. Alles, was dort eingespeist wird unter dem das Jahrhundert beherrschenden Qualitätsmerkmal „neu“, wird damit zum alsbaldigen Veralten und Vermüllen bestimmt.

Damit das Netz die Funktion die Funktion endzeitlicher Entsorgung, ähnlich wie Archive und Museen, übernehmen kann, müssen Gestalter als Müllmänner der Informationsgesellschaft den Müll zur Verehrung aufbereiten. Dazu bieten sich aus der Erfahrung der Kulturgeschichte vier Strategien an, nach denen Gestalter auch im Internet zu verfahren haben.

Die Strategie des Aufdauerstellen

Das Gestaltungspotential ist derart zu entfalten, daß das Müllwerk in Archivierung für die Zukunftsarchäologen präsent bleibt. Gestalter bieten den Zukünftigen jenes archäologische Feld, in dem sie fündig werden können.

Die Vergöttlichungsstrategie

Alle Gestaltung ist mit Blick auf ihr Veralten zu sehen. Das ist eine Transformation von Realpräsenz in symbolische Präsenz oder die Verwandlung des in unserer Lebensumgebung Anwesenden in ein Abwesendes, das als solches symbolisch repräsentiert werden muß. Da wir alle zukünftig Abwesende sind, bestimmt unser kurzfristiges Anwesendsein die Aufgabe, unsere unausweichliche Abwesenheit als solche auszuweisen. Dieser bewährten Vergöttlichungsstrategie folgen alle Theologien und alles Herrschaftswissen immer schon.

Die Strategie des Erinnerns, um zu vergessen

Bewährt bei Säufern, LSD-Schluckern, Utopisten und anderen Traumatisierten. Sie erfinden sich Erinnerungen an das, was niemals war, aber genauso gut hätte sein können. Eine Strategie der Kontingenzerzeugung, der Gestalter entsprechen, wenn sie auf ihre Kreativität als Kraft zur Erschaffung von eigenen Vorstellungswelten oder individuellen Mythologien abheben.

Die Strategie der Kommunikation ohne Verstehen

Mit der Erfindung des Selbst- und Fremdbezugs von Lebewesen als Kommunikation wurde es möglich, in einer Welt zu überleben, die man nicht erst verstehen muß. Was als Umspannung des Globus mit dem gedanklichen Konstrukt der Längen- und Breitengrade begann, entfaltet sich zum Internet als Raum der Kommunikation, als Hyperraum neuronaler Prozesse.

Bleibt die Frage nach der Effektivität, nach dem Generativitätsquotienten GQ. Hat derjenige Gestalter eine größere Reichweite, höhere Einschaltquoten, größere Auflagen, penetrantere museale Repräsentanz, der in jeder Gestaltungsaufgabe möglichst alle vier Strategien zugleich angewendet?

siehe auch: