Buch Jutta Spinner: colour in my mind

Jutta Spinner: colour in my mind, Bild: Offenbach: Städtische Galerie Offenbach, 2014..
Jutta Spinner: colour in my mind, Bild: Offenbach: Städtische Galerie Offenbach, 2014..

Mit Texten von Gerlinde Brandenburger-Eisele, Rainer Braxmaier, Bazon Brock, Hubert Burda, Uta Dahmen und Stefan Strumbel.

Konzept: Ute Dahmen

Die Malerin Jutta Spinner (1946-2013) schuf ihr künstlerisches Werk überwiegend in den letzten 15 Jahren ihres Lebens. Zuvor standen andere Dinge im Zentrum. Nach dem Studium in Basel und Stuttgart arbeitete sie als Art-Direktorin in München, die erste Zeit in Offenburg widmete sie der neugegründeten Familie. Dann rückte die Kunst wieder stärker in den Fokus. Jutta Spinner war Gründungsmitglied der Kunstvereine Mittleres Kinzigtal und Offenburg/Mittelbaden, sie gehörte zum Künstlerkreis Ortenau und zur Gesellschaft der Freunde junger Kunst Baden-Baden.

Vor allem der Einzug in ein neues, großes Atelier beflügelte die Künstlerin. In intensiven, kreativen Phasen entstand ein farbenprächtiges Werk, das einen stetig wachsenden Freundeskreis erfreute. Lust an Farbe und eine Fülle an Formen kennzeichnen die Arbeiten, sie spiegeln Temperament und Leidenschaft der Schöpferin. Vibrierende Energien strömen aus den Bildern, signalisieren Wärme und Lebensfreude. Motivisch dominieren die klassischen Sujets Interieur und Stilleben. Stilistische Spuren führen zur Pop Art und zu den swinging sixties, aber auch zu Henri Matisse und David Hockney. Jutta Spinner schätzte die ornamentale Tradition in der Kunst, Philipp Otto Runges florale Abstraktionen und Scherenschnitte zählten ebenfalls zu ihren Vorbildern.

Das Werkbuch ist erhältlich in der Städtischen Galerie Offenbach, bei Marx Galleries und in den Buchhandlungen AKZENTE und Roth.

Erschienen
01.01.2014

Herausgeber
Städt. Galerie Offenbach

Erscheinungsort
Offenbach, Deutschland

ISBN
978-3-941850-56-9

Umfang
224 S.

Seite 83 im Original

Entschieden unentschieden

Entschuldigung, dass ich das sage, aber Jutta war nun mal ein Wunder anzuschauen, eine Madonna, aber herrlich vital, fröhlich und freundschaftlich zugeneigt, wie alle jungen Frauen der bundesrepublikanischen Selbstbefreiungsavantgarde sein wollten, aber zu häufig nicht waren. Auch sie stand im Banne der damaligen Opposition von Theorie und Praxis, so fehlverstanden diese Opposition auch gewesen sein mag. Zum einen war es der Gegensatz zwischen bürgerlicher und menschheitlicher Gesinnung, das heißt zwischen freier und angewandter Liebe, zum anderen der zwischen angewandter und freier Kunst.

In den 60er, 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verstellte das Pathos der Pflicht zur Selbstverwirklichung selbst die härtesten Tatsachen. Unleugbares Faktum war die dominierende Kennzeichnung des Malens, Dichtens, Komponierens als schwere Arbeit, für die nicht einmal die gewerkschaftlich erkämpften Minimalstandards der Entlastung galten. Künstler kannten keine Arbeitszeitbegrenzung, keinen Mindestlohn, keinen berufsspezifischen Schutz vor Alter, Krankheit oder Einkommenslosigkeit. Die hymnische Verklärung von Selbstverwirklichung durch Künstlertum kontrastierte, ohne dass das groß auffiel, den gleichzeitig vehement eingeforderten Vorkehrungen, die die arbeitende Bevölkerung vor Ausbeutung, Marktdiktatur oder der Gnadenwillkür von Herren aller Klassen schützen sollten. (Die Künstlersozialkasse war noch eine „Utopie“.)

Dabei hatten die Künstler, seit sie überhaupt in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit standen, also seit den Zeiten der Aufklärung, in unmissverständlicher Weise dargestellt, dass ihre Arbeit alles andere als ein fröhliches Ausagieren lustvoller Triebe sei. Sie sei extrem risikoreich durch die fatale Psychologik, Misserfolg für eine Bestätigung der eigenen vorausgreifenden Schöpfungskraft zu halten oder der selbstzerstörerischen Stimulierung mit Rauschgiften aller Art sich aussetzen zu müssen, um die existentielle Ernsthaftigkeit der Künstlerposition zu beweisen. Wer zehn Jahre an einem Roman arbeitete oder jahrelang in schwindelnder Höhe auf Gerüsten liegend Decken freskierte, wer ständig den drohenden Eingriffen von Zensur und Polizei auszuweichen hatte, hielt künstlerisches Arbeiten nicht für eine kulturpolitisch zu fördernde Bildungsmaßnahme.

Das damalige völlig unangemessene Verständnis von Kunstmachen erhielt seine bekannteste Ausformung in der Forderung eines Kulturdezernenten: „Kunst für alle!“ Selbst wenn mit dieser Formulierung im wesentlichen der freie Zugang aller zu den Zeugnissen der Kunst gemeint gewesen sein sollte, führte das Postulat in die Irre. Es tut so, als könne man die Hinwendung an Kunstwerke so voraussetzungslos einfordern wie den Zugang zu Waren im Supermarkt. Dem Publikum wurde suggeriert, Kunstwerken sei eine schöne Beschäftigung, wenn alle anderen Zwangsverhältnisse der Lebensbewältigung beseitigt sein würden.

Wer sich damals wie Jutta zu entscheiden hatte, ob man sich zum freien Künstler oder zum Anwendungsfachmann künstlerischer Techniken bei der Erzeugung von Werbewirksamkeit ausbilden solle, wog nicht einfach gesichertes gegen unbestimmtes Einkommen ab. (Damals galt die Arbeit in einer Werbeagentur noch als sichere Lebensstellung.) Vielmehr hieß die Entscheidung anspruchsvoller, zwischen Werk und Wirkung zu wählen beziehungsweise zwischen der Hingabe ans Werk und der unmittelbar gesellschaftlich und politisch bemerkbaren Wirkung durch Gestalten.

Zeitgeistgemäß tendierte Jutta zur Verpflichtung auf den damals stärksten Wirkungstypus, den der Werbung. Ob sie dabei, wie viele Generationsgenossen, glaubte, die Werbetechniken auch für das Propagieren zukunftsträchtiger sozialer und politischer Projekte einsetzen zu können, muss ungeklärt bleiben, es sei denn, es ließen sich noch entsprechende Arbeitszeugnisse oder Dokumente aus ihrer Münchener Studienzeit finden. Im übrigen wurde damals der Begriff Werbung, erst recht der Begriff Warenreklame, gerade durch das neutrale „grafische Gestalten“ oder „Gestaltung“ oder „Kommunikationsdesign“ ersetzt. Das schien für das Selbstbewußtsein der Künstler förderlich, weil man sich ja in den Künsten wie in der Werbung als Grafiker betätigen konnte. (Vostell vereinigte beide Tätigkeitsfelder im Begriff der Visualisierung.) Solche Qual der Wahl galt ja für viele der damaligen Lehrlinge des Lebens, insbesondere für Frauen, denn für sie war die Überlagerung des Grundkonflikts zwischen freien und angewandten Künsten durch die Entscheidung für angewandte oder freie Liebe viel bedeutsamer als für die männlichen Akteure. Die Konzepte der freien Liebe schienen für die 20- bis 30-Jährigen die überzeugenderen zu sein; biologische und soziale Tatsachen ließen die 30-Jährigen eher die angewandte Liebe, also Aufbau und Entwicklung von Familienbeziehungen als sinnvoller wählen, zumal sie ja schon reichlich ernüchternde Erfahrungen mit der freien Liebe gemacht hatten. Selbst ein Dutschke fühlte sich der familiären Beziehung zu Frau und Kind stärker verpflichtet, als es die ihm zugeschriebenen libertinären Einstellungen nahegelegt hätten. Es war zwar keine Lösung, aber eine sinnvolle Thematisierung des Verhältnisses von freier und angewandter Liebe, wenn die familiären Bindungen aus Freiheit angenommen wurden und nicht unter dem Druck von gesellschaftlichen Konventionen und mit deren Segen. Ich habe damals vielleicht ein bisschen zu bösartig die heroischen Zeitgeistträger karikiert. Als Ideal galt eine aus unbändigem Schöpfungsdrang arbeitende Künstlerin, die ihre Selbstverwirklichung durch Gebären zukünftiger Heilsgestalten bewies und dabei autonom über die Assoziierung mit Partnern entschied, die sie zu kunstbegeisterten Dienern an der nächsten Generation der Kulturheroen formen würde.

Ganz unkarikiert, aber unfreiwillig enthüllend waren die zahlreichen gut gemeinten Vorschläge, man solle doch Kunsterzieher werden, da habe man eine unmittelbare Möglichkeit der Einwirkung auf die Bildung der Schüler durch eigene Kunstproduktion in den vielen freien Stunden eines Lehrerdaseins. Und das auch noch bei garantiertem Einkommen und bei Gewährung von Alters-, Krankheits- und Unfallschutz. Diese Empfehlung war in vielen Fällen erfolgreich, z.B. Jörg Immendorff oder Johannes Bernhard Blume wurden Lehrer, um ihre Zukunft als freie Künstler vernünftig planen zu können. Vielfach lässt sich ja erst durch karikierende Übertreibung der Kern eines Projekts herausschälen. Wir nannten das damals Affirmationsstrategie: das Ja zum Nein als Antwort auf die oft gestellte Frage, wo denn das Positive bei der anhaltenden Kritik bleibe.

Gerade in meiner Huldigung darf ich Jutta nicht zu nahe treten oder vielmehr denjenigen, die diese Huldigung lesen werden. Deshalb überlasse ich es anderen, uns darüber aufzuklären, wie Jutta ihre Entscheidung im Laufe des Lebens beurteilte. Vor allem heißt das, auf die Frage zu antworten, ob sie darunter gelitten hat, sich für Ehe, Familie und Beruf gegen den radikalen Existentialismus des Künstlerseins entschieden zu haben oder ob sie die Illusion stark genug, das heißt glaubhaft vor sich vertreten konnte, dass sie gerade in der Unentschiedenheit ein sprechendes Beispiel für die Herausforderungen und Zumutungen ihrer Generation gewesen sei. Realisierte diese Generation (jenseits individuellen Leidens) ihre Freiheit schon als Einsicht in die Notwendigkeit? Litt sie noch unter dem Misslingen des Projekts, Bindungsfähigkeit als Freiheit auszuweisen? War es für diese Generation ein entlastendes Argument, das Studium der Künste habe sich gerade darin als erfolgreich erwiesen, dass man herausfand, kein Künstler sein zu wollen oder gar zu müssen? Wussten sie, dass die Attitüden und Lebensweisen der Künstlerbohème, die gerade in München seit den Zeiten der Lebensreformbewegung gesellschaftlich akzeptabel wurden, von den touristischen Konsumern längst usurpiert worden waren? Hatte sich bei ihnen durchgesetzt, was bereits Krakauer in deutschsprachiger oder Eliot in englischsprachiger Terminologie als Verpflichtung auf das Bürodasein (Dienstbeginn 8 Uhr, Mittagspause, Dienstschluss 17 Uhr, …) beschrieben hatten? Seit Goethe galt: „Genie ist Fleiß“, mit Thomas Mann: „täglich eine bleibende Seite“, mit Werfel: „Liebling, aufstehen, Karriere machen“. War in summa also die Ernüchterung durchgängig, dass für die Kunst der Spaß längst aufgehört habe, dass sogar Liebe Arbeit geworden sei und das hieß Verpflichtung auf Disziplin, Kontinuität, Planung und Verzicht auf Lebensgenuss?