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 von Barbara Wiegand

Erschienen
18.02.2013, 11:07 Uhr

Station
Deutschlandradio Kultur

Sendung
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Length
13 min

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Hassobjekt und Popikone - Yoko Ono zum 80. Geburtstag

Karin Heise im Gespräch mit Bazon Brock, emer. Prof. für Ästhetik und Kulturvermittlung, Fluxus-Künstler, Kunsttheoretiker

Katrin Heise: Experimentalmusikerin, Fluxus-Künstlerin, Performerin, Philosophin, Aktivistin, Lebensgefährtin, Muse - vieles war Yoko Ono, vieles hat sie in ihrem Leben bisher gemacht. Barbara Wiegand mit einem kurzen Porträt. (…) Barbara Wiegand über Yoko Ono, die nach wie vor sehr aktiv ist. Seit letzter Woche ehrt die Frankfurter Schirn die Künstlerin mit einer großen Retrospektive. Gestern Abend trat sie in der Berliner Volksbühne mit ihrer Plastic Ono Band auf. Und heute feiert sie ihren 80. Geburtstag. Bazon Brock ist emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittler. Er ist selber Performancekünstler und hat Yoko Onos Weg, die er auch persönlich kennengelernt hat, seit den 60er-Jahren verfolgt. Ich grüße Sie, Herr Brock, schönen guten Tag!

Bazon Brock: Hallo, ja!

Heise: Für die einen ist Yoko Ono ja eine Pop-Ikone, für viele andere ein ewiges Hassobjekt - sie soll die Beatles auseinandergetrieben haben, wir haben das schon aufgeklärt, dass das nicht so war. Welche Bedeutung kommt ihr Ihrer Meinung nach tatsächlich zu?

Brock: Aus Anlass des 80. sollte man vor allem daran erinnern, wie unendlich viele ganz starke Frauen die Bewegungen der End-50er- bis, sagen wir mal, 70er-Jahre geprägt haben. Also mit ihr parallel, etwa Carolee Schneemann, die ja für die Happening- und Performancebewegung in New York Grundlegendes geleistet hat. Charlotte Moorman, die mit Paik zusammen hier in Europa, wesentlich von Wuppertal aus, aktiv geworden ist. Alison Knowles, die Frau von Dick Higgins, die mit ihm bis heute - lebt ja noch - über den WDR ganz entscheidende Impulse gegeben hat. Später gibt es dann so Laurie Anderson, Abramovic. Oder hier in Köln eben das große Zentrum der elektronischen Musik, das im Wesentlichen, den Ideen nach, von einer Frau [Mary Bauermeister] bestimmt worden war. Also, das ist erstaunlich, dass man sich jetzt wirklich erinnern kann, Donnerwetter, viele zentrale Positionen wurden zwischen 1957 und 1977 von Frauen geleitet oder sogar initiiert.

Heise: Sie haben eben einen Namen genannt, auf den ich Sie auch gerne ansprechen wollte, Marina Abramovic. Wenn man jetzt Yoko Ono und Marina Abramovic vergleicht, wenn man das vergleichen kann überhaupt. Denkanstöße geben, so in diese Richtung wollte Yoko Ono oder hat sich Yoko Ono ja auch immer bewegt. Aber so tough wie Marina Abramovic war sie nie. Immer eher die leisen Töne. Trotzdem aber hörbar?

Brock: Abramovic ist ja gut zehn Jahre nach Yoko Ono angetreten, da gab es insgesamt, denken Sie nur an die RAF, ein ganz anderes Level von Aggressivität, das in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Die Abramovic hatte so Ende der 60er-Jahre ihre Initiationserlebnisse und hat das dann parallel zu vielen anderen politischen Aktivitäten, Ende Vietnamkrieg und so weiter, auch radikalisiert, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich will das gar nicht in Abrede stellen, ich finde aber gerade die Aktivitäten der eben skizzenhaft genannten Frauen deswegen besonders, weil sie sich gerade nicht auf Hosen runter, auf die Straße kotzen und in den Hörsaal scheißen, betätigt haben, wie ihre männlichen Kollegen zu einem großen Teil, sondern sie tatsächlich von ihren Vorstellungen und Ideen her gewirkt haben. Sie haben auch keine sexistischen Attitüden geliefert im Sinne von Busen raus und attraktive Erscheinung, sondern es waren fast alles Menschen, die sich vollständig auf die Wirksamkeit von Ideen und Konzepten verlassen haben und damit eine große Bedeutung hatten.

Das kam bei der Yoko Ono natürlich durch ihre japanische Herkunft, und das hieß in Europa natürlich Zen-Buddhismus. Und diese zenbuddhistische Bewegung, die hier bei uns unter dem Namen "Zen 49" fast die gesamte Nachkriegsentwicklung mitbestimmt hat, unter diesem Gesichtspunkt der zenbuddhistischen Praktiken schien jetzt Yoko Ono mit ihren Ideen genau in diese Missionstätigkeit oder in diese Einholung der japanischen Moderne, zenbuddhistischen Moderne in die europäische Moderne Erfolg zu haben. Es stellte sich nämlich heraus, dass es in Japan, das hatte schon Frank Lloyd Wright zu Anfang des 20. Jahrhunderts gesagt, dass sich in der japanischen Tradition dieselben Traditionen, die wir heute noch mit großen Preisen am Markt honorieren, dass in der japanischen Tradition etwas Ähnliches sich herausstellt wie in der europäischen Moderne.

Dieser komische Gleichklang zwischen japanischer Tradition und europäischer Moderne war eigentlich das produktive Motiv. Und da konnte sie, von Japan aus, wie ihre Parallelerscheinung, männliche Parallelerscheinung, Nam June Paik, hier von Düsseldorf, von Köln aus und Wuppertal aus wirksam werden. Paik war ja Koreaner, nichtsdestoweniger aber eben von diesem buddhistischen Erfahrungsraum geprägt, Yoko Ono Japanerin - das schien wirklich eine Offerte an alle Künstler hier zu sein, sich mit diesem fast schon in den Rang einer Mystik erhobenen Geisteskraft der Buddhisten zu versöhnen oder von ihr zu profitieren.

Heise: Also doch bedeutende, ja, asiatische Dinge dann hier reingebracht. Bazon Brock im Deutschlandradio Kultur über Yoko Ono. Herr Brock, Sie haben gerade die Frauen jetzt und ihre Rolle betont. Jetzt steht Yoko Ono sehr stark auch für diese Aktionen, die sie gemacht hat für eine Allianz zwischen Männern und Frauen. Sie wollte ja nicht den Frauenteil so besonders hervorheben.

Brock: Alle, die ich genannt habe, arbeiteten ja immer als productive couple, als produktives Paar, mit Männern zusammen. Die waren eben nicht sexistisch oder wie auch immer geprägt oder feministisch auf der anderen Seite, sondern die hielten das für völlig normal, zu kooperieren. Aber sie hatten eine spezifische Einflussnahme, das ist, glaube ich, das Entscheidende, nämlich sie hielten die Männer, die sehr viel wankelmütiger, außerdem sehr viel karrieregeiler waren, bei der Stange.

Wenn Sie mal überlegen, was das bedeutet hat, dass sich Yoko Ono mit dem Bed-in, nach den Sit-ins und Go-ins et cetera, mit dem Bed-in von '69, glaube ich war es, in New York, im Hinblick auf die Entfaltung der Künstlerkarriere, nicht der Musikerkarriere, sondern der Künstlerkarriere von Lennon, produktiv gemacht hat, dann sehen Sie das, was dabei herauskam, nämlich: Sie war eigentlich diejenige, die ihm sozusagen die spirituelle Voraussetzung gab, Kraft zu schöpfen, die so weit reichte, dass er schließlich als Staatsfeind Nummer eins in den USA galt.

Sie müssen sich das heute vorstellen, das Auseinandertreiben der Beatles ist geradezu eine unbedeutende Kleinigkeit. Das Entscheidende war, sie hat den Lennon so weit befähigt, in dieser Rolle eines Aufklärers, eines Peacemakers et cetera weiter sich treu zu bleiben, dass schließlich die gesamte USA-Staatsmacht versucht hat, diesen Mann zu liquidieren. Und das war, nicht im wesentlichen, aber doch entscheidenden Moment, ihre Rolle. Natürlich war der Lennon von Hause aus auch damit begabt, aber ihre Rolle war es, ihn darin wirklich zu klären und zu bestärken, und das ging eigentlich nur im Hinblick auch auf ihre Schutzfunktion, die sie als Frau ihm gegenüber hatte.

Heise: Sie, Herr Brock, haben Yoko Ono eigentlich zeitgleich mit Lennon kennengelernt, auf der gleichen Veranstaltung sind Sie auch …

Brock: "Instructions in Art", in London, bei dem Metzger, der jetzt ja auch sagenhafterweise in Erscheinung tritt, ein deutscher Exilant, der versuchte, herauszufinden, was Schumpeter und andere Wirtschaftswissenschaftler und die Politikwissenschaftler schon immer behaupteten, dass es so eine Art von produktiver Zerstörungskraft gebe oder dass das Neue durch Zerstörung des Alten geschehe et cetera.

Heise: Waren Sie ebenso fasziniert von ihr wie er?

Brock: Nein. Ich war nicht von ihr fasziniert als Künstlerin, sondern ich war von ihr fasziniert als Repräsentantin eines kulturellen Grundmusters, eben diese unglaubliche Gelassenheit der Japaner, die unglaubliche Freundlichkeit, die Zurückhaltendheit. Das heißt, die wirkten wirklich dadurch, dass man ihnen ansah, sie hatten Kraft, sie mussten die gar nicht ausspielen. Das war faszinierend, und jeder merkte das damals sofort, als sie da auftrat, dass das eine neue Dimension beziehungsweise eine verstärkte Dimension der Erwartung gegen den japanischen Zen, koreanischen Zen, chinesischen Zen darstellte.

Also sie war primär als Zeitgenossin ungeheuer wirksam, das gilt, glaube ich, für sie insgesamt. Sie war in gutem Maße als Künstlerin bedeutsam, als Malerin hat sie sich ja gar nicht erst betätigt, beziehungsweise als Kalligrafin, aber das galt ja nicht als Malerei. Ich würde sagen, das ist ein Fall, in dem ein Mensch als Zeitgenosse ungeheuerliche Bedeutung hat, ganz abgesehen davon, dass er auch noch Künstler war, was ja auch alle beflügelt hat. Man musste nicht meinen, nur die Künstler könnten etwas bewirken. Es war die Geistesgegenwart, die Geisteskraft eines Menschen in der Zeit. Und dafür ist sie ein herausragendes Beispiel, wie eine Frau sich 30 Jahre lang in dieser Rolle betätigt hat.

Heise: Heute wird sie 80 Jahre alt. Bazon Brock zu ihrem Geburtstag. Er ist Kunsttheoretiker und Performancekünstler. Herr Brock, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch und einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.

Brock: Bitte! Danke!