Lösung ist der falsche Ansatz
Interview mit Bazon Brock von Gesine Borcherdt
Seit Anfang Dezember hat eine Gruppe von Denkern, Wissenschaftlern, Literaten, Künstlern ihre Arbeitsräume in Berlin-Kreuzberg, direkt unter der artnet-Redaktion, bezogen. Bazon Brock, Chefguru des skurillen Unternehmens mit Revolutionspotenzial, setzte alles daran, artnet die Idee der „Denkerei“ nahe zu bringen.
Herr Brock, können Sie kurz das Konzept Ihres Unternehmens erklären?
Unter dem Generaltitel „Denkerei“ versteckt sich ein selbstironisches Unternehmen, das im Auftrag von Firmen, politischen Parteien und wissenschaftlichen Organisationen, die von ihnen bearbeiteten Probleme erörtert. Wir schlagen vor, wie man mit Problemen umzugehen hat – jenseits der Illusion des Allmachtswahnsinns, Probleme ein für allemal lösen zu wollen. Fakt ist, Probleme können auf Erden nur durch das Erzeugen neuer Probleme gelöst werden.
Wie meinen Sie das?
Nun, nehmen Sie das Problem der Energieknappheit: Wer das mit atomaren Anlagen lösen will, erzeugt ein Nachfolgeproblem, das größer als das Ausgangsproblem der mangelnden Energie ist. Oder die Einnahme von Medikamenten: Sie sind nicht nur Heilmittel, sondern auch Verursacher neuer Beschwerden. Nebenwirkungen, die man nicht mehr kontrollieren kann. Man kann bei diesen Beispielen eben nicht mehr feststellen, ob das Nachfolgeproblem kleiner oder größer ist als das Ausgangsproblem. Aus der Summe vieler kleiner Probleme ergibt sich möglicherweise ein noch viel größeres Problem.
Der Grad an Komplexität nimmt also bloß zu, das Ursprungsproblem verlagert sich einfach?
Genau. Und deswegen wollen wir ein Bewusstsein schaffen, dass man Probleme nicht zwingend lösen muss, um mit ihnen etwas anfangen zu können. Wir müssen endlich lernen, mit prinzipiell Unlösbarem umzugehen. Generell gilt: Wir müssen die Fortschrittseuphorie der Moderne – Lösungen für alle Weltprobleme finden zu wollen – aufgeben. Ernährungskrise, Überbevölkerung und unheilbare Krankheiten übersteigen meisterbare, hantierbare Sachverhalte. Das Problem der Sterblichkeit zum Beispiel, das kann man niemals lösen. Wir müssen nur lernen, mit unserer Endlichkeit vernünftig umzugehen. Das ist unser Generalansatz hier in der „Denkerei“.
Was für eine Rolle spielt die Kunst in diesem Problemszenario?
Nun, die Künstler sind die einzigen, die das prinzipiell Unlösbare immer schon bearbeitet haben. Sie sind die Experten für den Umgang mit solchen Problemen. In der Kunst gibt es gar keinen Fortschritt. Es gibt keinen Fortschritt von Perugino zu Raffael, von Raffael zu Michelangelo, von Michelangelo zu Caravaggio. Keine Überbietungsstrategien, es gibt auch keine Möglichkeit, sich vor dem Problem zu drücken, man muss einfach reagieren. Man muss die weiße Leinwand oder das weiße Papier bearbeiten und zwar gerade im Hinblick auf grundlegende Annahmen: Das man die künstlerischen Tätigkeiten gerade nicht an die Stelle der Wirklichkeit setzt – als ob die Kunst die Wirklichkeit außer Kraft setzen könnte. Man lernt in der Kunst, was man tut, wenn man vor unlösbare Probleme gestellt wird. Also zum Beispiel sie darzustellen und durch die Darstellung zu untersuchen und durch die Untersuchung wiederum zu einem Beitrag zu kommen, der zeigt, wie man auf vernünftige Weise mit so etwas umgeht.
Von welcher Vernunft reden Sie hier?
Genau das ist ja das Problem. Wir stecken 100 Milliarden in die Krebsforschung und glauben, dass wir dann das Problem Krebs gelöst haben. Das ist ein völliger Wahnsinn. Es geht ganz im Gegenteil darum zu verstehen, dass die Krebserkrankung ins Kalkül gestellt und den Leuten gezeigt werden muss, wie mit der Erkrankung in Zeiten immer stärker werdender Überalterung fertig zu werden ist. Von der althergebrachte Maxime „Medicus curat, natura sanat“ sind wir weit entfernt. Ich geben Ihnen noch ein Beispiel aus der modernen Orientierung, nämlich die Technikfolgenabschätzung: Dabei ging es schon um die Erkenntnis, dass die Lösung der Probleme nicht einfach so eintritt, wie man sich das auf dem Papier wünscht, sondern dass es eben unkontrollierbare Erweiterungen gibt. Technikfolgenabschätzung war ein Vorläufer der Strategie der Arbeit an unlösbaren Problemen. Aber sie funktionierte bloß als Ausrede. Das Argument der Unvorhersehbarkeit hat die Verantwortlichen – seien es Pharmazeuten, Bauherren oder der Staat – aus ihrer Verantwortung befreit. Das war der Hintergrund für diesen ganzen Zinnober. Wir sagen jetzt aber, dass Verantwortlichkeit, Zurechnungsfähigkeit – oder wie Sie es nannten: Vernunft – ernst genommen werden muss, wir zu einer grundsätzlichen Umstellung unseres Problemmanagements kommen müssen: Um die Folgen unseres eigenen Handelns wieder verantwortbar werden zu lassen, müssen wir erkennen, dass es nicht um Lösungen geht, sondern darum, die Realitäten des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu organisieren, beziehungsweise aushaltbar werden zu lassen.
Und wie wollen Sie das hier in diesen Räumen vermitteln?
Ganz einfach: In der Form der kleinen Lehrdemonstration, einer Beispielsammlung oder von kleinen Disputen, die wir hier führen und zwar nicht als übliche Bohème-Veranstaltung. Wir sind ja mehr oder weniger so etwas wie ein Ausrüstungsgeschäft für klare, kalte Praktiken. Man kann sagen ein Möbellager der höheren Knöllordnung oder der Bauhaus-Ordnung, wie es beliebt. Wir würden hier auch nie mit Kunstwerken handeln wollen, denn wir sind keine Galerie. Wir verkaufen also nichts als Kunst, sondern bieten epistemologische, theoretische Objekte – also Erkenntnismittel, Denkmittel – an.
Das klingt sehr nach Basisarbeit und ganz nach dem Gegenteil von Blockbuster-Ausstellungen wie „Die Kunst ist super“. Bei der „Denkerei“ handelt es sich also um einen Aufführungsort, an dem man den Prozess des kritischen Denkens live erleben kann?
So in etwa könnte man das beschreiben. Da haben wir demnächst etwa Kata Legrady, die wir mit ihrem Projekt „Krieg und Kuchen“ präsentieren werden. Und da geht es gerade nicht darum, dass sie Kunst produziert, obwohl sie natürlich als Künstlerin gehandelt wird, sondern dass sie im künstlerischen Prozess erworbene Fähigkeiten zur Debatte stellt, die kritischen Input bei der Beschäftigung mit konkreten Situationen des gesellschaftlich-politischen Entwicklungszustandes beitragen können.