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Erschienen
07.12.2011, 09:07 Uhr

Station
Deutschlandradio Kultur

Sendung
Radiofeuilleton: Thema

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

„Für einen neuen Umgang mit komplexen Problemen“

Kulturwissenschaftler hat in Berlin die „Denkerei“ gegründet

Bazon Brock im Gespräch mit Stephan Karkowsky

Der Kulturwissenschaftler Bazon Brock hat in Kreuzberg einen Ort fürs Denken ins Leben gerufen. Dort möchte er die Gesellschaft von ihrem „Allmachtswahnsinn“ abbringen, dass man alle Probleme „mit ein paar Billionen oder mit ein paar Gesetzen oder Veränderungen von Verfassungen“ regeln könne.

Stephan Karkowsky: Manche Menschen denken schneller, mehr und vor allem lauter als andere. Der Wuppertaler Kulturwissenschaftler Bazon Brock gehört seit Jahrzehnten dazu. Im Berliner Stadtteil Kreuzberg hat er jetzt einen Raum für das Denken geschaffen, die „Denkerei“. Guten Morgen, Herr Brock!

Bazon Brock: Guten Morgen!

Karkowsky: Sie nennen dieses Denkerbüro „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“. Nun ist die Unlösbarkeit von Problemen ja schon eine ganze Weile Ihr Thema. Ich habe das so verstanden: Wer große Probleme zu lösen versuche, schaffe dadurch zumeist neue und sollte es daher besser gleich sein lassen. Richtig?

Brock: Ja, das ist ganz richtig, Probleme kann man hier auf Erden nur lösen in Anführungszeichen, indem man neue schafft. Das weiß inzwischen jeder, seit 1991 muss nämlich jeder Patient wissen: Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt und Apotheker. Das heißt, man kriegt ein Herzmittel, riskiert aber, Nieren- oder Magenprobleme zu bekommen. Das, was jedem einzelnen Bürger schon seit 20 Jahren zugemutet ist, muss man langsam der Politik, der Industrie und auch den Wissenschaften zumuten. Und deswegen haben wir unser Büro aufgemacht: Wir wollen die Gesellschaft umstimmen von dem Allmachtswahnsinn - den ja jeder nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt -, alle Probleme mal eben mit ein paar Billionen oder mit ein paar Gesetzen oder Veränderungen von Verfassungen zu regeln, hin zu dem vernünftigen Umgang mit prinzipiell unlösbaren Problemen. Das heißt, wenn man anerkennt, es gibt Sachverhalte in der Welt, die wir nicht unserem Willen unterwerfen können, dann lernt man auch, intelligent sich darauf einzustellen, anstatt mit aller Brachialgewalt zu behaupten, man sei master of the universe.

Karkowsky: Und Sie machen das zum Beispiel fest am Problem des Atommülls.

Brock: Ja, das ist schon seit lange unsere zentrale Aufgabe, jetzt schließen sich dem auch mehr und mehr andere an, nämlich: Anstatt den Müll in der Wüste zu vergraben oder in Gorleben oder sonst wo und so zu tun, als hätten wir damit das Problem gelöst, sollte man die Tatsache voll anerkennen, die den strahlenden Müll für uns zu einer Art neuer Stiftung von Ewigkeit und Verletzlichkeit und Dauer bringt, nämlich, dass wir ja mindestens 30.000 Jahre für den strahlenden Müll sorgen müssen. Der strahlende Müll ist eine Bedrohung - für Menschen ist alles das, was bedrohlich ist, nur durch einen Kult, einen Kult der Bewahrung, einen Kult der Verehrung bannbar. Also müssten wir so einen Bannbau für den strahlenden Müll in jede Großstadt neben die Moschee, neben die Kathedrale und neben die Synagoge setzen, denn wir verdanken dem strahlenden Müll unsere Orientierung auf Verbindlichkeit und Ewigkeit für 30.000 Jahre, während die Kulturen es bestenfalls auf 3000 Jahre gebracht haben. Wir sind also heute weit mehr als jede vorhergehende Zivilisation auf Ewigkeit verpflichtet, auf Dauer verpflichtet, und wir plädieren, dass man den Wehrdienst, der inzwischen abgeschafft wurde, in den Polizeidienst und damit in den Kultdienst für die Bewahrung des strahlenden Mülls setzt.

Karkowsky: Nun stürzt uns natürlich diese Art zu denken in ein Dilemma, nämlich das: Wenn ich gar nicht erst anfange, Probleme zu lösen, dann ist das doch Fatalismus, oder nicht?

Brock: Das ganze Gegenteil ist der Fall. Man hat ja nicht nichts getan, sondern man hat bestimmte Dinge unterlassen, zum Beispiel allmachtswahnsinnig zu behaupten, man könne die Probleme lösen. Ein Arzt, der heute behaupten würde, er heilt, wird von allen zu Recht als psychopathischer Fall angesehen. Ein Arzt kann nur kuratieren, also Hilfestellung geben, die natura sanat, also nur die Natur heilt. Das gilt prinzipiell und muss langsam anerkannt werden, sonst kommt es zu solchen Irrwitzigkeiten, dass wir jetzt seit 2008 ununterbrochen jede Woche fast schon im Stundentakt wieder riesige Maßnahmen ergreifen, um das Euro-Problem endlich zu lösen, Staatsverschuldung endlich zu lösen, und da raus kommen immer nur größere Probleme, also das weiß doch inzwischen jedes Kind. Warum lässt sich die Gesellschaft so etwas gefallen, anstatt zu fordern, dass diejenigen, die dazu berufen sind, gewählt oder nicht gewählt, auf jeden Fall sich zeigen in ihrer Fähigkeit, mit den prinzipiell unlösbaren Problemen richtig und angemessen umzugehen? Und die „Denkerei“ in Kreuzberg, was ja eigentlich Schädelstätte, also Golgatha heißt, also ein zentraler Ort für die Vermittlung von Karfreitagsphilosophie, also von Gotttötung und Ostersonntag, also Gottanbetung und Auferstehung ist, sollte dafür ein geeigneter Ort sein.

Karkowsky: Sie hören im „Radiofeuilleton“ den Kulturwissenschaftler Bazon Brock, der in Kreuzberg eine „Denkerei“ gegründet hat. Herr Brock, ändert denn dieses Umdenken nur die Sprache oder ändert es auch das Handeln der Menschen?

Brock: Es ändert grundlegend das Handeln der Menschen wie eben bei einem Arzt. Wenn man dem Arzt nicht mehr abnimmt, dass er zauberhaft heilt, als sozusagen Naturschamane heilt, durch Handauflegen oder was auch immer, sondern fähig ist, das prinzipiell unlösbare Problem etwa des Krebses richtig und optimal für den Patienten zu kuratieren, dann hat er mehr getan, als er mit seinen Gewalttouren des Handauflegens oder des Verabreichens von Medikamenten mit riesigen Nebenwirkungen je hätte tun können. Also auch in der Politik und in der Wissenschaft gilt das. Ich darf das mal aus der Wissenschaft begründen: Es ist so, dass wenn ich forsche, im Fortgang meiner erfolgreichen Forschung mein Wissen anwächst, aber dieses Wissen zeigt mir nur, was ich alles nicht weiß. Das heißt, im Fortgang der wissenschaftlichen Bearbeitung eines Problems wird das Problem immer bedeutender, immer interessanter und damit auch definitiv immer unbeendbarer in einem forscherischen Interesse, das heißt, es wird immer großartiger und bedeutsamer. Wissen ist die Voraussetzung für die Erkenntnis all dessen, was man nicht weiß, und darauf muss man sich einstellen. Diese innere Logik der Modernität setzt sich in allen anderen Bereichen, etwa der Finanz- oder Gesellschaftspolitik, auch fort und eigentlich auch bis zum individuellen Leben. Wir können ja nicht behaupten, dass wir etwa das Problem unserer individuellen Sterblichkeit loswürden, indem wir irgendwelchen Ewigkeitszauber vonstattengehen lassen, sondern wir müssen das anerkennen als etwas, was uns nicht dem Belieben nach zu beeinflussen ist, was die Wirklichkeit repräsentiert. Und trotzdem leben wir im Bewusstsein des Todes, des notwendigen, unaufhebbaren, individuellen Todes intensiver und bedeutender, als wir es je mit einer Tagträumerei täten.

Karkowsky: Aber welche Handlungsempfehlungen erwachsen denn aus diesem Denkmodell – einfach nicht mehr darüber nachdenken über große, unlösbare Probleme?

Brock: Nein, ganz im Gegenteil. Es gilt, die Probleme als solche anzuerkennen, das heißt, sich darauf einzustellen, dass sie die Wirklichkeit repräsentieren und damit mächtiger sind als wir mit unserem Wunschdenken auf Problemlösung. Man muss eine intelligente, listenreiche Strategie des Umgangs mit dem Problem leben. In einem antiken Epos der Heimkehr des Odysseus, das Homer erzählt hat, wird ja schon gezeigt, wie man listenreich gegen ein Polyphem, gegen ein Monster, gegen ein Ungeheuer vorgeht, listenreich ist genau der Begriff, der für den Umgang mit Problemen, sinnvollen, intelligenten Umgang mit Problemen gilt. Also es ist das ganze Gegenteil von Laufenlassen. Laufenlassen tun die Leute, die heute behaupten, sie könnten als master of universe, sie können als Herren der Welt mit ein paar Billionen Probleme lösen. Das ist gerade die Verführung zum Nichtstun, weil man sagt, na ja, die Probleme sollen sie lösen, also werden sie sie auch lösen, und wir sehen, dass sie sie eben nicht lösen. Das tut man in Menschengedenken niemals, auf Erden ist es eben nicht möglich. Deswegen muss man listenreich sein und muss sich etwas einfallen lassen, muss intelligenter mit den Problemen umgehen, wie zum Beispiel die Ökologiedebatte ja zeigt: Wir können ja nicht gegen das Wetter demonstrieren, wir können ja nicht Billionen einsetzen dort, um das Wetter zu beherrschen, das sind ja alles Tagträumereien, sondern wir können nur dafür sorgen, dass wir jetzt in unserem Verhalten intelligent uns auf dieses drohende Problem des Klimawandels, das es auf Erden schon hunderte von Malen gegeben hat, einzustellen. Das ist die Strategie, die wir den Menschen klarmachen wollen.

Karkowsky: Sie arbeiten in Ihrer Kreuzberger „Denkerei“ zusammen mit der Leuphana Universität Lüneburg und mit anderen Großdenkern wie zum Beispiel dem Philosophen Peter Sloterdijk oder dem Medienwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Kunst- und Medientechnologie Peter Weibel. Was genau ist das geplant?

Brock: Ich mache ja in Karlsruhe mit Sloterdijk zusammen den Studiengang für die Professionalisierung der Bürger, das ist etwas Ähnliches, da bringen wir den Bürgern nahe, wie sie sich dann modern, also ohne Allmachtswahnsinn der Beherrschung der Wirklichkeit durchs Leben schlagen können, und zwar intelligent und mit Effekt. Wir bilden die Bürger zu Profis aus, als Profipatienten, Profikonsumenten, Profiwähler et cetera. Und eine dieser Fortsetzungen jetzt in Kreuzberg ist natürlich dann klarerweise auch innerhalb dieses Großprojektes Professionalisierung der Bürger mit Sloterdijk und Weibel und all den anderen acht weiteren Kollegen, in Kreuzberg angedacht. Das ist natürlich auch eine Frage der Finanzierung, man muss ja die Reisekosten nach Berlin bezahlen, man muss das Hotel für die Leute jeweils bezahlen, da wir absolut ohne jede Bindung an andere Geldgeber auskommen müssen und auskommen wollen. Ich habe mein Lebtag noch nie von jemandem eine Mark bekommen, um irgendetwas zu machen, weder von Staats wegen noch von Firmen wegen oder sonst wie, sondern nur von ein paar Freunden, so ist das jetzt auch gedacht, wir sind völlig unabhängig, zahlen alles selber und privat, müssen also zeigen, dass uns die Sache wichtig ist, weil wir es von unserem eigenen kümmerlichen Einkommen als normale Professoren entwickelt haben. Jochen Hörisch, der am Samstag die Eröffnungsrede hielt, ist ja derjenige, der zum Beispiel propagiert, dass wir Normalbürger unsere Schuldenlast, die wir alle auf uns geladen haben, langsam tilgen. Das ist die sogenannte Tilgungsbewegung, die Staatsschulden dadurch zu beherrschen, dass die Bürger selber ihren Anteil von 18.000 bis 20.000 Euro zur Verfügung stellen, um die Ausrede, uns würde ja die Schuldenlast erdrücken, zurückzunehmen. Es gibt viele Strategien in diesem Bereich, Kreuzberg scheint mir da der richtige Ort zu sein, da gibt es viele fantasievolle Menschen, da gibt es vor allem Problemdruck, man muss da lernen, intelligent mit den entscheidenden Problemen umzugehen, und ich hoffe, dass wir dann bei unserem monatlichen … Inventur der Themen, Themeninventuren und der wöchentlichen Veranstaltungen zu je einem anderen Thema jeweils auch hinreichend viel lokale Kreuzberg-Patrioten mit einbeziehen können.

Karkowsky: Bazon Brock, Denker vom Dienst, der am Wochenende eröffneten „Denkerei“ in Berlin-Kreuzberg. Ihnen vielen Dank!

Brock: Danke auch!