Im Jahre1831 wurde im Pariser „Salon" ein Werk des Malers Eugène Delacroix von den beachtlichen Maßen 2,60 m x 3,25 m ausgestellt. Heinrich Heine berichtete über das vielbeachtete Gemälde: „Eine Volksgruppe während den Juliustagen ist dargestellt, und in der Mitte, beinahe wie eine allegorische Figur, ragt hervor ein jugendliches Weib, mit einer roten phrygischen Mütze auf dem Haupte, eine Flinte in der einen Hand und in der andern eine dreifarbige Fahne. Sie schreitet dahin über Leichen, zum Kampfe auffordernd, entblößt bis zur Hüfte, ein schöner, ungestümer Leib, das Gesicht ein kühnes Profil, frecher Schmerz in den Zügen, eine seltsame Mischung von Phryne, Poissarde und Freiheitsgöttin.“ Delacroixs „Die Freiheit auf den Barrikaden“ wurde zur Ikone der „Linken“.
Den Franzosen schmeichelte, daß die Freiheit schlechthin mit „Marianne" als Verkörperung“ der Nation. Die linke Intelligenz sah sich in der Rolle von Vorkämpfern der Freiheit bestätigt, weil sich der Künstler Delacroix in der Gestalt des seinen Zylinder in die Schlacht tragenden Bürgers ausdrücklich selbst als Freiheitskämpfer porträtiert hat. Alexander Dumas d.Ä. Berichtete 1864, ein Jahr nach dem Tod von Delacroix, in seiner Rede zur Gedächtnisausstellung, er habe den Maler, einen Fanatiker des Kaiserreichs am 27.7.1830 am Pont d'Arcole in großer Angst vor dem heranrückenden Volk angertoffen. So geht das eben mit Leuten, die sich post festum zu Avantgardisten von Umwälzungen verklären, die sie tatsächlich vor Angst schlottern ließen. Immerhin ist in der Mimik des Selbstporträts noch etwas von Zweifeln zu spüren, die diesen Avantgardisten des Widerstands geplagt hatten. Er folgt nicht mit glühenden Augen dem Ruf der Freiheit; er auch vielmehr über den vor ihm liegenden Leichenteppich hinweg auf den Ausgang solcher Unternehmungen vorauszusehen. Delacroix unter dem Bürgerkönig Louis Philipe prompt seine Karriere als Liebling des Regimes fortsetzte - mit zahlreichen öffentlichen Aufträgen und Auszeichnungen als Offizier der Ehrenlegion - galt er dem gleichen Volk, dem er in seiner „Freiheit“ gehuldigt hatte, bei der Revolution von 1848 selbst als Repräsentant der zu stürzenden Bourbonendynastie. Sogar gegen das Freiheitsbild Delacroixs wandte sich die Wut der 1848er-Revolutionäre. Diese Leute hatten offenbar nur allzu genau das bedenkliche Konzept des Bildes verstanden. Denn der Sturmlauf des Volkes bewegt sich auf den Bildbetrachter zu, der unmittelbar vor den vordersten Reihen der Gefallenen zu stehen scheint - ein Eindruck, der durch die Größe des Gemäldes noch verstärkt wird. Der Betrachter steht also selbst der Volksbewegung entgegen - als eben der Bürger, dem die Revolution zum unterhaltsamen Spektakel wird. Delacroix orientierte sich beim Bildaufbau an zeitgenössischen Presseskizzen der Aufstände. Nur die künstlerische Qualität des Bildes hindert uns daran, es selbst als Zeugnis des Sensationsjournalismus zu werten. Aber Delacroix war ein hartgesottener Profi der Bildkunst, der sich, wie Baudelaire 1863 bemerkt, „nicht zum politischen Sentimentalismus unserer Zeit bekehren ließ; er haßte den Pöbel genauso wie die bürgerlichen Bilderstürmer, die im Jahre '48 an einigen seiner Werke Gewaltätigkeiten begingen." Insofern ist das Bild ein Manifest auch der Bereitschaft von Künstlern, für ihre Werke über Leichen zugehen.
Abbildung:
S.191: Die Freiheit für das Volk, Eugène Delacroix, 1830, Musée de Louvre, Paris.
Zitat S.190:
„Ich kann nicht umhin, zu gestehen, diese Figur erinnert mich, an jene peripatetischen Philosophinnen, an jene Schnellläuferinnen der Liebe oder Schnellliebende, die des Abends auf den Boulevards aufschwärmen.“ (Heine, Heinrich: aus Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831.)