Vortrag / Rede Symposium: Inszenierung und Vergegenwärtigung

Ästhetische und religiöse Erfahrung heute

Termin
25.07.1997

Veranstaltungsort
München, Deutschland

Künstler folgen Fürsten, Künstler folgen Meistern

Die Nachfolge Christi wird konsequenterweise abgelöst durch die Imitatio der fürstlichen oder patrizischen Auftraggeber und Brotherrn. Indem der Künstler über deren Leben und ihre Taten, die res gestae, als fama erzählt, wird die Voraussetzung geschaffen, daß den Führern und Schlachtenlenkern überhaupt jemand nachfolgen kann. Erst der Künstler bringt die Leistungen der Heroen zur Wirksamkeit, indem er sie als Historiograph aufschreibt, als Maler in Porträts oder Ereignisbildern festhält, den Formierungskräften in Idealstädten zur Anschauung verhilft. Zur Nachahmung regt nun nicht mehr Christus, sondern der Ruhm der menschenmöglichen, von Künstlern erzählten Geschichten an. In einem weiteren Schritt wird Giorgio Vasari mit seiner Begründung der Viten-Literatur den Künstler selbst als Persönlichkeit mit Anspruch auf gestaltete Lebensgeschichte, auf Biographie einführen. Der Künstler wird selbst zu demjenigen, dessen Leben zum Gegenstand seiner eigenen Arbeit, seiner eigenen fama gerät.

Mit diesen beiden fundamentalen Voraussetzungen beginnt die Moderne:

  1. Die Wirksamkeit des Schöpferischen realisiert sich in der Wahrnehmung und im Verhalten der Betrachter eines Werkes. Zoographos bedeutet in diesem Sinne: "ich gestalte Ihr Sehen, Ihr Wahrnehmen, Ihr Fühlen, Ihre Raumvorstellungen durch die Art, wie ich Ihnen mein Werk präsentiere." Es geht nicht mehr um die objektive Qualität eines gestalteten Gegenstandes, sondern um die Wirkung, die er erzielt, bis hin zur Verweigerung des Werkes, zu "sprechen": es wird bewußt unserem Verstehen entzogen – auch das ist eine inszenierte Wirkung, wie sie etwa durch Samuel Beckett vorgeführt wurde – und die Betrachter stehen hilflos da. Das ist überhaupt der größte Trick: aus einer Latte, einem Haufen Kieselsteinen oder ein bißchen Lehm eine Tiefsinnigkeit vorzutäuschen und das Publikum zu veranlassen, es habe schweigend zu lauschen, wie der Weltgeist spricht. Künstler vermögen diese unsere Verfallenheit an die Sehnsucht nach Tiefe zu inszenieren.
  2. Die Vitenliteratur läßt um die Mitte des 16. Jahrhunderts diese neue Figur des Künstlers entstehen, der es mit seinem Schaffen vermag, in ruhmvollen Erzählungen das Geschehene zu verlebendigen, und zwar in einer Weise, daß viele Generationen später Menschen, die nicht selbst an den Schlachten teilnahmen und die Könige nicht persönlich kannten, durch das bezugnehmende Kunstwerk, das Gemälde, das Drama, den Bau, doch etwas erfahren – nicht nur über das Ereignis, sondern auch über den Künstler, der sich damit beschäftigt hat.

Hier entsteht ein neues System der Legitimationen des Werkschaffens: Schüler berufen sich auf ihre Meister, Nachfolgekünstler auf ihre Vorgänger.