Tafelrunde Denkerei: Diktatur der Kunst

In der Reihe „Diktatur der Wahrheit“

Robert Eikmeyer, Doris Mampe: Jonathan Meese 1970-2023, Bild: Köln: Walther König, 2018.. + 1 Bild
Robert Eikmeyer, Doris Mampe: Jonathan Meese 1970-2023, Bild: Köln: Walther König, 2018..

Zur Reihe „Diktatur der Wahrheit“

„Welche Kraft können wir identifizieren (bisher nannte man sie Zeitgeist oder Geschmacksdiktat oder Mode oder höhere Offenbarung), die 340 Mio. Europäerinnen veranlasst, seit Beginn der Finanzkrise, ihre Körperbehaarung zu entfernen? Welche Kraft veranlasste die westlichen Kapitalanbeter sich dem islamischen Zinsverbot anzuschließen? Welche Kraft bestimmte den Willen gestaltungswilliger Jugend in eben diesen Zeiten sich tätowieren zu lassen? Für die letzte Welle solcher westlicher Gehirnprogrammierungen, dem Punk, ließ sich die Frage beantworten: Man trug gürtellos herunterhängende Hosen, Sicherheitsklammern im Ohr, Chichi-Diamanten in der Nase und in der Lippe, weil man sich mit Gefängnisinsassen identifizieren wollte, die als Kriminelle einer zu würdigenden Minderheit angehörten. Welche Kraft lässt gutwillige Kirchentagsbesucher singen und beten, als hänge das Weltgeschick von ihrer demonstrierten Ergebenheit in dieses Geschick ab? Sie wollen uns gerne glauben machen, dass diese Kraft Gott sei, den sie gerade durch ihre Hingabe an logisch unhaltbare Behauptungen bewiesen. Die Massenpychologie, bisher für diese Fragen zuständig, antwortet stets mit Tautologien und hat deshalb an Autorität verloren („Die Panik erklärt sich als Folge des panischen Verhaltens von Menschen in Panik.“). Also, liebe Freunde, welche Kraft bestimmt all diesen Irrwitz, wenn wir uns nicht mehr bequemerweise auf Gott, Teufel oder Tyrannen berufen wollen? Wer etwas weiß, möge es sagen. Wir sagen, was wir wissen, am 6.11.18 und vier nachfolgenden Abenden in der Denkerei – zur Diktatur der Freiheit, zur Diktatur der Kunst, zur Diktatur der Verpflichtung auf das Neue, der Kreativitätswirtschaft und des Liebesgebots.

1. Diktatur der Kunst
Mit Robert Eikmeyer und Bazon Brock

Seit 2006 propagiert Jonathan Meese die ›Diktatur der Kunst‹, eine (r)evolutionäre Bewegung, die er seither in einem umfangreichen Korpus an Texten, Manifesten und Formeln umkreist. Parallel dazu soll sich – in einer in der Kunstwelt beispiellosen Imagekampagne – die »Selbstneutralistation« des Künstlers Meese zur »Ameise der Kunst« bzw. dem »Metabolischen« vollzogen haben. Eine außer durch die Tautologie Kunst = Kunst nicht weiter definierbare Sache. ›Kunst‹ manifestiert sich für Meese als »metabolische Gewissheit« in seinen Arbeiten und ist mittlerweile zum Werkprinzip geworden. Mit radikalen Forderungen wie der »Machtergreifung der Kunst« unter gleichzeitiger Abschaffung der Demokratie sowie dem obsessiven Bezug auf Symbole und Gesten des Nationalsozialismus verstört Meese das Publikum, um so vorgeblich den Raum der Kunst zu schließen. Im Umfeld von Kontextkunst und Relational Aesthetics vertritt Jonathan Meese so einen radikalen Autonomieansatz, wie er von Karl Philipp Moritz im 18. Jahrhundert begründet und im 20. Jahrhundert durch Ad Reinhardt wiederaufgegriffen wurde.

Anlässlich des Erscheinens der ersten umfangreichen Biografie des Künstlers »Jonathan Meese 1970-2023« diskutieren der Kunstwissenschaftler Robert Eikmeyer, einer der Autoren des Buches und Herausgeber der »Ausgewählten Schriften zur Diktatur der Kunst«, und Bazon Brock, ob Meeses zentraler Begriff der ›Diktatur der Kunst‹ theoriefähig ist oder ob wir es bei der Herrschaftsausübung der Kunst, von Meese seit einiger Zeit nur noch K.U.N.S.T. geschrieben, mit einer Contradictio in adiecto zu tun haben, dem Selbstwiderspruch einer Diktatur ohne Träger und einer Revolution ohne revolutionäres Subjekt.

Zur Person:
Robert Eikmeyer, geboren 1963, studierte Malerei in Stuttgart, anschließend Kunstwissenschaft in Karlsruhe, wo er mit einer Dissertation zur ›Diktatur der Kunst‹ promovierte. Nach Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen ist er seit 2015 Dozent für Kunst- und Designtheorie an der Hochschule Pforzheim. Zahlreiche Publikationen zur zeitgenössischen Kunst. Zum Werk von Jonathan Meese sind u.a. erschienen: Jonathan Meese. Slavoj Žižek. Ernteschach dem Dämon, Jonathan Meese. Erznahrung, Jonathan Meese. Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst.

Zum Buch:
Robert Eikmeyer, Doris Mampe: Jonathan Meese 1970-2023, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2018.
Erscheinungsdatum ist laut Verlag der 4. Oktober 2018.

Termin
06.11.2018, 18:30 Uhr

Veranstaltungsort
Berlin, Deutschland

Veranstalter
Denkerei

Veranstaltungsort
Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin