Magazin Max Joseph

Magazin der Bayerischen Staatsoper

Max Joseph, Bild: Magazin der Bayerischen Staatsoper. Nr. 3 2015/16.
Max Joseph, Bild: Magazin der Bayerischen Staatsoper. Nr. 3 2015/16.

 "Vermessen: Die Kunst" - wie könnten wir Ihnen bei diesem Thema eine ganz reguläre Ausgabe präsentieren? Nach "Vermessen: Der Mensch" und "Vermessen: Der Raum" widmet sich die dritte Ausgabe dieser Spielzeit nun der Kunst, und damit der Frage, was Maß und Regeln für die Kunst bedeuten.

"Ich fühl's - und kann's nicht versteh'n -/kann's nicht behalten - doch auch nicht vergessen;/und fass ich es ganz - kann ich's nicht messen!" singt Hans Sachs in seinem Fliedermonolog in Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg. David Bösch wird inszenieren, die musikalische Leitung hat Kirill Petrenko. Über das Maß in der Kunst haben wir diejenigen befragt, die es wissen müssen: Künstler und Menschen, die täglich mit Kunst zu tun haben. Entstanden ist ein Schatz an Zitaten und Äußerungen, die deutlich machen, wie notwendig, aber auch wie schwierig und wie aufregend diese Frage für die Kunst ist.

Erschienen
01.01.2015

Erscheinungsort
München, Deutschland

Issue
Nr. 3 2015/16

Seite 71 im Original

Fragebögen zur Vermessung der Kunst: Künstler und Kulturschaffende antworten in Wort und Bild

Bazon Brock

Wie vermessen darf Kunst sein?

Kunst und Wissenschaften sind Tätigkeiten, von Individuen getragen, die sich ohne das Votum der Kulturen und Religionen Aufmerksamkeit verschaffen.

Das heißt, Künstlern und Wissenschaftlern folgt man mit Aufmerksamkeit, auch wenn Zustimmung nicht belohnt und Ablehnung nicht bestraft werden kann; Letzteres kennzeichnet die Autorität von Kulturen und Religionen.

Welche Regeln braucht die Kunst?

Von Aristoteles über Lessing bis heute gilt, dass die Regeln der Kunst sich ausschließlich aus der inneren Logik einer Erzählung von einem Anfang bis zu einem Ende ergeben. Das betrifft insbesondere Dramen und Epen und seit Monteverdi besonders die Oper.

Für die bildenden Künste ist die Regel deckungsgleich mit dem Gelingen von Sinnstiftung und Überzeugung. Der Sinn muss durch das Werk als evident erfahrbar werden. Für die Kunst gilt, dass eine Evidenz erst überzeugt, wenn sie das Resultat von Kritik ist. Also Evidenzerzeugung durch Evidenzkritik. Dem Augenschein nicht trauen zu dürfen führt dazu, ihn durch Kritik vernünftig werden zu lassen.

Vergessen wir alles pathetische Gerede über das work in progress, das offene Kunstwerk und derlei Bauernfängerei. Wer immer noch die Grenzen der Kunst sprengen, alte Sehgewohnheiten aufbrechen will, ist bloß denkfaul, um nicht zu sagen kenntnislos.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Der Wert der Kunst bemisst sich an der Autorität durch Autorschaft, der einzigen Autorität, die in Kunst und Wissenschaft gilt – nicht Marktwert, nicht Ruhm, nicht legalisierte Fälschung! Folglich, wenn heute Berichte über Auktionserfolge die Kunstkritik ersetzen heißt das, „Kunstwerke“ sind zu Marktplunder geworden.

Was wird durch die Kunst vermessen?

Durch die Kunst lässt sich erkennen, wieweit noch Individuen in der Lage sind, etwas Sinnvolles und damit Bedeutendes über die Welt auszusagen und sich so der Autorität von Kollektiven zu entziehen.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Die größten Irrtümer der Kunst? Die Anmaßung, Religionen stiften zu können und politischem Welterlösungswahn Glanz zu verleihen.

Zu 6. [Oper ist/kann/muss...]

Die Oper kann und muss der Entfaltung der Stimme als Medium des Geistes die Bühne bereiten.

Die Oper formiert Stimmen zum Körper der Menschheit. Sie hält die Urlaute und die Abgesänge, die Kontaktnahmen wie die Aura-Distanzen, die Fernwirkung wie die Nächstenliebe für immer gegenwärtig.

P.S.: „... zerging im Dunst das Heilige Römische Reich, uns bliebe gleich die Heilige Deutsche Kunst.“ Das ist der Inbegriff von Oper als Religionsersatz oder Anstiftung zur Liquidation der Kunst im Namen der Heiligkeit. Die schöne Ausrede gilt nicht, denn hätten die Bürger sich eine Zivilreligion gestiftet, so wäre sie nicht heilig zu nennen, weshalb niemand auf die Idee käme, unser Grundgesetz als heilig darzustellen.

Max Joseph, Bild: Nr. 3 2015/16, S. 71.
Max Joseph, Bild: Nr. 3 2015/16, S. 71.