Buch Bildersturm

Die Zerstörung des Kunstwerks

Titelbild: Grabstein einer Äbtissin. Südwand des östlichen Querschiffes im Dom zu Münster/W., Bild: Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. Hrsg. von Martin Warnke. München: Hanser, 1973..
Titelbild: Grabstein einer Äbtissin. Südwand des östlichen Querschiffes im Dom zu Münster/W., Bild: Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. Hrsg. von Martin Warnke. München: Hanser, 1973..

Die Kunstwissenschaft interpretiert ihren Gegenstand vielfach als einen autonomen, von der Gesellschaft abgehobenen Bereich. Die Zusammenhänge zwischen der Produktion visuell erfahrbarer Gegenstände und ihren sozialen Ursachen wurden bisher nur selten untersucht. Ästhetische Kriterien reichen in vielen Fällen zur Erklärung eines Kunstwerks nicht aus.

Der Ulmer Verein für Kunstwissenschaft ist ein Zusammenschluß von Kunsthistorikern, der sich theoretisch und praktisch um eine Reform der Kunstwissenschaft an Hochschule und Universität sowie ihrer Institutionen in Museum und Denkmalpflege bemüht. 

Die auf die Praxis abzielenden wissenschaftlichen Untersuchungen des Ulmer Vereins für Kunstwissenschaft werden von Projektgruppen erarbeitet und diskutiert. Ihre Ergebnisse sollen in zwangloser Folge vorgelegt werden.

Erschienen
1972

Herausgeber
Warnke, Martin

Verlag
Hanser-Verlag

Erscheinungsort
München, Deutschland

ISBN
3446117814

Umfang
184 Seiten

Seite 30 im Original

Der byzantinische Bilderstreit

In diesem Beitrag sollen nicht die Perspektiven des gegenwärtigen Bilderkrieges zur Sprache kommen, sondern es soll versucht werden, in einer stichwortartigen Darstellung jenes historischen Bilderkrieges, der von den radikalsten und theoretisch bestabgesicherten Positionen der kämpfenden Parteien ausging, implizit anzudeuten, daß unsere Problemlage noch immer mit jenen historischen Positionen verdeutlicht werden kann.

Wie heute der Streit um den Wirklichkeitsbeweis des Bildes in der Werbung oder der Kunst kein regional begrenztes, thematisch ephemeres, auf diese Bereiche unserer Praxis beschränktes Ereignis ist, sondern die Grundlagen unserer Weltaneignung betrifft, so wurden im hundertjährigen byzantinischen Bilderkrieg zwischen 730 und 841 die Auseinandersetzungen um die Grundlagen der byzantinischen Kultur, des politischen und sozialen Systems des Oströmischen Reiches und des christlichen Glaubens geführt.

1. Voraussetzungen

Der byzantinische Bilderkampf entstand im Rahmen deutlich rekonstruierbarer sozialer Auseinandersetzungen. Die von fast allen Autoren zu diesem Problem vertretene Hauptthese lautet: Die koinobitisch, in straff geführten Gemeinschaften lebenden Mönche erlangten zu Beginn des 8. Jahrhunderts einen immer größeren Einfluß auf die Bevölkerung, weil die Mönche in ihren Klöstern Kultbilder und Reliquien verwalteten, denen Wunderwirkungen aller Art zugeschrieben wurden. Für den Zutritt zu den Kultbildern entrichteten die Gläubigen Zahlungen in Naturalien, wodurch sich auch die wirtschaftliche Macht der Mönche stärkte. Dieser wachsenden klösterlichen Macht mußte der Kaiser entgegentreten, wenn er die fundamentale Bedingung seiner Herrschaft im Ostreich aufrechterhalten wollte. Diese Bedingung war der Cäsaropapismus, die Vereinigung der höchsten weltlichen und geistlichen Macht in einer Herrschaftsposition. Sie geriet in Gefahr, wenn ein gestärktes Mönchtum zwar nicht dem Kaiser als »Hiereus«, als oberste kirchliche Glaubensinstanz, wohl aber dem Kaiser als Cäsar, als oberste politische Machtinstanz, Widerstand entgegenbrachte. Die Einleitung des Bildersturms durch das Edikt Leos III. vom 17. 1. 730 wird im wesentlichen als Konsequenz der Auseinandersetzung zwischen kaiserlichem Machtanspruch und der faktischen Macht der Mönchsorden verstanden. Auch das vorläufige Ende des Bilderkrieges durch das 2. Niceanum von 787, als die Kaiserin Irene die Bilderverehrung wiederherstellte, ist von jenem Konflikt bestimmt. Irene war unrechtmäßig, durch Blendung ihres Sohnes, des Thronfolgers, an die Macht gekommen. Die mangelnde Legitimation konnte sie sich durch Anerkennung der bilderfreundlichen Partei der Mönche verschaffen, da die Usurpation des Thrones als eine Wiederherstellung des rechten Glaubens und der gefährdeten Ordnung angesehen werden konnte - eine durchaus verallgemeinerungsfähige Aussage über die Lösung der Legitimationsfrage bei Herrschaftswechsel.

Daß sich der soziale Machtkampf zwischen kaiserlichem Hof und Mönchsorden, wobei jener von starken Kräften im Soldatenheer, diese von Teilen des Volkes und der Intellektuellen unterstützt und bestimmt wurden, ausgerechnet am Thema des Bildes entzünden konnte, läßt sich wohl nur aus den Qualitäten begreifen, die das Bild in der kunstimmanenten Entwicklung von Byzanz gewonnen hatte. Von einer Reihe von Autoren wird die These vertreten, daß der Übergang der Kultur der späten Kaiserzeit zur byzantinischen Hoch-Zeit durch den Verfall handwerklicher Fähigkeiten und künstlerischer Traditionen gekennzeichnet sei. Es ist aber eine nur schwer begründbare Annahme, daß etwa Konstantin der Große, der die Chance erkannt hatte, mit dem Christentum als Staatsreligion eine politische Klammer für die Einheit des Reiches zu gewinnen, zur notwendigen Ausbildung eines neuen, allgemein verständlichen und verbindlichen Kommunikationsmittels auf die hochkulturellen Äußerungsformen und auf die befähigtsten Künstler hätte verzichten können. Meiner Ansicht nach sind das hohe Abstraktionsniveau und demzufolge die Aktivierung der Rezeption als Bedingung der Bildkonstitution, die für die byzantinische Kunst in ihrer höchsten Entfaltung wesentlich sind, nicht unter den erschwerten Bedingungen eines Traditionszerfalls oder einer subkulturellen Abdrängung entstanden, sondern als Resultat einer kontinuierlichen Weiterentwicklung von der spätkaiserlichen bis zur hochbyzantinischen Kultur. Der Bilderkrieg des 8. Jahrhunderts läßt sich auch als Konsequenz dieser immanenten Entwicklung begreifen. Die hochgradige Differenzierung von künstlerischen Mitteln, ja deren Verselbständigung und Ablösung vom Dargestellten, stellt die Konkretion einer bildtheoretischen Position dar, wie sie schon 190 n. Chr. Tertullian in seiner Schrift ›De idolatria‹ angegriffen hat. In seinem Kampf gegen die Bildgötzen folgt Tertullian der jüdischen Tradition, derzufolge das von menschlichen Händen Geschaffene keinen Anspruch auf Dauer erheben darf. Tertullian geht davon aus, daß die Hand des Künstlers im gleichen Maße schöpferische Kraft habe wie der Schoß der Mutter. Wo aber die Mutter nur wieder sterbliche Menschen erschaffe, versuche der Künstler, etwas hervorzubringen, das etwas anderes als er selber sei. In dieser Fähigkeit des Künstlers, mit seiner Schöpfung über die bloße Reproduktion seiner selbst hinauszugehen, nehmen die Künstler und damit die Menschen für sich Leistungen des göttlichen Schöpfungsaktes in Anspruch. Tertullian erkennt bereits, welche Macht den werteschaffenden Künstlern dadurch zufallen könnte. Denn ihre Geschöpfe bilden sich ihre eigene Priesterschaft, die mit Verweis auf die künstlerisch realisierten Werte behaupten könnte, die Menschen bedürften nicht mehr der göttlichen Kraft.

Die Fähigkeit zur Konstruktion geschlossener Bildwelten hatte sich in Byzanz bis zur Zeit des Ausbruchs des Bilderkrieges stark entwickelt. Die Kunst entzog sich mehr und mehr einer instrumentellen Verwertung, weil sich die Künstler einerseits weitgehend von der bloßen handwerklichen Gestaltung profaner Gebrauchsgegenstände zurückzogen, und weil andererseits das Potential der künstlerischen Bilderzeugung nicht mehr zur Abbildung der realen Welt befähigt war, da die künstlerischen Mittel so hochgradig formalisiert waren. Die Bilder boten sich den Rezipienten als Leeformeln an, die sie mit beliebigem, eigenem Vorstellungspotential füllen konnten, so daß die Bilder für die Rezipienten einen nicht mehr kontrollierbaren Wirklichkeitsbereich herstellten. Die spirituelle Arbeit des Rezipienten mit den künstlerischen Leerformeln erzeugte eine zweite wesentliche Realitätsebene des Bildes, die Ebene des Abgebildeten, die er als individuelle Vorstellungsleistung selber dem Bild hinzufügte. Der Rezipient wurde zum eigentlichen Bildschöpfer. Diese Möglichkeiten in der Bildrezeption lassen es als verständlich erscheinen, daß die politischen und theologischen Instanzen ihnen nicht gleichgültig gegenüberstehen konnten. Das erklärt auch, warum der byzantinische Bilderstreit im Rahmen der christlichen Grundlagendiskussion mit allen Mitteln der theologischen Argumentation ausgetragen wurde. Gleich nachdem Leo III. das besagte Edikt gegen die Bilderverehrung erließ, versuchten die Mönche, ihn als Antichrist hinzustellen. Obwohl Leo 718 das Reich durch die Abweisung der Araber gerettet hatte, schmähten die Mönche ihn nach dem Edikt als sarazenenhörig (sarakenophron), wohl auch mit dem Blick auf die regionale Provenienz maßgebender Ratgeber und Beamten am kaiserlichen Hof. Um diese gefährliche Agitation der Mönche zu unterbinden, die das bilderfeindliche Edikt als einen Angriff auf den christlichen Glauben darstellte, war Leo seinerseits gezwungen, das Edikt mit theologischen Argumenten zu rechtfertigen. So kam es, daß der Machtkampf von beiden Seiten auch unter höchster Anstrengung der Reflektion geführt wurde. Das theologische Bezugsfeld gab der Streit um die Natur Christi ab, an dem seit dem 4. Jahrhundert die hervorragendsten Wissenschaftler beteiligt waren und auf dessen hoch entwickeltem Niveau die Bilderfrage diskutiert werden mußte. Der Begründungszwang aus der christologischen Debatte wiegt bei der Beurteilung der Voraussetzungen des Bilderstreites schwerer als die Frage, ob Leo tatsächlich in seiner bilderfeindlichen Haltung im Wirkungsfeld arabischer Kultur stand, die an den Grenzen seines Reiches mit der oströmischen amalgamierte, zumal die jüdisch-islamischen Traditionen des Bilderverbotes wesentlich anderen Begründungszusammenhängen folgten, als sie bei den byzantinischen Bilderfeinden maßgeblich wurden. Diese bezogen sich auf den jahrhundertealten christologischen Streit, der schon auf dem ersten Konzil von Nicäa 325 eine wichtige Rolle gespielt hatte. Damals war der wesentliche Erörterungspunkt von theologischer Bedeutung ein Jota, nämlich jenes Jota, das die Begriffe homousia und homoiusia unterscheidet. Die Arianer behaupteten mit dem Jota, daß Christus nicht Gott gleich, nicht ewig sei. Die Athanasianer behaupteten mit dem Verzicht auf das Jota, daß Christus Gott gleich sei. Die lebhaft erörterte Frage, ob der Mensch gewordene, durch eine Frau geborene Christus mehr hat sein können als ein Mensch, entscheidet auch mit über die von Tertullian für die künstlerische Produktion gestellte Frage nach dem Wesen des Geschaffenen. Der Streit um die Natur des Logos (Christi) ist sodann über den Disput von 325 noch erheblich hinausgegangen. Die monophysitische Lehre, die die eine Natur Christi betonte, modifizierte sich dahin, daß die göttliche Natur Christi seiner menschlichen gegenüber den Vorrang habe. Die Lehre von der Dyophysis Christi wurde von dem Historiographen Nestorius zu einem hieb- und stichfesten Lehrgebäude ausgestaltet. Erst Leo I. gelang es, den Streit um die Natur des Logos mit einer einigermaßen abschlußhaften Formel stillzustellen. Sie lautet: Zwar sei Christus nur eine Person, jedoch eine Person, die zwei Naturen habe. In diese theologische Begriffskonstellation war der aus einem sozialen Machtkampf entsprungene Bilderstreit einzubetten. Ich verkürze im folgenden die Positionsdarstellung auf die Lage, wie sie im Jahre 754 bestand.

2. Die Positionen und ihre Argumente

Am 10. 2. 754 trat im kaiserlichen Palast von Hieraia (an der kleinasiatischen Seite des Bosporus gelegen) eine Versammlung von 338 Bischöfen zusammen. Kaiser Konstantin V. (741-775), ein Sohn Leos III., hatte persönlich die Vorbereitungen des Konzils überwacht und einen großen Teil der wissenschaftlichen Arbeit selber geleistet, denn er war, ebenso wie sein Vater, in der Lage, auf der Höhe der theologischen Wissenschaft zu argrumentieren, was er in dreizehn Abhandlungen unter Beweis stellte. Die Begriffsbestimmungen (horoi) des Kaisers bildeten sogar den unumstößlichen Argumentationsrahmen des Konzils, was um so leichter fiel, als alle beteiligten Bischöfe sich wie der Kaiser als Bilderfeinde verstanden. Konstantin hatte das Konzil einberufen, an dem weder Vertreter des Papstes noch die orientalischen Patriarchen teilnahmen, um den Bilderkampf in seine entscheidende Phase zu treiben. Der Kaiser hatte sich absichtlich zum »Bluthund der Bewegung« gemacht. Seine programmatischen Schriften zum Thema des Konzils formulierten folgende Positionen:

a) In der Frage des christologischen Streits kann weder die monophysitische noch die dyophysitische, nestorianische Lehre durch die Bilderfreunde in Anspruch genommen werden. Mit höchster Akkuratesse und forensischem Selbstgenuß des überlegenen Wissenschaftlers setzte der Kaiser auseinander, daß die Bilderfreunde in jedem Falle der Häresie verfielen. Wenn sie behaupteten, in den Bildern würde nur die menschliche Natur Christi dargestellt, so verstießen sie gegen die monophysitische Lehre von der untrennbaren Natur Christi. In der bildlichen Darstellung allein der menschlichen Natur Christi müßte nach der monophysitischen Lehre von der Untrennbarkeit zwangsläufig auch die göttliche Natur mitgemeint sein, womit gegen die Nichtdarstellbarkeit Gottes verstoßen werde.

b) Folgten die Bilderfreunde der nestorianischen Behauptung, daß die beiden Naturen Christi nichts miteinander zu tun hätten, so verfielen sie ohnehin der Häresie, weil sie das Dogma von der Menschwerdung Christi leugneten.

Konstantin überträgt die christologische Position Leos I. auf das Problem des Bildes: Zwar gab es im Bilde die zwei Wirklichkeitsebenen, die des Bildes und die des Prototyps, des Abbildes und des Abgebildeten; da aber beide Ebenen Bestandteil des einen materiellen Bildes seien, fielen in ihm Bild und Abgebildetes bis zur Wesensgleichheit zusammen. Damit war bewiesen, daß die Bilderfreunde sich dem verbotenen Götzendienst unterwürfen, wenn sie behaupten, ihre Verehrung gelte nicht dem Bild, sondern dem Abgebildeten, auf das jenes nur verweise; denn das Abgebildete erscheine als wesensgleicher Bestandteil des Bildes. Das Verbotsargument für die Bilder im Sakralbereich enthielt die Möglichkeit der Förderung und Nutzbarmachung der Bilder im Profanbereich. So ließ denn der Kaiser als Folge des Konzilsbeschlusses die religiösen Bilder in den Kirchen durch weltliche Darstellungen ersetzen, vornehmlich durch Jagdszenen, Naturdarstellungen und ornamentalen Schmuck. Konsequent folgerte der Kaiser aus seinen horoi zum Wesen des Bildes auch, daß das Kaiserbildnis bei jeder Gelegenheit in Funktion treten könne. Denn wenn Abgebildetes und Abbildung im Bilde immer wesensgleich zusammenfielen, dann vertrat das Porträt des Kaisers dessen leibliche Präsenz auch bei seiner wirklichen Abwesenheit. Diese Leistung des Bildes ermöglichte es dem Kaiser, überall im Reich mittels Porträts seine Untertanen als höchste Entscheidungsinstanz zu überwachen und zu motivieren.

Aus den kaiserlichen Bild-horoi und aus der von ihnen abgeleiteten Praxis kann man folgern, daß die Bilderfeinde die wahren Bilderfreunde sind. Gerade der durchgesetzte Wirklichkeitsanspruch des Bildes in seinen beiden Naturen, der im profanen Bereich zur Begründung intensiverer Machtpräsenz führte, mußte im sakralen Bereich zum Ikonoklasmus treiben. Dieser ist dann auch nach Dem Konzil von 754 mit einer Radikalität betrieben worden, die alles übertraf, was an Brutalität und Grausamkeit damals zur alltäglichen Begleiterscheinung kriegerischer Auseinandersetzungen gehörte. Das Konzil hatte ausdrücklich alle nur erdenklichen Methoden der Beförderung Lebender zum Tode als gerechte Strafe sanktioniert. In einzelnen Regionen wurden die Mönchsorden vollständig vernichtet, ihre Klöster zerstört oder als Lager und Kasernen benutzt. Die Zerstörung erfaßte nicht nur »Heiligenbilder«, sondern auch Reliquien.

Im Jahre 766 mußten alle Reichsuntertanen einen Eid gegen die Proskynese ablegen. Wer den Eid verweigertem wurde ohne Federlesens liquidiert. Es ist nicht bekannt, ob die Untertanen die andere Seite der Argumentation Konstantins erkannten und sein Bild kritisch verehren. Der Kaiser selbst lehnte eine solche kultische Verehrung seiner Person ab, wohl um die »Gessler-Wut« zu vermeiden und weil ihm die Steuerung der Untertanen durch seine im Bild vertretene leibliche Präsenz genügte. Diese Präsenz war zumeist durch die schriftliche Applikation des Kaisernamens konkretisiert, während die Bildform selbst ihre hochformalisierte Abstraktheit beibehielt und somit weiterhin der spirituellen Imaginationskraft des Betrachters die Konstituierung der Wirklichkeitsebene des Abgebildeten überließ.

Der Wortführer der Bilderfreunde, Johannes Damascenus, wurde auf dem Konzil von 754 selbstverständlich mit dem Bann belegt. Er hatte den Widerspruch gegen das Edikt Leos III. am entschiedensten formuliert. Seine Argumentation wurde für das 2. Niceanum 787 durch Theodor von Studion weiterentwickelt. Sie insistierte streng auf der Distinktion: »Niemals ist das Bild dem Prototyp, d. h. dem Abgebildeten gleich. Eines ist das Bild, ein anderes das Abgebildete.« Und: »Niemand wird dermaßen irrsinnig sein, den Schatten und die Wahrheit, den Prototyp und das von ihm Abgeleitete, die Ursache und das aus ihm Hervorgegangene für der Substanz nach eines zu halten.« Studion weist darauf hin, daß die Menschen ihrer Leiblichkeit wegen auf die sinnliche Anschauung angewiesen sind. Doch sei es ihre Pflicht, von dort zur geistigen Schau, zur Theorie vorzudringen. Dem Bild komme in diesem Prozeß die Funktion eines Mittlers zu. Das Bild drücke zwar nicht die substantielle Einheit von sinnlicher Erscheinung und theoretischer Wesensbestimmung aus, wohl aber verknüpfe es beide miteinander. Der den Bilderverehrern von Leo III. hämisch vorgehaltenen Widersprüchlichkeit, daß eine behauptete strikte Trennung der Wirklichkeiten von Abbild und Abgebildeten doch den Nutzen der Bildverehrung für den Gläubigen desavouiere, begegnet Johannes mit der Theorie der Methexis, die dem Bild eine Teilhabe an der Wirkungskraft des von ihm Abgebildeten zugesteht. Zugleich kann sich Johannes auf die kanonischen Texte berufen, die besagen, nicht das Bild, sondern das Wort sei Fleisch geworden, weshalb das Bild als Bestandteil der Fleischwerdung des Wortes, also des Zusammenfalls von Wesen und Erscheinung, verstanden werden könne. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die subtilen Unterscheidungen in der Praxis der volkstümlichen Bildverehrung durchzusetzen, bestimmt Johannes die Bildverehrung als eine proskynesis schetiké, d. h. als eine Verehrung, die aus der Wechselwirkung zwischen Bild und Prototyp hervorgeht, so daß die Verehrung nie dem Bild, sondern dem Prototyp gelte. Das Bild stehe nur in Stellvertretung des Abgebildeten bereit und diene dem Gläubigen nur als Hinweis und Erinnerung auf den Prototyp. Für das 2. Niceanum vereindeutigt Studion diese Auffassung, indem er feststellt, daß »die Schöpfung der Bilder nicht der Erfindung des Malers, sondern der katholischen Kirche entspringt … Der Maler schafft allein die techne, die materiellen Mittel der Bildherstellung«. Die Kunst sei Magd der Theologie, wie das Bild Magd des Bildbetrachters sei.

Diese Bestimmung des Bildes durch die Bilderfreunde macht sie zu den eigentlichen Bildverächtern, da sie dem vom Künstler geschaffenen Bild keine selbständige Wirklichkeit zugestehen, sondern nur eine zweckbezogene. Der vom Rezipienten zu leistende Anteil am Bild soll nach Meinung der Bilderfreunde auf keinen Fall auf das Weltliche gelenkt werden, sondern soll allein von der Kirche gesetzten sakralen Inhalten und Zielen zugeführt werden. Die auf dem Konzil von 787 gern gebrauchte Bezeichnung des Künstlers als »zographos«, als Gestalter der lebendigen Wesen, weist dem Künstler insofern eine untergeordnete Rolle zu, als er mit seinem Bilde immer nur auf ein jenseits des Bildes Gegebenes, auf das Wesen der Erscheinungen verweisen kann. Die Kunst ist lediglich Mittel der Erkenntnis. Damit geht das Konzil auf die Argumentation der Ikonoklasten ein, die in der künstlerischen Darstellung des lebendigen Wesens zugleich die reale Erschaffung von dessen Numen, Seele, Lebensodem sieht. »Wer ein Bild herstellt, den wird Gott dereinst solange Qualen erleiden lassen, bis er dem Bild Lebensodem einhaucht. Er wird dem Bild aber niemals welchen einhauchen können.« Der Künstler wäre bei den Bilderfeinden nur dann gerechtfertigt, wenn ihm das Pygmalionerlebnis zuteil würde, wenn er »lebendig machte, was er erschaffen hat«. Der hohe zographische Anspruch der Ikonoklasten kann in dem Künstler nur den hylographos sehen, den Gestalter toter Materie. Die ikonoklastische Praxis, den bildlich dargestellten Lebewesen den Kopf abzuschlagen, geht von der medizinischen Erkenntnis aus, daß ein Organismus ohne Kopf nicht leben kann. Die verlebendigende Phantasie bestätigt sich durch die Tötung der Kunstwerke.

3. Fortwirkungen des byzantinischen Bilderstreites

Da der byzantinische Cäsaropapismus den Anspruch auf Oberherrschaft auch dem weströmischen Reich gegenüber aufrechterhielt und aktivierte, versuchten die Päpste, den byzantinischen Alleinvertretungsanspruch zu untergraben, indem sie sich durch Parteinahme für die Bilderverehrung ein leistungsfähiges Instrument ihres Einflusses sicherten. Leos Edikt gegen die Bilderverehrung nahm der Papst zum Anlaß, den Suprematsanspruch des byzantinischen Kaisers über das Gesamtreich mit dem Hinweis zu bestreiten, daß er »des Teufels sei«. Stephan II. führte 752 in Rom jene langlebige Tradition der Via-Sacra-Prozession ein, in deren Mittelpunkt ein angeblich vom Himmel gefallenes Christusbild steht. Der Einsatz des Himmels als Bildlieferant, die Zurückdrängung der Künstlerautorschaft, deutet allerdings darauf hin, daß man in Rom an den Argumenten der byzantinischen Bilderfeinde nicht ohne weiteres vorbeikam.

Dem Rückversicherungsbedürfnis des römischen Papsttums verdanken es die Franken, daß sie ein zweites Kaisertum etablieren konnten. Karl der Große hatte denn auch energisch im Bilderstreit Stellung bezogen. Argumentativ wurde der Bilderstreit, nachdem auch in Byzanz 787 die Bilderverehrung wiederhergestellt worden war, durch die Libri Carolini aus dem Jahr 791 definitiv entschieden, auch wenn im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts der Bilderstreit wieder aufflammte. Mit den Libri Carolini, als deren Initiator Karl sich ausgibt, während wohl Alkuin und Theodor von Orleans ihre Verfasser sind, wollten die Franken ihre selbständige Position gegenüber Byzanz und dem Papst dokumentieren. Dementsprechend heißt es in den Libri Carolini, daß die Franken weder mit den Byzantinern die Bilder zerstören, noch diese wie die Römer (Papstanhänger) verehren wollten. Es solle vielmehr die via regia, der Weg der Mitte, beschritten werden. Der Anspruch der Libri, sich mit ihrer Argumentation weit über die der Ikonoklasten und Ikonodulen zu erheben, ist tatsächlich gerechtfertigt.

Die Darlegungen der Libri beginnen mit einer herablassenden, ja wegwerfenden Schilderung des Bilderstreits. Den streitenden Parteien wird zu bedenken gegeben, daß noch niemand durch Bilderverehrung in den Himmel gekommen sei und daß die Religion demzufolge nichts einbüße, wenn sie auf die Bilder verzichte. Für die Frage des Heils sei nicht das Bild von Bedeutung, sondern das Wort. »Aus Büchern, nicht aus Bildern erhalten wir das Wissen über die geistliche Lehre, so wie der Apostel Paulus sagt, ›Was einst geschrieben ward, ist zu unserer Belehrung geschrieben‹ (Römer 15, 4). Paulus sagt nicht, was einst gemalt ward, ist zu unserer Belehrung gemalt worden. Die heiligen Texte sagen auch nicht, alle Malerei ist von Gott eingegeben, sondern ›alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, der Darlegung, der Erziehung, auf daß der Mensch vollkommen werde und zum guten Werk gebracht‹ (2. Tim. 3, 16).« Darüber hinaus habe Moses auf dem Berg Sinai die Gesetze Gottes nicht gemalt, sondern geschrieben erhalten. Schließlich sei nicht das Bild geoffenbart, sondern, das Wort, welches Fleisch ward. Aus diesem Grund allein könne man Schrift und Bild überhaupt nicht gleichstellen.

Nach dieser Proportionsbestimmung führen die Libri-Autoren selbstbewußt das Kernstück ihrer Argumentation vor: Einem Mann werden zwei Bilder gebracht. Auf beiden Bildern ist eine Mutter mit ihrem Kind dargestellt. Die Bilder tragen keine Namen. Deshalb kann der Mann mit den Bildern nichts anfangen, sie sind für ihn wertlos, und er will sie wegwerfen. Da erfährt er, das eine der Bilder zeige eine Darstellung Marias mit dem Jesuskind und dieses Bild dürfe er ja wohl nicht vernichten. Der Mann schaut die Bilder an, um herauszufinden, welches der Bilder die Darstellung der Gottesmutter sei. Da sich beide Bilder zum Verwechseln ähneln, kann der Mann seine Entscheidung nicht treffen. Deshalb fragt er den Maler und erfährt, welches Bild Maria darstelle und welches die Darstellung der Venus sei, die Aeneas auf dem Arm trägt. Die Libri-Autoren glauben, damit entwickelt zu haben, wie ungerechtfertigt die Verehrung der Mariendarstellung einerseits und die Vernichtung der Venusdarstellung andererseits sei, da es für den Künstler überhaupt keinen Unterschied mache, ob er Maria mit Jesus, Venus mit Aeneas, Alkmene mit Herkules, Rebekka mit Jakob, Elisabeth mit Johannes oder überhaupt irgendeine Mutter mit ihrem Kindemale. Für die Beurteilung des Bildes komme allein in Betracht, ob das Bild besser oder schlechter gemalt sei, denn das Bild verdanke sich nicht irgendeinem Mysterium, sondern allein dem magisterium und ingenium des Künstlers. Die Kunst sei prinzipiell nur ars mundana, weltliche Kunst. Ingenium könne jeder Mensch haben oder nicht haben, und wenn er es habe, könne er es ausbilden und entwickeln, er könne es lernen und lehren. Je nachdem wie weit er bei dieser Anstrengung komme, werde er »schöne« oder weniger gelungene Kunstwerke schaffen. Die ingeniöse Hervorbringung von weltlicher Kunst könne keinem wie immer gearteten sakralen Zweck zugeordnet werden. Bestenfalls könne man Kunstwerke im sakralen Bereich als Schmuck und Ornament und als erinnernden Hinweis auf die in der Welt sich erfüllende Heilsgeschichte verwenden. Als »Tatgedächtnis« (res gestae) hätten schon die Römer die Kunst verwendet.

Die ebenso überlegene wie eigennützige Endgültigkeit, mit der die Libri Carolini dem Bilderkrieg gegenübertreten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Krieg weitergegangen ist und heute vielleicht seinen Höhepunkt erreicht hat. In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Bestimmung des Bildes wird einerseits die Einstellung jeder künstlerischen Produktion gefordert, weil sie untauglich zur Beförderung der Weltaneignung sei. Die Welt müsse real verändert werden, anstatt nur immer wieder die Darstellung der Welt zu verändern. Auf der anderen Seite sehen wir über alle medialen Kanäle eine Flut von Werbebildern sich bekriegen, die den Wirklichkeitsbeweis des Abgebildeten gegenüber den Rezipienten führen: Bilder suggerieren, daß das Weiß des einen Waschmittels weißer ist als das Weiß, welches das Waschmittel auf einem anderen Bild erzeugt; Bilder werden als Beweisstücke für die reale Existenz und Wirkungsweise eines abgebildeten Waschmittels ins Feld geführt. Im heutigen Bilderkrieg stehen bedenkenlos oder in »kaiserlichem« Auftrag arbeitende Bildkonstrukteure in der Werbung denjenigen gegenüber, die die Bildkonstruktionen als manipulative Überformung der Welt durch das Bild energisch abweisen. Der gegenwärtige Bilderkrieg zwischen denen, die mittels des Bildes einen Wirklichkeitsbeweis für das Abgebildete antreten wollen, weil sie zumindest von der materialen Einheit von Abbild und Abgebildetem, von Zeichen und Prototyp ausgehen, und denjenigen, die das Bild zur Differenzierung der Wirklichkeitsebenen und damit objektivierend einsetzen wollen, verläuft in genau der Weise, wie der historische Bilderkrieg des 8. Jahrhunderts. Eine Erweiterung und mögliche Überwindung der Problemlage ist nur durch die dialektische Bestimmung des Bildcharakters zu erwarten. Die Positionen der Bilderfreunde und Bilderfeinde müssen aufgehoben werden in der dialektischen Bilderzeugung, die erst in der Nicht-Identität von Bild und Abbild ihre dennoch notwendige Identität erreicht.

Literaturhinweise:

L. Breyer, (Hrsg.), ›Bilderstreit und Arabersturm in Byzanz‹, Graz, Wien und Köln
1957.
E. v. Dobschütz, ›Christusbilder. Untersuchungen zur christlichen Legende‹, Leipzig 1899.
H.-J. Geischer, ›Der byzantinische Bilderstreit‹ in: ›Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte‹, Heft 9. Gütersloh 1968.
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L. Koch,›Christusbild-Kaiserbild‹ in:›Benediktinische Monatsschrift‹ 21 (1939), S. 85-105.
J. Kollwitz, ›Bild III, (christlich)‹, in: ›Reallexikon für Antike und Christentum‹, Bd. II, Stuttgart 1954, Sp. 318-341.
E. J. Martin, ›A History of Iconoclastic Controversy‹, London 1930.
G. Ostrogorsky, ›Studien zur Geschichte des byzantinischen Bilderstreits‹, Breslau 1929.
K. Schwarzlose, ›Der Bilderstreit, ein Kampf der griechischen Kirche um ihre Eigenart und um ihre Freiheit‹, Gotha 1890.
K. Wessel, ›Bild‹, in: ›Reallexikon für Antike und Christentum‹, Bd. I, Stuttgart 1966, Sp. 616-662.

*Der Beitrag ist einem längeren Manuskript entnommen, das sich eingehend mit den Aspekten des gegenwärtigen Bilderkrieges beschäftigt. Der hier abgedruckte Teil umfaßt etwa ein Viertel des Gesamtmanuskripts. Anmerkungen konnten nicht berücksichtigt werden.

siehe auch: