Buch Heldenmythen - Heldentaten - Heldentod

Heldenmythen – Heldentaten – Heldentod, Bild: Saarbrücken: Saarländisches Künstlerhaus, 2015.
Heldenmythen – Heldentaten – Heldentod, Bild: Saarbrücken: Saarländisches Künstlerhaus, 2015.

Publikation anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus vom 17.09.-15.11.2015.

Erschienen
01.01.2015

Herausgeber
Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken e.V.

Verlag
Saarländisches Künstlerhaus

Erscheinungsort
Saarbrücken, Deutschland

ISBN
978-3-945126-19-6

Einband
Broschiert

Seite o.S. im Original

Heroen statt Märtyrer

Wie das Postulat des Postheroismus in die Feier des Selbstopfers überführt wurde

Angeführt vom Soziologen Dirk Baecker glaubte man, dass der blasse Funktionär in der Proklamation des Verzichts auf jegliches heroisches Selbstbewusstsein zum neuen Idealtyp aufgewertet werden sollte.

Bemerkenswert bleibt, dass das geadelte Mittelmaß seine Bestätigung vor allem im Selbstopfer sah. Seit den 80er Jahren werden die Terroristen in allen Medien für das Selbstopfer der Märtyrer als zeitgemäße und zukunftsweisende Form des Heroismus gefeiert. Das ist eine ideologische Vereinnahmung des Begriffs Heroismus, weil der Heros im Unterschied zum Märtyrer sich gerade die Tränenseligkeit und die kleinliche Selbstgerechtigkeit nach dem Muster aller Mütter verbietet. Mütter erpressen seit je den Nachwuchs mit der Tirade: „Ihr werdet es noch einmal bitter bereuen, dass ich nicht mehr da bin, weil ich mich für euch aufgeopfert habe.“

Es war ein vielsagendes Missverständnis, das Bazon Brocksche Diktum vom verbotenen Ernstfall für den Postheroismus zu reklamieren, denn Unterlassen als Handeln verlangt ja gerade Heroismus und nicht den Verzicht auf Durchsetzung. Schließlich ist die Geschichte mindestens so stark durch das Unterlassene, also das Nichtgeschehene, bestimmt wie durch das Geschehene. Die Historiker machen uns glauben, dass zur Geschichtsmächtigkeit nur derjenige taugt, der eben nicht unterlässt, sondern agiert, also vom kategorischen Imperativ des unentwegten Geschehen-Machens angetrieben wird. Es sei jedoch daran erinnert, dass unsere westliche Zivilisation sich tatsächlich immer nur weiterentwickelt hat durch die Verständigung darüber, was zu unterlassen sei und was nicht geschehen dürfe. Dieses westliche strategische Verbot von Zerstörung und Selbstzerstörung bei der Durchsetzung eines wie auch immer gearteten Geltungsanspruchs ist das „Ernstfallverbot“.

Der zeitgemäße Heroismus wird etwa von den Menschen verlangt, die im Widerstand gegen Atomkraft oder Fracking oder sonstige Allmachtswahnsinnigkeiten Verhindern als Voraussetzung für Unterlassen verstehen wollen. Wie richtig dieses Vorgehen im Falle der Atomkraftgegner gewesen ist und immer noch ist, zeigt die Tatsache, dass Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft es bis heute nicht geschafft haben, eine Voraussetzung für den Geltungsanspruch der Atomkraft-Lobbyisten zu schaffen, nämlich die Entsorgung des strahlenden Mülls. Das gesamte Unternehmen Atomkraft ruiniert jeden Anspruch der Wissenschaftler und ihrer Nutznießer auf Vertrauenswürdigkeit, denn Entsorgung ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung der Atomenergie. Die Bedingungen für die Akzeptanz eines Unternehmens nicht zu erfüllen oder auf unbestimmte Zeit zu vertagen, lässt die Gesamtunternehmung der Atomindustrie als sinnlos erscheinen. Es ist schwer, nachzuvollziehen, warum in westlichen Gesellschaften sinnloses Tun immer noch hochsubventioniert wird. Die Antwort lautet: Es kostet zu viel, den Unsinn sein zu lassen. Man möchte die Unternehmen nicht zwingen, einzugestehen, dass Sie die Erlaubnis für ihr Geschäft mit falschen Angaben erschlichen haben, denn jetzt ist für jeden, der es wissen will klar, dass die 38 Milliarden, pflichtgemäß hinterlegt für die Beseitigung der Schäden durch die Atomindustrie, nicht annähernd ausreichen können.

Too big to fail: Die Wissenschaftler erwiesen sich als Kriminelle, denen die Folgen ihres Tuns völlig gleichgültig waren; die Unternehmer ergaunerten Lizenzen mit geradezu absurd falschen Angaben; die Politiker feierten sich als Herren des Fortschritts, weil mit Fortschreiten eben jede Art der Bewegung, also auch die hin zum Abgrund, gemeint ist; und die Bürger bestätigten die alttestamentarische Weisheit, dass ihnen der Tanz um ein bloß versprochenes goldenes Kalb mehr gilt als die simple Wahrheit der Zehn Gebote.

Literaturhinweis: „Feier der Zivilisationsheroen“, in: Bazon Brock, Lustmarsch durchs Theoriegelände, Musealisiert Euch! Köln: Dumont, 2008, 258 ff.

siehe auch: