Magazin art, das Kunstmagazin 9/1986

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Erschienen
01.09.1986

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Gruner + Jahr AG & Co KG

Verlag
Gruner + Jahr AG & Co KG

Erscheinungsort
Hamburg, Deutschland

Issue
09/1986

Seite 60 im Original

Von Männern, Herren und Rambos der Kunst

Ein zeitgemäßer Künstler residiert in einem Schloß? Ja doch, warum nicht? Ist er denn ein Herr? Ist er von Adel? Nun, nicht jeder von Adel, der ein Schloß besitzt, ist ein Herr; auch Trottel, Krautjunker und agrarsubventionierte Erben stehen ihren Mann. Daß sie persönlich das Kaliber eines Herrn zu haben hätten, wird kaum erwartet. Sie sind Herren, wie man Bäckermeister oder Hauptkommissar ist. Herr zu sein, ist ihre Berufsrolle, nicht Persönlichkeitsmerkmal. Das Schloß ist Herrenhaus, wie die Bäckerei das Arbeitshaus des Bäckers ist. Was aber ist das Schloß für den Künstler? Sein Arbeitshaus, sein Atelier?

Für Georg Baselitz, den Schloßbesitzer zu Derneburg im Niedersächsischen, scheint das Schloß doch eher die angemessene Lebensumgebung eines Künstlers zu sein, der sich darauf verpflichtet hat, ein Herr zu werden: als Persönlichkeit wie als Berufsrollenspieler. Sind beide Positionen so atavistisch, wie sie es auf den ersten Blick zu sein scheinen, weil wir uns daran gewöhnt haben, den Künstler als aufstiegsorientierten Kleinbürger, bestenfalls noch als Angehörigen der mittelständischen Kulturelite zu betrachten und seine Persönlichkeitsmerkmale irgendwo zwischen denen eines Ersatzjesus einerseits und eines Bohemiens andererseits zu suchen? Martin Warnke (1) veröffentlichte 1985 seine brillante Studie über die Hofkunst. Sie ist – man muß es neidlos anerkennen – eine neue Sicht auf die Geschichte der modernen Kunst. Warnke legt überzeugend dar, inwiefern das Selbstverständnis der modernen Künstler (nach ihrer Flucht aus der Bevormundung durch kirchliche Auftraggeber) an Fürstenhöfen entstanden ist – und nicht erst als Konsequenz der Entfaltung des Bürgertums zu einer gesellschaftlichen Macht. Im Stillen hat sich wohl mancher schon gewundert, wie es den Giganten der bildenden Künste von Tizian bis Rubens so auffällig darum gehen konnte, mindestens in den Ritterstand erhoben zu werden, eine Auszeichnung, die uns für Genies als völlig unangemessen und überflüssig vorkommt.

Wie kann sich die Vorstellung von der Autonomie der Künste bei Künstlern gebildet haben, die sich bereit finden mußten, der höfischen Gesellschaft den Dekor für das permanente Ringelreihen zu entwerfen? Tauschten sie nicht eine eben überwundene Abhängigkeit gegen eine neue ein? In diesem Einwand offenbart sich der Irrtum, Autonomie mit einem Freibrief für Willkür zu verwechseln. Indem den Künstlern bei Hofe eine hervorragende Rolle eingeräumt wurde, übernahmen sie auch Verantwortung und Verpflichtung, wie sie zumindest idealiter den Herren des Hofes auferlegt waren. Die Freiheit der Künstler entwickelte sich mit ihrer Fähigkeit, eine gesellschaftlich verbindliche Rolle zu spielen, das heißt Einfluß zu nehmen, sich als Künstler Gehör zu verschaffen, ja, gesellschaftliche Macht auszuüben.

Dazu schien es unabdingbar zu sein, daß die Künstler sich auch entsprechend als überzeugende Persönlichkeiten zu bewähren vermochten, eben als Herren; ihre künstlerischen Fähigkeiten ersetzten den adligen Stammbaum. Ihr kraftvolles Werk wurde der staatengründenden Kraft der weltlichen Herren analog gesehen.

Mit den Herren ging es bergab; und mit den Künstlern auch, seit sie ihre persönliche Fähigkeit und Bereitschaft, gesellschaftliche Macht auszuüben, gegen vage Hoffnungen eintauschten, in ihren kleinbürgerlichen Werkstätten und Dachkammern zufrieden gelassen zu werden, ohne Verpflichtung und Einflußnahme von außen vor sich hinarbeiten zu wollen. Diese Feststellung gilt natürlich nur aufs Ganze gesehen. Und dennoch: Von Goethe und Schinkel über Makart bis zu Breker und eben zu Baselitz läßt sich eine stattliche Galerie der Herrenkünstler und der Kunstherren zusammenbringen. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß ihre Position zumindest in diesem Jahrhundert fast nur noch von Politkünstlern geteilt wird, deren vornehmliche Zielsetzung darauf gerichtet war, die Herren der Welt zum Teufel zu jagen; eine Ironie, derzufolge die Chefs in sozialistischen Ländern tatsächlich noch den Herrn spielen konnten, während unsere Kanzler, Direktoren und Normalkünstler sich mit der Rolle von kleinbürgerlichen Handelsvertretern begnügten. Das hat natürlich sein Gutes, wer will das leugnen und missen.

Aber um ihre Handlungsweisen und Selbsteinschätzung besser bewerten zu können, ist es doch nützlich, sich daran zu erinnern, daß es auch andere Ansprüche an Personen und Werke gab und gibt. Herren als kritische Größe gegen Normalkünstler, Normalwissenschaftler, Normalpolitiker – oder heißen die besser Durchschnittstypen? Es wollen ja nicht alle überdurchschnittlichen Künstler Herren werden, Gott sei Dank; aber Geringeres intendieren sie deshalb nicht. Lüpertz zum Beispiel spielt den Condottiere des demokratischen Nihilismus; ein Kraftmann, dessen Malergesten definitionsgemäß ins Leere gehen müssen. So sitzt er in der Paris Bar, als wollte er die Bewunderung jener entgegennehmen, die er eben noch wegen ihrer Winzigkeit für gar nicht vorhanden erklärte. Und schließlich gefällt es ihm, den extrem eleganten Akademieprofessor abzugeben, dessen Bedeutung darin liegt, seinen Studenten zu beweisen, man habe ein Genie zu sein, um ein solches Ausbildungsinstitut zu besuchen, denn lernen könne man dort bestenfalls das Unwesentliche.

Kiefer? Im dunklen Odenwäldchen steht sein zeitgemäßes Schloß, eine kathedralenweite Halle des Überlandtransportgewerbes. Vor dem Bau mit seiner Tankstellenverkleidung führt die obligatorische Ausbau- und Umgehungsstraße durchs Gelände, als gelte es, für die Wiederkehr des Führers gerüstet zu sein. Die Jets heulen im Tiefflug, aber im disneymittelalterlichen Nachbarstädtchen gibt es erstklassige Hausmacherblutwurst und beste Zigarren. Was ist man für ein Typ in solcher Umgebung? Ein Parzival in der funkelnden Rüstung des aus dem Sattel gekippten Weltherrn? Mit Kiefers Zustimmung wurde soeben gedruckt (2): „Die Blei- und Feuerwolke (in Kiefers jüngstem Werkzyklus) faßt das widersprüchliche Wesen Jahwes jedoch grundsätzlicher, als es sich im Auszug aus Ägypten dem Moses (!) auftut. Die Suggestionskraft des amorphen Himmelsgebildes geht entschieden hinaus über die im Buch Mose von Gott gewählten Erscheinungsformen.“ Ein „Buch Kiefer“ also und er ein heutiger Mose oder doch nur ein Moses (!)? Ein Werkzeug Gottes?

So ist es – ist es gedacht. Ein gewaltiger Schritt über Beuys hinaus, ein Schritt in die Lächerlichkeit, die dem Erhabenen so verflixt ähnlich sieht? Der Künstler als Anführer der Gottsucherbande! Wir wollen Gott und damit basta, und wenn er nicht will, wehe ihm, wir werden ihn schon zu zwingen wissen. Erlösung dem Erlöser! Doch, doch, das ist ein Künstler unserer Tage, sogar der erfolgreichste von allen. Du solltest Dir eben kein Bildnis machen von Deinem Künstler, denn dabei riskierst Du, Dein eigenes Bild zu entwerfen. Andere Bilder? Tiefere Blicke in die Ateliers der Selbstbildpinsler, nachdem die Herrenausstatter vor Gericht stehen wegen Verführung von tüchtigen Zeitgenossen zu sie überfordernden Attitüden: unsere Liebesgöttin (Deutschland, heiliges Wort, Du voll Unendlichkeit) erzieht sich ihre Helden mit ganz anderen Mitteln.

Der neue Künstlertypus ist hart, distanziert und kompromißlos. WOLKENKRATZER präsentiert ihn als Helmut Federle im Coverphoto; das ist gut getroffen. Die Schamanen, die Rotweinbohemiens, die sensiblen Aussteigersofties, die bärtigen und bäuchigen Malschweine sind endgültig ins Musterbuch der Künstlerpsychologie vergangener Tage abgelegt. Rambo ist nun auch als Künstler sichtbar; bisher erprobte er sich nur als Philosoph (Horstmann) oder als Literat (Bohrer). (3) Der neue Künstlertypus ist Ideenträger, der sich nicht aufs Talent verläßt, sondern auf seine intellektuelle Entschiedenheit. Seine Idee? Haltung gegenüber dem Ende der bürgerlichen Tage mit ihren vertrauten Konfrontationen von Ich und Du, von Wir und Sie, von Gut und Böse, von Edelstahl und Ekstase zu bewahren. Das klingt nach postmoderner Entgrenzung, doch die Konsequenzen sind andere. Der neue Künstlertypus sieht das Elend nur als das der anderen, der geistlosen Politiksklaven, der vaterlandslosen Cokesäufer und Plastikficker. Das Elend der anderen erhöht nur seine Position. Er hat den Schrecken schon hinter sich. Er hat sich entschieden, das nach seiner Meinung Unausweichliche hinzunehmen ohne selbstgerechte Klagen, ohne trügerische Hoffnung auf Wunder, die diese Welt noch retten könnten. Er kämpft um nichts anderes mehr als um eine tadellose Haltung auf dem Wege zum Ende der Geschichte. Sein Adressat ist er selber; seine Kraft bezieht er aus der Mitleidlosigkeit mit sich und den anderen, seinen Stolz aus seiner Singularität, seinen Mut aus dem Beispiel der wenigen anderen Singulären.

Wem das irgendwie bekannt vorkommt, der hat Recht.

Ernst Jünger wurde gerade 95 Jahre alt. Das Neue ist wieder einmal nur der neue Blick aufs Alte. Welcher Trost, daß wenigstens die Erwartungen des Endes von größerer Dauer sind als die marktgängigen Angebote grundsätzlicher Veränderungen. Sind in dieser Lage die Künstler als Herren und bei Herren die zukünftig gesuchtesten Typen, wenn auch zugleich die historisch überständigsten? Aber wo findet heute ein Künstler noch einen Herrn? Das Volk ist kein Herr, kein Bauherr, nicht Herr seiner selbst. Wie macht man es dazu? Indem ihm Künstler dienen.

(1) Martin Warnke: Hofkünstler – Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985.

(2) Gudrun Inboden: Exodus aus der historischen Zeit, in: Paul Maenz und Gerd de Vries: Anselm Kiefer, Köln 1986.

(3) Ulrich Horstmann: Das Untier – Konturen einer Philosophie der Menschenflucht, Wien 1982 u. Karl Heinz Bohrer: Ein bißchen Lust am Untergang, Ffm 1982.

siehe auch: