Eine Essenz

Angst ist, anders als die unbegründete Furcht, ein kulturevolutionär entwickelter Kontrollmechanismus, um Risiken zu vermeiden. Es gibt auch Angstpaniken, die aber nicht so leistungsfähig sind. Eine Angst oder Furcht, die auftritt, um ein zu großes Risiko nicht eingehen zu lassen, ist eine begründete und absolut positive Erfahrung. Hypochonder, die pausenlos um ihre Gesundheit bangen, leben besonders lange, weil sie gar keine Risiken eingehen. Folglich kann die Zeiterfahrung unter dem Druck der Angst außerordentlich produktiv sein. Umgekehrt kann Zukunftsantizipation unter dem Eindruck naiver Bedenkenlosigkeit oder eines gewissen Optimismus außerordentlich gefährlich sein. Auf diese von der Anthropologie her beschreibbare Bewertung der Evolution kommt es an und nicht auf den platten, allseits propagierten Hoppsa-jetzt-kommen-wir-Positivismus, der behauptet, Angst sei für zupackendes Handeln schädlich. Diese Position ist ganz falsch. Menschen, die Risiken vernünftig kalkulieren, tun das immer unter der Annahme, etwas könnte schief laufen, was natürlich scheinbar Angst macht. Umgekehrt richten Hauruck-Draufschläger, also die Vabanquespieler in der Geschichte, immer die größten Desaster an.
Quelle

Die Zeiterfahrung der Angst – Abschnitt in:

Kunstforum International, Band 150, Titelseite

Kunstforum International

Magazin · Erschienen: 1999 · Herausgeber: Jocks, Heinz-Norbert

Themen
Scheitern, Angst

Hat diese Textstelle markiert:

Bitte melden Sie sich an, um Essenzen zu markieren oder zu bearbeiten.