Uchronie

Wenn wir uns in einem Museum mit historischem Werkbestand bewegen, erfahren wir die Zeitform der Uchronie. Einerseits lernen wir die Werke der verschiedenen Epochen als historische zu unterscheiden - andererseits aber offenbar als jetzt, in der Gegenwart des Betrachters, bedeutsame wahrzunehmen. Die Uchronie ist die Zeitform des Dauernden, des Bewahrten.

Recording und Interaktivität

Eine besondere Bedeutung kommt der Möglichkeit des technischen recording zu. Es verstärkt nicht nur die Möglichkeit, Uchronie der memoria durch die Wiederholung auszubilden – es qualifiziert sie auch. Die technische Reproduzierbarkeit verbreitert nicht nur die Aneignungsmöglichkeiten der Werke, sondern ist auch Steigerung der Vorstellungskraft durch Stimulierung von uchronischer Zeiterfahrung. Dafür drei Hinweise:
Wer im Umgang mit den elektronischen Medien mit dem Phänomen der Interaktivität konfrontiert wird, bemerkt schnell, dass er ein Kriterium braucht, um den prinzipiell unaufhörlichen Fortgang des Prozessierens zwischen Betrachter/Akteur und dem Resultat seiner Operation beenden zu können. Der Eindruck relativer Beliebigkeit interaktiver Wechselwirkung entsteht, wo das Kriterium für zeitliche Schließung der Operation fehlt. Wie anders konnte man dieses Kriterium gewinnen als aus der geschichtlichen Erfahrung, die zum Beispiel Künstler gemacht haben, denn auch sie standen ja vor der Notwendigkeit, ihr Malen, Schreiben, Komponieren irgendwann zu beenden. Der Maler konnte seine Interaktion mit dem von ihm hergestellten Bild nicht endlos fortführen, es sei denn um den Preis der Zerstörung, der Annullierung der bereits geleisteten Arbeit. Die in gewisser Weise radikale Entscheidung zum Abbruch der Arbeit als einer Beendigung konnte nur getroffen werden mit Blick auf das Werk als eine Einheit und sei diese auch nur formalistisch definiert. Die Arbeit an der elektronischen Bildgenerierung schärft also den Blick für die Frage, welche Formen der Beendigung in den historischen Werken zur Geltung kamen.

(Barbar als Kulturheld, S. 168 ff.)

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