Buch Barbie. Künstler und Designer gestalten für und um Barbie

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Erschienen
1993

Herausgeber
Wunderlich,

Verlag
Rowohlt Verlag GmbH

Erscheinungsort
Reinbek, Deutschland

ISBN
3805205627

Umfang
256 Seiten

Einband
Paperback

Seite 10 im Original

Zeit und Geist: Prof. Dr. Bazon Brack gratuliert

Was ist Zeitgeist? Die Vorstellung der Zukunft in Hoffen und Bangen, die auf das Verhalten von Zeitgenossen wirkt, die gegenwärtige Zukunftserwartung. Und weil man die Zukunft entweder nur hoffnungsfroh oder aber angstvoll imaginieren kann, wirkt Zeitgeist so allmächtig und erfaßt alle Zeitgenossen.
Was ist die Verkörperung von Zeitgeist, seine Gestalt?
Zunächst hat er die Gestalt von historischen Personen, deren Namen für Epochen stehen: Victoria von England, Wilhelm II., Stalin, Mao etc.
Auch hat Zeitgeist die Gestalt von historischen Personen, die eine Epoche in Images zum Ausdruck bringen oder typisieren:
Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, die Beatles, Mick Jagger, Twiggy - oder die Punks, die Skins, die Softies etc.
Und er hat die Gestalt von Produkten, deren Erfindung/Einführung und massenwirksame Verwendung entscheidend auf das Verhalten und die Urteile der Zeitgenossen einwirkten: Coca Cola, VW-Käfer, Polaroid, Personal Computer - oder Moden wie Minirock, Stromlinie, Memphis Design.
Nicht zuletzt nimmt der Zeitgeist Gestalt an in Allegorien und Symbolen, das heißt in den virtuellen Gestalten des jeweils zeitgenössischen Denkens: Mickey Mouse, Weihnachtsmann, Teddybär, Superman, Käthe-Kruse-Puppe, Freiheitsstatue, Atomium, DNS-Spirale, Schlumpf oder Weißer Riese.
Eine Allegorie veranschaulicht einen abstrakten Begriff (Freiheit) in einer Menschen- oder Tiergestalt (fackelstemmende Dame in monumentaler Größe). Im Symbol wird eine konkrete, alltägliche Gegebenheit, ein Sachverhalt oder Ding zum Hinweis auf allgemeingültige Erkenntnisse oder Glaubensformen: z. B. wird der ganz normale Aufbau eines Moleküls zum Symbol des Atomzeitalters, des technischen Fortschritts oder der Schöpferkraft des Kulturmenschen!
Und nun Achtung: Jedem Beobachter unserer Alltagswelt fällt auf, daß die Allegorien und Symbole offenbar den stärksten Impact von Zeitgeist enthalten. Anders gesagt, auch Personen oder Produkte werden erst gesellschaftlich zum Thema, wenn sie oder ihre Konzepte symbolisiert oder allegorisiert werden können. Das Produkt Coca-Cola wird als Symbol des Amerikanismus oder der Frischwärtsjugend und nicht als marktführendes Getränk kommuniziert. Die zeitprägende Person Stalin wird als Allegorie des Bösen, der totalitären Macht, der kriminellen Verschwörung etc. so kommuniziert, daß auch historisch nicht sonderlich interessierte Zeitgenossen vom Stalinismus reden.
Das heißt: die aussagekräftigsten Zeitgeistverkörperungen sind Allegorien und Symbole, sind Logos und Markenzeichen, Fahnen und Uniformen und Corporate Identities!
Im Produkt Barbie scheinen alle diese Vorgaben auf optimale Weise zusammenzuspielen: es symbolisiert die Westmenschen als Kulturträger in der allgemeinverbindlichsten Art. Persönlichkeitstypen, sozialfamiliäres Bindungsverhalten, Sexualität, Hygiene, Körperschemata, Vorstellungen vom guten Leben in Selbstverwirklichung und Weltgenuß - das Produkt Barbie allegorisiert die Begriffe unserer Eurokultur, sobald die Produktbenutzer, die Spieler, mit den Gestalten Barbie, Ken etc. imaginativ operieren. Zum Beispiel ist die Vorstellung Glück oder Harmonie realisiert, wenn der Spieler sich als Barbie wahrnimmt, d. h. wenn er selber nach ihrem Bild zur Allegorie, zum Träger des Ausdrucks von Glück wird. Deshalb ist auch die Kritik an den synthetischen Stereotypen der Barbiewelt so wirkungslos.
Denn alle Allegorien sind nun einmal Kunst- oder Kulturschemata und nicht das animalische, natürliche Leben selbst. Pädagogisch zweifelhaft - um das mindeste zu sagen - werden diese Stereotypen, wenn Barbie nicht nur blond, blauäugig, hochwüchsig und bindegewebsfest ist, wie das unter jungen Menschen heute, bei eiweißreicher Ernährung etc., unter dem Einfluß von Medienbildern häufig vorkommt, sondern dann, wenn Barbie Blauäugigkeit, Blondheit, Hochwüchsigkeit symbolisiert und diese Begriffe zum Bild von Rasse und Klasse inszeniert, also allegorisiert werden.
Wie kann man solchen unfruchtbaren oder nicht wünschenswerten Spielarten der Allegorie Barbie entkommen, vorbeugen oder entgegentreten? Indem man Barbie zukunftsträchtige Erweiterungen der Symbole und Allegorien ermöglicht: Barbie als Punker oder Bettler, als Lagerflüchtling oder Gefängnisinsasse, als Verkehrsopfer oder Raucherbeinamputierte, als Multikulti oder Allegorie der Political correctness, als Boatpeople oder ANC-Repräsentant. Meinen Sie das nicht? Nein?
Na, dann wollen wir mal sehen, was Sie meinen, Sie und die erstaunlich vielen Designer, die am Projekt «Kunst, Design und Barbie» teilnehmen und deren Arbeiten in diesem Band veröffentlicht werden.