Radiobeitrag WDR3

Kultur am Mittag

WDR3
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Erschienen
18.10.2018, 12:10 Uhr

Station
WDR3

Sendung
Kultur am Mittag

Length
6 min

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

Bazon Brock – Denker im Dienst

Der Philosoph und Künstler Bazon Brock ist unermüdlich im Kampf für das gute Argumentieren, für das Denken. "Denkerei" heißt sein Ort in Berlin, wo er für "öffentliches Glühen" sorgen will. Ein Beitrag von Tobias Wenzel: 

www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-kultur-am-mittag/audio-bazon-brock---denker-im-dienst-100.html

Transkript

Bazon Brock: Also hier starten wir den Aufbau einer neuen Bibliothek.

Tobias Wenzel: Bazon Brock deutet auf ein Regal, das mit „Konsumbibliothek“ beschriftet und mit zahlreichen bunten Produkten vom Deo-Roller bis zur Bonbontüte bestückt ist. Die Artikel sind wiederum Schildern zugeordnet, auf denen Worte wie Schönheit, Glück oder Geist zu lesen sind. Statt der Bücher, die von diesen Themen handeln, stehen im Regal Produkte, die diese Kategorien in ihrem Namen haben. Ein Artikel mit Mangoextrakt klingt intellektuell, weil es „Her Mango Thoughts“ heißt; der Name eines Teeprodukts: „Heiße Liebe“.

BB: Es ist ja eine Frage, wo der Unterschied besteht, dass ich die Liebe esse oder lese, und essen kommt mir da noch als eine höherwertige Form der Vereinnahmung von Liebe vor.

TW: Bazon Brock liebt es zu überraschen und zu provozieren.

BB: Die meisten der Journalisten merken nicht, was für dummes Zeug sie eigentlich quaken.

TW: Als er das sagt, hat Bazon Brock gerade auf einem Sofa Platz genommen. Die Medien tragen seiner Meinung nach die Hauptverantwortung dafür, dass die Gesellschaft auf Grund von Verunsicherung auseinanderdriftet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sei doch gar nicht mehr von der BILD zu unterscheiden. Journalisten würden oft schludern, weil sie einfach nicht gelernt hätten, richtig zu denken. Brock bietet da Nachhilfe an. „Bazon Brock – Denker im Dienst“ steht draußen an seinem dem Geist gewidmeten Laden. Schon Anfang der Siebziger wollte er einen Ort zur Förderung des Denkens und Argumentierens schaffen, der offen für alle ist. Damals entwarf der Architekt Christoph Sattler für den Philosophen Jürgen Habermas ein Haus am Starnberger See.

BB: Da habe ich darauf gedrungen, dass er es so mache, dass man Habermas beim Denken zusehen können müsse. Also die Öffentlichkeit konnte unmittelbar, nur getrennt durch eine Scheibe, teilnehmen an dem Denkprozess, an dem Schreiben, an der Vermittlung, an der Diskussion mit seinen Kollegen. Und er konnte dann nach außen mit einem eingeschalteten Mikrofon und kleinen Lautsprechern, wie an das Läden so üblich ist, die Straßenpassanten am Gespräch teilnehmen lassen.

TW: Aber daraus wurde nichts, wohl auch weil Habermas seine Privatsphäre wichtig war. Also gründete Bazon Brock nach seiner Emeritierung als Professor für Ästhetik seine eigene Denkerei in Berlin-Kreuzberg. Die gibt es nun schon seit siebeneinhalb Jahren, von ihm selbst finanziert, wie er betont. Brock ist ein überzeugter Aufklärer. Für ihn gibt es keine Alternative zur Demokratie – auch wegen seiner Kriegserfahrung. Im Zweiten Weltkrieg vergiftete eine Phosphorbombe den im heutigen Polen geborenen Brock. Fragt sich, ob es jüngeren Generationen, die den Krieg nicht selbst erlebt haben, schwerer fällt Frieden und Demokratie zu schätzen.

BB: Ich würde den Jungen heute nicht vorwerfen, dass sie keine Ahnung haben vom Ernstfall. Ich würde ihnen nur nahelegen zu sagen, es geht nicht um den Ernstfall, sondern es geht um den Normalfall. Denn wir brauchen nicht äußere Gegebenheiten – Mord und Totschlag, Raub und Unsittlichkeit –, das erledigen wir per Fantasie auf der Bühne, in der Literatur. Das müssen wir nicht den Menschen real antun. Die Leute können heute, im Frieden geboren, im Frieden lebend, durchaus erfahren, was es heißt, den Normalzustand als das Außerordentliche anzuerkennen.

TW: Mit seinen außerordentlichen Kunstaktionen machte Bazon Brock auf sich aufmerksam. Er bat vergeblich darum, in den Frankfurter Zoo aufgenommen zu werden. Schließlich sei er als Mensch ein Produkt der Evolution und außerdem eines, das gerne intensiv nachdenke, was ja schon Seltenheitswert habe. In der Hamburger Kunsthochschule zog er abwechselnd mit Friedensreich Hundertwasser an den Wänden eine unendliche Linie durch den Raum. Brock interessiert sich eben für Theoretische Kunst. Als er hörte, dass Banksy sein eigenes, bereits bei einer Auktion zu einem Millionenbetrag verkauftes Kunstwerk durch eine im Rahmen eingebaute Vorrichtung schreddern ließ, war er begeistert.

BB: Diese Banksy-Aktion ist sozusagen die bisher vollkommenste Reaktion auf die kapitalistische Überwältigung von Kunst, von Wahrheit, von Schönheit ausschließlich durch das Kapital. Das heißt Banksy ist der größte Akteur des Widerstandes gegen die Allgewalt des Kapitals, auch im Hinblick auf Wissenschaft und Kunst.

TW: Das Kapital bedroht nun auch die Denkerei, erzählt er, denn Brock wurde sein Mietvertrag gekündigt. Im Frühjahr muss er sich einen neuen Ort suchen, um Andere durch Veranstaltungen zum Denken und Argumentieren anzuregen.
Eigentlich heißt er Jürgen Johannes Hermann Brock, aber der Schuldirektor nannte ihn einen Bazon in Anlehnung an das altgriechische Wort für Reden und Schwätzen.

BB: Ich war ein Flüchtlingskind und musste in der Schule mich eben besonders hervorheben, weil ich sagte: Hier bitte, gegenüber den Bauernlümmeln, die da mit dem Mercedes in die Schule kamen, wir, noch nicht einmal mit Holzschuhen, wir hatten gar nichts, müssen auffallen durch unsere Art der Aktivität. Da habe ich ihm gesagt: Also, wo ist Ihre besinnungslose Schwätzerei? Die gibt es gar nicht.

TW: Das Nachdenken darüber, was zielgerichtetes Reden und was nur Schwätzen ist, habe er von den Sophisten gelernt, und auch dass es viele Wahrheiten gebe. Brock selbst gibt es auch mehrfach. Über ihm und dem Sofa hängt ein Gemälde, auf dem er selbst auf einer Couch liegend zu sehen ist mit verhüllten Augen und einer Brille oben drüber. „Experimentelle Selbstmumifizierung nach der Entlassung durch die Geliebte“ heißt das Werk. Wenn Brock wirklich stirbt, ist er sich sicher, wird er auferstehen so wie Marlene Dietrich in ihren Filmen.

BB: Der Gedanke der Auferstehung ist inzwischen als naturwissenschaftliche Selbstverständlichkeit verbreitet, denn die elektromagnetischen Felder sind prinzipiell unzerstörbar und halten sich auf ewig. Wenn ich sterbe, wie jeder Andere, bleibt das elektromagnetische Impulsfeld, das ich auf Erden setzen konnte. Und dann wird sich herausstellen, wer jemals wann einen Apparat in die Hand nimmt und auf den Receiver drückt und sagt: Bitte Empfang! Und dann tanze ich vor dem, obwohl ich schon seit Hunderten von Jahren tot bin.

TW: Es gibt also noch Hoffnung, dass in Zukunft das Denken selbst nicht ausstirbt.