Buch Das Geheimnis des Geschmacks

Aspekte der Ess- und Lebenskunst

Das Geheimnis des Geschmacks, Bild: Umschlag.
Das Geheimnis des Geschmacks, Bild: Umschlag.

Die Essays dieses typografisch anspruchsvoll gestalteten Bandes gehen der Bedeutung des Geschmaks vom Mittelalter bis zur Gegenwart nach. In den Texten geht es aber auch um die sinnliche Grundaustattung des Homo sapines, um das Essen als erlaubte Lust, um das Verhältnis von Gesundheit und Genuss, die unterschiedlichen Essgewohnheiten der beiden Geschlechter, um Geschmackserziehung und Geschmackskultur, um guten und schlechten Geschmack in der ästhetischen Praxis.

Das Spektrum der Autorinnen und Autoren reicht vom Äshtetik-Professor über Kulturhistoriker, Volkskundler, Psychologen, Soziologen, Kunstkritiker, Literaturwissenschaftler bis zum kulinarischen Journalisten.

Erschienen
2004

Autor
Brock, Bazon | Sichtermann, Barbara | Teuteberg, Hans J.

Herausgeber
Hauer, Thomas

Verlag
Anabas

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
3-87038-366-6

Umfang
240 Seiten, 50 s/w Illustrationen, 235mm × 145mm

Einband
Gebunden, ca. EUR 24,80, ca. sfr 43,50

Fundamentalismus als schlechter Geschmack

Schlechte Geschmäcker sind z.B. die Ikonoklasten, die Bilderstürmer, die Leute mit Entartungsphantasien, heute nennt man diese Leute Fundamentalisten. Die wollen nur einen einzigen Satz der Unterscheidung von Kriterien gelten lassen, nämlich den, der ihnen offenbart, tradiert oder auch sonst auf irgendeine Weise verbindlich vorgegeben ist. Jede andere Art des unterscheidenden Sortierens der Dinge in der Welt lehnen sie ab. Diese Vorgaben sind ernst zu nehmen. Wir können auch sagen, dass der Kampf zwischen dem guten und dem schlechten Geschmack sich heute etwa im Kampf zwischen den so genannten Pluralisten oder Relativisten äußert, die sagen: "Es gibt viele Arten, ein solches Bündel von Pflanzen zu unterscheiden, je nachdem, was man damit anfängt." Es wurde eben schon gesagt - der Situation entsprechend, den Absichten oder Interessen entsprechend und so fort - und auf der anderen Seite eben gibt es die Fundamentalisten, die sagen: "Nein, diese Vielfalt von beliebig neben einander herrschenden Möglichkeiten der Unterscheidung, d. h. auch der Systeme von Bedeutung in der Welt, zerstört jede Art von Verbindlichkeit. Wir lehnen es ab, mehr als einen Satz von Kriterien der Unterscheidung zuzulassen. Diese Vielfalt führt zu individueller Beliebigkeit von Wahrnehmungsbewertungen. Aber wir wollen sichern, dass für uns die Welt eindeutig, die Bedeutung der Dinge verbindlich, damit auch tradierbar wird und alle sich in der Orientierung auf die Welt von gleichen Voraussetzungen her auf diese Aufgabe einlassen können. Es wird also eine homogenere gesellschaftliche Kommunikation möglich, es wird eine größere, friedfertigere, vereinheitlichte Menschheit unter Hinwendung auf die Bedeutung der Dinge in der Welt möglich."
Wer fundamentalistische Gesellschafts- und Staatskonzepte durchsetzen will, verspricht größere Einfachheit, Übersichtlichkeit und Konstanz. Das will er erreichen durch Einschränkung der sozialen und kulturellen Kriteriensysteme. Darin zeigen sich die Pluralisten bzw. Relativisten und die Fundamentalisten in ihrem Kampf gegeneinander. Die Frage ist nun, ob die Behauptungen der Fundamentalisten theoretisch überhaupt möglich sind. Wir wissen ja alle, dass jemand, der ausschließlich sein System des Unterscheidens auf der Basis seines Glaubens oder seines kulturellen Wissens, der Wissenschaften oder der Kultur für verbindlich erklären möchte, im Widerstand gegen die anderen Systeme natürlich immer auf die anderen Systeme des Unterscheidens orientiert bleibt, sozusagen "ex negativo". Somit stecken die Fundamentalisten in einer logischen Sackgasse. Sie wollen menschliche Orientierungen gegenüber der Natur und innerhalb der Gesellschaft dadurch vereinfachen, dass sie nur ihre eigenen Unterscheidungssysteme als verbindlich durchsetzen und andere mit aller Härte bekämpfen. Sie übersehen dabei, dass Widerstand verbindet. Dadurch, dass man kämpft, verbindet man sich dem Gegner und bestätigt ihn durch die selbst erzeugte Gegnerschaft. Auch auf diese Weise werden bzw. bleiben andere Orientierungen "ex negativo" bedeutsam.