Buch Der Barbar als Kulturheld

Bazon Brock III: gesammelte Schriften 1991–2002, Ästhetik des Unterlassens, Kritik der Wahrheit – wie man wird, der man nicht ist

Der Barbar als Kulturheld, Bild: Umschlag.
Der Barbar als Kulturheld, Bild: Umschlag.

„In Deutschland gehört zu den wichtigsten Aktivisten auf diesem Feld (der Massentherapie) gegenwärtig der Performance-Philosoph Bazon Brock, der nicht nur eine weit gestreute interventionistische Praxis aufweisen kann, sondern auch über eine ausgearbeitete Theorie des symbolischen Eingriffs verfügt.“ Peter Sloterdijk in Die Verachtung der Massen, Frankfurt am Main, 2000, Seite 64

„Mit welchem Gleichmut Brock das Zähnefletschen der Wadenbeißer ertrug, die ihm seinen Erfolg als Generalist verübelten ... Bazon Brock wurde zu einer Symbolfigur des 20. Jahrhunderts, von vielen als intellektueller Hochstapler zur Seite geschoben und von einigen als Poet und Philosoph verehrt ... Er konnte wohl nur den Fehler begehen, sein geniales Umfassen der Welt nicht nur zu demonstrieren, sondern es lauthals den anderen als eine legitime Existenzform vorleben zu wollen.“ Heinrich Klotz in Weitergeben – Erinnerungen, Köln 1999, Seite 107 ff.

Sandra Maischberger verehrt Bazon Brock wie eine Jüngerin. Denn täglich, wenn es Abend werden will, bittet sie mehrfach inständig: „Bleiben Sie bei uns“ und sieht dabei direkt dem n-tv-Zuschauer Brock ins Auge. Also gut denn: „solange ich hier bin, stirbt keiner“, versicherte Bazon schon 1966 auf der Kammerspielbühne Frankfurt am Main. Erwiesenermaßen hielt er das Versprechen, weil ihm sein Publikum tatsächlich vorbehaltlos glaubte. „Dies Ihnen zum Beispiel für den Lohn der Angst Sandra, bleiben Sie bei uns“.

Bazon Brock hat in den vergangenen Jahrzehnten mit Schriften, Ausstellungen, Filmen, Theorieperformances /action teachings die Barbaren als Kulturhelden der Moderne aller Lebensbereiche aufgespürt. In den achtziger Jahren prognostizierte er die Herrschaft der Gottsucherbanden, der Fundamentalisten in Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik. Ihnen setzte Brock das Programm Zivilisierung der Kulturen entgegen.

Gegen die Heilsversprecher entwickelte er eine Strategie der Selbstfesselung und die Ästhetik des Unterlassens mit dem zentralen Theorem des verbotenen Ernstfalls. Das führt zu einer neuen Geschichtsschreibung, in der auch das zum Ereignis wird, was nicht geschieht, weil man es erfolgreich verhinderte oder zu unterlassen vermochte.

1987 rief Brock in der Universität Wuppertal die Nation der Toten aus, die größte Nation auf Erden, in deren Namen er den Widerruf des 20. Jahrhunderts als experimentelle Geschichtsschreibung betreibt.

Protestanten wissen, es kommt nicht auf gute und vollendete Werke an, sondern auf die Gnade des Himmels. Deswegen etablierte sich Brock von vornherein, seit 1957 als einer der ersten Künstler ohne Werk, aber mit bewegenden Visionen, die von vielen
übernommen wurden; z.B. „Ich inszeniere Ihr Leben – Lebenskunstwerk“ (1967), „Die neuen Bilderkriege – nicht nur sauber, sondern rein“ (1972), „Ästhetik in der Alltagswelt“ (1972), „Zeig Dein liebstes Gut“ (1977), „Berlin – das Troja unseres Lebens und forum germanorum“ (1981), „Wir wollen Gott und damit basta“ (1984), „Kathedralen für den Müll“ (1985), „Kultur diesseits des Ernstfalls“ (1987), „Wir geben das Leben dem Kosmos zurück“ (1991), „Kultur und Strategie, Kunst und Krieg“ (1997). „Hominisierung vor Humanisierung“ (1996), „Moderator, Radikator, Navigator – die Geschichte des Steuerungswissens“ (1996).

Deutsch sein heißt schuldig sein – Bazon versucht seine schwere Entdeutschung mit allen Mitteln in bisher mehr als 1.600 Veranstaltungen von Japan über die USA und Europa nach Israel. Gegen den dabei entstandenen Bekenntnisekel beschloß jetzt der Emeritus und elder stageman des Theorietheaters, sein Leben als Wundergreis zu führen, da Wunderkind zu sein ihm durch Kriegselend, Lagerhaft und Flüchtlingsschicksal verwehrt wurde.

Ewigkeitssuppe | 850.000 Liter des Tänzerurins | im Tiergarten, die wurden Blütenpracht. | Er sah die Toten der Commune in Pappschachteln | gestapelte Puppenkartons im Spielzeugladen. | Die schrieben Poesie des Todes, Wiederholung, Wiederholen. | Dann träumte er vom Kochen mit geheimen Mitteln | Zwerglute, Maulkat, Hebenstreu und unverderblich Triomphen. | Das war gute Mahlzeit des lachenden Chirurgen, | der ihn bis auf die Knochen blamierte.

Die Herausgeberin Anna Zika ist Professorin für Theorie der Gestaltung, FH Bielefeld. Von 1996 bis 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin um Lehrstuhl für Ästhetik, FB 5, Universität Wuppertal.

Die Gestalterin Gertrud Nolte führt ihre – botschaft für visuelle kommunikation und beratung – in Düsseldorf. Zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen für Graphikdesign und Buchgestaltung

Noch lieferbare Veröffentlichungen von Bazon Brock im DuMont Literatur und Kunst Verlag:

Actionteachingvideo „Wir wollen Gott und damit basta“, 1984;

„Die Macht des Alters“, 1998;

„Die Welt zu Deinen Füßen – den Boden im Blick“, 1999;

„Lock Buch Bazon Brock“, 2000.

Erschienen
01.01.2002

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Zika, Anna

Verlag
DuMont-Literatur-und-Kunst-Verlag

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

ISBN
3-8321-7149-5

Umfang
953 S.: Ill.; 25 cm

Einband
Gebunden

Seite 325 im Original

III.19 Ein Jubiläum zum Schreien

Großmeister Shakespeare ließ das Theaterpublikum in einem Rutsch, knapp drei Stunden lang, Leben und Lust, Leiden und Laster eines Königshauses miterleben. Als Fernsehserie erstreckt sich die dramatische Aufbereitung von Jämmerlichkeit und Machtwahn über Jahre, egal, ob es um die Könige unserer Zeit, die Societystars, Ölmagnaten und Finanzjongleure (Dallas) geht, oder um die sozialgehegten Pantoffeltierchen unserer Republik (Lindenstraße). Was besagt das? Das Fernsehen hat unser Empfinden für Ereignisse, für Lebensläufe, für Geschichte drastisch verändert.

Von der unwiederholbaren Einmaligkeit zwischen Geburt und Tod mit dramatischen Höhepunkten wurde das Leben zu einem Serienereignis. Serien sind Aneinanderreihungen von gleichen Elementen oder Abfolgen von Ereignissen gleichen Charakters. So sprechen wir von einer Serie von Brandstiftungen, oder einer Serie von Geschossen. Genau das ist Fernsehen in seiner wirksamsten Eigenschaft.

Die Serie ist als Zeitstruktur unüberbietbar wie die Serie unserer Kalendertage und Jahre. Fernsehen ist also ewige Wiederholung ohne Ziel und Ende, zeitlos wie die Kalenderzeit selber. Die tollsten Serien des Fernsehens sind demzufolge die Tagesschauen und Tagesthemen, denn im Fernsehen ist jeden Tag heute. Fernsehen ist die tatsächliche Schöpfung des Heute, der schieren Gegenwärtigkeit. Das Fernsehen macht alle Ereignisse unmittelbar, also heutig, gegenwärtig, indem es uns zeitgleich an Fernab-Ereignissen teilnehmen läßt oder indem es uns beweist, daß alles, was überhaupt unter Menschen geschehen kann, heute geschieht, also immer geschieht, also nie aufhören wird zu geschehen. Es wird keinen Tag geben, über den nicht eine heute-Sendung gemacht werden wird. Das wird auf alle Zeiten so sein, versichert uns das Fernsehen.

Alle Zeit, die vergangene und die zukünftige, fällt im heutigen Tag zusammen, und jeder Tag ist bloß ein heutiger. Es gibt nichts anderes als das Heute und seine ewige Wiederholung: Jeden Tag gibt es Tote und Verletzte, Trauernde und Triumphierende, Aufstände und Familiäres, Regierungserklärungen und Operninszenierungen. Jeden Tag das gleiche, das doch nie dasselbe ist.

Fernsehen war und ist vor allem diese Revolution der Zeiterfahrung. Das Leben ist jetzt, das Leben ist heute, ohne Voraussetzung in der Vergangenheit, ohne Zielpunkt in der Zukunft. Das sagt vor allem Fernsehen als Werbung: Alles ist da ohne Probleme, wie von Zauberhand, und über alles können wir verfügen, jetzt, sofort, ohne Zögern, ohne Lernen, ohne Warten. Nogger Dir einen!

Lang zu, mach, was Du willst, Bedingungen werden nicht gestellt. Also zum Beispiel die Bedingung, daß man Geld erst verdienen muß, bevor man es für das schöne Werbeglitzern ausgeben kann.

Wer den ganzen Tag fernsieht, die totale Tagesschau, für den heißt Zuschauen leben. Und das Leben besteht aus der Wiederholung des immer Gleichen auf allen Programmen, mit wechselndem Personal und in ein paar variierten Stimmungen. Ein Leben als Fernsehzuschauer! Das ist die ideale Karriere, die großartige Biografie des Zeitgenossen, vor allem des jüngeren, dem außerhalb des Fernsehsessels sowieso nichts gelingt. Das Fernsehen hat uns die Anstrengung des Lebens abgenommen, wie die Sklaven den Herren früher die Arbeit abnahmen. Wir brauchen nichts mehr zu tun, nur noch zuzuschauen, ohne uns vom Fleck zu bewegen. Alles geschieht sowieso jeden Tag; zum Ereignis wird es, wenn wir ihm im Medium TV begegnen. Von jetzt ab bis in alle Ewigkeit ohne Krankheit, ohne Hunger, ohne andere Extremwallungen vor dem Bildschirm zu sitzen, das ist in früheren Jahrhunderten als paradiesischer Zustand ausgemalt und bedichtet worden. Das Fernsehen ist dem reinen Zuschauer ein zeitgemäßes Paradiesgärtchen, in dem wir Stunden um Stunden sitzen mögen, den Blick mal hierher, mal dorthin richtend, über Blumen und Gewürm, über Schönheit und Schrecken. Selig sind, die da immer nur fernsehen wollen, angstfrei sind, die wissen, daß Bilder nicht beißen, [die] wunschlos glücklich sind, denen auf Knopfdruck die ganze Welt vor Augen erscheint.

Die Paradiesgärtchen waren dem gläubigen Christen so wirklich, wie dem gläubigen Fernsehzuschauer der Musikantenstadl, die Schwarzwaldklinik oder die Heimat des Osterhasen. Warum gelingt es uns nicht, in diesen Fernsehparadiesen zu bleiben? Welcher Erzteufel scheucht uns von der Couch?

Fernsehen? Danke, wir lügen selbst

Vierzig Jahre (1) deutsches Fernsehen ein Weg ins Elend? Ein Wahlangebot zwischen großen und größeren Übeln? Eine Negativolympiade der Politik zwischen Werberauschen und Showsäuseln?

Seit Mitte der 60er Jahre wird unsere Einstellung zum Fernsehen durch die Kritik bestimmt, die das Fernsehen selber hervorrief; in erster Linie die Kritik des Bildungsbürgertums, also aller Menschen, die dem Schreiben und Lesen ihr Selbstbewußtsein als Kulturträger verdanken.

Zum Fernsehen braucht man weder lesen noch schreiben zu können, ja, zum Fernsehmachen auch nicht (mit Ausnahme der Techniker). In der Tat: Seit Fernsehen Massenmedium wurde, ist die Zahl der Leute, die weder lesen noch schreiben können oder wollen, rapide gestiegen. Nun gibt es viele Kulturen, in denen weder gelesen noch geschrieben wird (die sogenannten Primitiven) – aber zu unserer europäischen, oder aus Europa stammenden Kultur gehörte das Lesen und Schreiben als Fähigkeit von jedermann.

Seit Mitte der 60er Jahre verwandelte sich die allgemeine Schulpflicht in eine allgemeine Fernsehpflicht. Wer noch irgendwo mitreden wollte, in der Familie, am Arbeitsplatz, der mußte die einschlägigen Sendungen von ARD und ZDF gesehen haben; denn Fernsehsendungen wurden zu den interessantesten Gesprächsstoffen; man kann auch sagen, interessant wurden Sachverhalte erst, wenn das Fernsehen sie zeigte. Ja, auch das gemeinsame Reden über die durch das Fernsehen interessant gewordenen Themen wurde zu Fernsehsendungen, zu Talkshows. Damit schloß sich der Kreis. Das Fernsehen produzierte Ereignisse für die Zuschauer draußen im Lande, machte aber deren erregte oder amüsierte, auf jeden Fall interessierte Reaktion auch noch zur Fernsehsendung: Das Publikum lernte, sein Zuschauen fernsehgerecht zu gestalten, auf Kommando zu applaudieren oder Mißmut zu äußern.

Das setzte sich in vielen Bereichen durch; Werbefilme und Programmfilme wurden sich zum Verwechseln ähnlich: Die Werbung sollte so aussehen, als sei sie gar keine, und die journalistischen Programmbeiträge ahmten die Werbeclips nach, um jung und geil zu erscheinen. Im sogenannten Dokumentarspiel vermischten sich Reportage, Rekonstruktion, freie Phantasie so stark, daß zwischen Akteur und Zuschauer, Nachricht und Kommentar, zwischen Simulation und Realität kaum noch zu unterscheiden war.

Diese wildgewordenen, an der Wirklichkeit nicht mehr kontrollierbaren Bilder führten einen regelrechten Krieg: Dash gegen Omo, Reinheit gegen Sauberkeit, Massenshow gegen Minderheitenkultur, Entertainment gegen Politmagazin – ein Krieg wahllos aufgemotzter Bilder aller gegen alle um Einschaltquoten.

Vor allem aber, so meinte der Bildungsbürger, sei das ein Krieg völlig inhaltsloser Bilder, die die elektronische Technik ganz allein produziere, ohne Bezug auf die Wirklichkeit jenseits der Bilder. Das Fernsehen manipuliere die Wirklichkeit, anstatt zu dokumentieren oder zu argumentieren. Die Bilderwelt des Fernsehens werde zum Weltbild und setze sich als die neue Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen fest.

Diese kritische Art, wie das Bildungsbürgertum in die Röhre guckte, ist zum Gemeinplatz geworden und damit erledigt. Wenn alles im Verdacht steht, Manipulation zu sein, besagt der Vorwurf nichts mehr. Kritisches Fernsehen? Nein danke, wir lügen selbst!

Lesen und Schreiben statt Hocken und Glotzen? Dicke Bücher, Kunst oder Nichtkunst, werden gekauft, um sie herumzutragen oder zu verschenken, sie bestenfalls noch durchzublättern und als Bilderbücher zu genießen.

Noch besser: Büchersendungen im Fernsehen! Komisch: Man sieht in den TV-Filmen Menschen beim Sex, bei der Arbeit, beim Autofahren, beim Freizeitbummel, ja sogar beim Regieren; beim Lesen und Schreiben sah man sie noch nie. Büchersendungen im Fernsehen sind ungefähr so glaubwürdig und instruktiv wie Fahrschulen für Blinde und Diätvorschriften für Hungernde; das heißt, es wird keine Versöhnung zwischen Bildungsbürgern und Medienfreaks geben; jedenfalls scheint bis auf weiteres klar zu sein, daß Lesen und Schreiben nicht mehr die entscheidenden Kulturtechniken sind, sondern Bildermachen und Bilderlöschen. Nach 40 Jahren Fernsehen gilt diese Bilanz auch im 500jährigen Zentrum der Gutenberg-Kultur, in Europa, ja in Deutschland. Daß Analphabeten in Afrika, Asien, Lateinamerika auf den Wirklichkeitsanspruch der Fernsehbilder hereinfallen würden, das schien den Bildungsbürgern erwartbar, ja wünschenswert; aber in Europa und Nordamerika, im traditionsfrommen Japan oder im heroischen sozialistischen Lager? Damit hatte keiner gerechnet, schon gar nicht in der guten alten BRD mit ihren welteinmaligen öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Die Vernichtung der Kultur

Wie stolz wir immer waren, wenn wir nach England oder in die USA fuhren, und unsere Freunde aus den dortigen Museen, den Universitäten, den Galerien und Künstlerateliers mit verzücktem Augenaufschlag die Segnungen der deutschen Rundfunkanstalten überschwenglich priesen. Die deutschen Anstalten hätten – so hörten wir – zum Beispiel in den 50er Jahren die Entwicklung der modernen Musik in der gesamten Welt ermöglicht. Diese Medienereignisse in Darmstadt oder Donaueschingen galten vor allem den amerikanischen Künstlern als Inbegriff von Kulturarbeit. Weltbekannte Größen wie John Cage fühlten sich in deutschen Sendern mehr zu Hause als irgendwo sonst.

Wie gesagt, solche Lobeshymnen auf die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland hörten wir fast täglich bis zum Beginn der 80er Jahre. Gefeiert wurde die kontinuierliche Arbeit am Konzept des kleinen Fernsehspiels, und gefeiert wurden die reklamefreien Magazinsendungen „Politik, Soziales, Kultur“, die ihresgleichen in der Welt suchten. Mitschnitt und Ausstrahlung höchstrangiger Schauspiel- oder Operninszenierungen durch die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland brachten uns die Geltung und den Ruhm einer herausragenden Kulturnation. Gerade im westlichen Ausland verstand man, daß die gerühmte Sonderförderung der deutschen Künstler aller Sparten und das ganz einmalige Interesse der deutschen Öffentlichkeit an kulturellen Ereignissen den öffentlich-rechtlichen Kulturinstitutionen (Rundfunk, Theater, Museen, kommunale Kulturzentren) zu verdanken war – ein Konzept, um das uns alle Welt, gerade die kapitalistische, vorbehaltlos beneidete.

Warum? Weil an den deutschen Kulturinstitutionen nicht Geldmachen im Vordergrund aller Aktivitäten stehen mußte; weil die Redakteure, Kustoden, Regisseure, Ausstellungsmacher ein hohes Maß an Unabhängigkeit von kommerziellen Leitbildern wahren konnten; weil durch die zahlreichen regionalen Zentren und die Kulturhoheit der Länder alle deutschen Provinzen zu Metropolen wurden; weil die in der Welt einmalige Zahl solcher Kulturmetropolen auf so engem Raum wie der alten BRD eine Kulturvielfalt entstehen ließ, die es weder in Frankreich noch in England oder gar in den USA gab.

Zum 40. Gründungstag der ARD muß man sich an diese ruhmreichen Taten der deutschen Sender erinnern – gerade, weil das alles bloß noch Geschichte ist. Seit Anfang der 80er Jahre bescherten uns die deutschen Politiker den Anschluß an das westliche Ausland. Sie vernichteten mit voller Absicht und zielstrebig die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten für die Kultur Deutschlands, weil sie mit deren vermeintlich linkslastiger Ausrichtung nicht einverstanden waren. Da Zensur an den Programmen direkt nicht durchgesetzt werden konnte, wollte man die Wirkung der Programme einschränken, indem man die Zuschauerzahlen bei einzelnen Sendungen drastisch verringerte. Dazu brauchte man nur die Zahl der angebotenen Programme zu erhöhen; statt 3 Angebote sollte es 30 geben – da ist die Wahrscheinlichkeit, daß viele Menschen die gleichen Sendungen sehen, sehr gering. Zudem würden die Öffentlich-Rechtlichen sehr bald gezwungen sein, die Unterhaltungsspektakel der Privatsender nachzuahmen, um überhaupt noch Zuschauer zu haben. Anspruchsvolle Sendungen, gar Sendereihen zu Politik, Sozialem, Kultur würden da ganz von allein verschwinden.

Gesagt getan. Im Rahmen gesamteuropäischer Vereinigung warfen die Deutschen willfährig vorauseilend das erfolgreiche und bewährte Kernstück deutscher Kulturarbeit auf den Müll der Geschichte, d.h. auf einen Haufen kommerziellen Schrotts völlig identischer, beliebiger, nichtssagender TV-Produktionen. Zwar gibt es formell noch die Öffentlich-Rechtlichen, aber ihnen droht ständig das Fallbeil der Publikumszustimmung: um Massenzuspruch zu finden, muß der Anteil von Kultur im Programm radikal verkürzt werden. Um dann noch den Verfassungsauftrag (kulturelle, politische und soziale Bildung und Erziehung) zu erfüllen, müssen Erziehung und Bildung als unterhaltsames Spektakel aufgezogen werden, das von niemandem mehr Arbeit und Anstrengung des Gedankens fordert. Damit sind wir wirklich reif geworden für die große Vision der einheitlichen Welt aus Werbesendungen, Unterhaltungsbrei und Gesellschaftsklatsch.

Zum 40. Jubiläum eine stolze Bilanz: unsere Sender sind von x-beliebigen anderen in der Welt nicht mehr zu unterscheiden. Dazu darf man wirklich gratulieren, denn niemand von uns hätte diese Leistung für möglich gehalten. Und da sage einer noch, Politik sei bloß die Kunst des Möglichen.

(1) Der Text entstand aus Anlaß des 40jährigen Bestehens des ARD.

siehe auch: